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VwGH vom 24.03.2011, 2008/23/0827

VwGH vom 24.03.2011, 2008/23/0827

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des H K, geboren 1976, vertreten durch Mag.a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 253.275/8E-VII/19/04, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit aus Kirkuk, beantragte am Asyl. Zu seinen Fluchtgründen befragt gab er vor dem Bundesasylamt im Wesentlichen an, er habe von Oktober 2000 bis Juli 2002 als Chemiker in einer staatlichen Chemiefabrik in Kirkuk gearbeitet, bis er herausgefunden habe, dass in dieser chemische Waffen erzeugt worden seien. Daraufhin habe er seine Arbeit ohne Angabe von Gründen niedergelegt und sei aus Kirkuk geflüchtet. Bei einer Rückkehr fürchte er, durch Kurden bzw. kurdische Parteien, die ihm eine Zusammenarbeit mit der Baath Partei unterstellen würden, sowie durch die Angehörigen der Opfer dieser chemischen Waffen verfolgt zu werden; da es im Zuge des Sturzes von Saddam Hussein nun im Irak keine Sicherheit und keine Regierung gebe, laufe er Gefahr, für seine Tätigkeit zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eine Möglichkeit, sich im Nordirak unter Kurden niederzulassen, habe er nicht, da alle wüssten, dass er in dieser Fabrik gearbeitet habe.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers ab (Spruchpunkt I.), gewährte ihm jedoch Refoulementschutz (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.). Das Bundesasylamt führte dazu aus, "unabhängig von der Glaub- bzw. Unglaubwürdigkeit des Vorbringens" finde die Begründung des Asylantrages keine Deckung in der Genfer Flüchtlingskonvention (FlKonv). Aus den Angaben des Beschwerdeführers seien keine gegenwärtigen, konkret gegen seine Person gerichteten, staatlichen beziehungsweise quasi-staatlichen Verfolgungen aus asylrechtsrelevanten Gründen ableitbar. Der Beschwerdeführer habe vielmehr deutlich gemacht, dass sein Ausreisegrund ausschließlich in der damals durchgeführten Tätigkeit gelegen gewesen sei. Diesbezüglich könne aufgrund der zwischenzeitlich geänderten Lage im Irak (Sturz des Saddam-Regimes und damit einhergehender Machtverlust der "Baath Partei") mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass der Beschwerdeführer mit Verfolgungshandlungen zu rechnen habe, da die möglichen Aggressoren, derentwegen der Beschwerdeführer das Land angeblich habe verlassen müssen, nun fehlten.

Soweit der Beschwerdeführer "nun behaupt(e), dass er Probleme mit den Kurden befürchte", habe er nach Ansicht des Bundesasylamts mit diesem Vorbringen seine Asylgründe aktualisieren wollen, weil eine Verfolgung durch das Regime von Saddam Hussein nicht mehr aktuell sei und somit nicht zur Asylgewährung führen könne.

Die Unzulässigkeit des Refoulements wurde mit der schwierigen Umwälzungsphase, der noch instabilen Sicherheitslage und der schlechten wirtschaftlichen Lage im Irak begründet.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides (Asylversagung) erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er auf die Asylrelevanz nicht staatlicher Verfolgung hinwies sowie darauf, dass UNHCR davon ausgehe, Opfer nichtstaatlicher Verfolgung könnten zum gegenwärtigen Zeitpunkt im Irak in der Regel keinen effektiven staatlichen Schutz erhalten. Damit habe sich das Bundesasylamt nicht auseinander gesetzt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 Asylgesetz 1997 ab. Sie legte die Sachverhaltsfeststellungen des erstinstanzlichen Bescheides ihrer Entscheidung zugrunde und hielt fest, das erstinstanzliche Verfahren sei mängelfrei geführt worden. Das Bundesasylamt habe bereits mit ausführlicher Begründung zu Recht festgestellt, dass sich bereits aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers - unabhängig von dessen Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit - keine Asylrelevanz ableiten ließe. Wenngleich die geltend gemachte Verfolgung staatlicherseits aufgrund der unerlaubten Beendigung der Tätigkeit in einem staatlichen Betrieb des Saddam Hussein durchaus glaubwürdig gewesen wäre, erscheine eine gegenwärtige staatliche Verfolgung aufgrund des Sturzes des Regimes des Saddam Hussein ausgeschlossen.

Auch eine aktuelle nicht-staatliche Verfolgung durch Kurden sowie durch Angehörige der Opfer chemischer Waffen sei objektiv nicht nachvollziehbar. Vielmehr wäre der allgemeinen Lebenserfahrung zufolge davon auszugehen, dass eine Person, die durch die in eigener Entscheidung erfolgte Beendigung einer Tätigkeit, welche einem bestimmten Regime gedient habe und welche mit der Ermordung von Kurden in Zusammenhang gebracht werde, letztlich ihr Leben riskiere, bei den Gegnern dieses Regimes sozusagen als "Held" gefeiert und nicht einer Verfolgung durch diese Personen unterliegen würde. Bereits anhand dieser Überlegungen sei daher die Unschlüssigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers hinsichtlich der behaupteten aktuellen Bedrohung durch Kurden evident. Im Übrigen seien diese Angaben als Steigerung des Vorbringens anzusehen.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen hat:

Die Beschwerde macht unter anderem als Verfahrensmangel eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde geltend. Damit ist sie im Recht.

Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung eines aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärten Sachverhalts gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG, der eine Berufungsverhandlung entbehrlich macht, dann nicht erfüllt ist, wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung in der Berufung substantiiert bekämpft wird oder der Berufungsbehörde ergänzungsbedürftig oder in entscheidenden Punkten nicht richtig erscheint, wenn rechtlich relevante und zulässige Neuerungen vorgetragen werden oder wenn die Berufungsbehörde ihre Entscheidung auf zusätzliche Ermittlungsergebnisse stützen will (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zlen. 2008/19/0216, 0217, vom , Zl. 2007/01/0352, und vom , Zl. 2008/20/0410, jeweils mwN).

Die belangte Behörde führte zunächst als Begründung für die Unterlassung der beantragten mündlichen Berufungsverhandlung aus, dass diese nicht erforderlich sei, zumal das erstinstanzliche Verfahren nicht mangelhaft und der maßgebliche Sachverhalt als geklärt anzusehen sei. Dabei hat sie nicht berücksichtigt, dass die erstinstanzliche Behörde sich zwar zunächst einer Beurteilung, welche Vorbringensteile den Feststellungen als glaubwürdig zugrunde zu legen seien, enthalten hat, jedoch im Weiteren erkennbar davon ausgegangen ist, das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Gefährdung durch Kurden wegen einer unterstellten Verbindung zum Regime des Saddam Hussein sei nicht glaubwürdig, ohne allerdings diese Einschätzung nachvollziehbar zu begründen.

Schon vor diesem Hintergrund hätte die belangte Behörde nicht von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung absehen dürfen. Daran ändert auch die von der belangten Behörde (erstmals) vorgenommene Beweiswürdigung nichts, mit der sie das Vorbringen zu einer staatlichen Verfolgung als glaubwürdig (aber nicht mehr aktuell) und das Vorbringen zur nichtstaatlichen Verfolgung als unglaubwürdig (und daher nicht asylrelevant) bewertete. Ihre eigenen, neuen beweiswürdigenden Überlegungen hätte sie nämlich ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung nicht anstellen dürfen.

Im Übrigen wird angemerkt, dass sich die Überlegungen der belangten Behörde zur angeblichen Steigerung des Vorbringens sowie die Annahme, dass der Beschwerdeführer von den Kurden nicht wegen unterstellter Zusammenarbeit mit dem Regime verfolgt, sondern wegen der Aufgabe seiner Arbeit als "Held" gefeiert würde, nicht als schlüssig erweisen. Dies, weil einerseits fallbezogen von einer Steigerung oder einem Austausch der Fluchtgründe keine Rede sein kann und andererseits die nicht näher begründete Mutmaßung, dass der "allgemeinen Lebenserfahrung zufolge" der Beschwerdeführer von den Kurden als "Held" gefeiert werden müsste, sich als spekulativ erweist.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
HAAAE-85878