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VwGH vom 17.11.2010, 2008/23/0754

VwGH vom 17.11.2010, 2008/23/0754

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2008/23/0755

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden des E S, geboren 1979, vertreten durch Dr. Simone Schweinhammer, Rechtsanwältin in 1080 Wien, Alser Strasse 21, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils von , 1.) Zl. 252.876/0- XI/33/04 (protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0755) und

2.) Zl. 252.876/1-XI/33/06 (protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0754), betreffend 1. Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und 2. Zurückweisung einer Berufung in einer Asylangelegenheit als verspätet (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, somit insgesamt EUR 2.212,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, wurde am am Flughafen Schwechat in Schubhaft genommen und stellte am aus der Schubhaft einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Am wurde der Beschwerdeführer aus der Schubhaft entlassen.

Am hinterlegte das Bundesasylamt gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 Zustellgesetz (ZustG) nach einer ergebnislos verlaufenen Meldeauskunft aus dem Zentralen Melderegister (ZMR) den Bescheid vom im Akt, da der Beschwerdeführer "die bisherige Abgabestelle verlassen und dies der Behörde nicht unverzüglich mitgeteilt (habe) und eine Abgabestelle nicht ohne Schwierigkeiten festgestellt werden (könne)".

Am legte der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt einen Auszug aus dem Melderegister vor, wonach er seit über eine Abgabestelle an einer näher bezeichneten Adresse (Obdachlosenmeldung Zollergasse) verfügte.

Mit Telefax vom stellte der Beschwerdeführer zunächst (I.) einen Antrag auf Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom sowie (II.) "in eventu" einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist und erhob gleichzeitig (III.) Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom . Seinen Zustellantrag begründete der Beschwerdeführer damit, er habe erst anlässlich seiner (nicht datierten) Vorsprache bei der Caritas erfahren, dass es in seinem Asylverfahren einen erstinstanzlichen abweisenden Bescheid gebe; er habe niemals eine diesbezügliche Zustellung erhalten.

Zu seinem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führte der Beschwerdeführer aus, überhaupt nicht von der negativen Entscheidung im Asylverfahren zu wissen, stelle seiner Meinung nach ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hindernis dar, die Berufungsfrist einhalten zu können. Er wies darauf hin, dass er seit über eine Abgabestelle verfüge, welche er regelmäßig aufsuche, was er mit einem Computerauszug belegte.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. Begründend ging die Behörde davon aus, dass die Zustellung des Bescheides vom mit der Hinterlegung gemäß § 8 Abs. 2 iVm § 23 Abs. 1 ZustG am rechtswirksam erfolgt sei. Dem Beschwerdeführer wäre es zum Zeitpunkt der polizeilichen Anmeldung zumutbar gewesen, Erkundigungen bezüglich seines Asylverfahrens und eines etwaigen Verfahrensausganges einzuholen, spätestens wäre dies jedoch mit Vorlage des ZMR-Auszuges am möglich gewesen. Zu diesem Zeitpunkt habe sich das Verfahren überdies noch innerhalb der Rechtsmittelfrist befunden, weshalb die Einbringung einer Berufung auch nicht an einem unabwendbaren Ereignis gescheitert sei.

Die dagegen erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Bescheid vom gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ab. In ihrer Begründung führte sie aus, der Beschwerdeführer sei seiner Verpflichtung zur Bekanntgabe der durch die Haftentlassung bedingten Änderung seiner Abgabestelle gemäß § 8 Abs. 1 ZustG sechs Tage nach der erfolgten neuen Meldung und erst 18 Tage nach seiner Entlassung aus der Haft nachgekommen. Demnach könne nach Ansicht der belangten Behörde nicht von einem minderen Grad des Verschuldens ausgegangen werden.

Mit Bescheid vom selben Tag wies die belangte Behörde auch die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Bundesasylsamtes, mit dem über seinen Asylantrag abweisend entschieden worden war, gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurück.

Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Verbindung der beiden Verfahren zur gemeinsamen Erledigung - erwogen hat:

Die Beschwerden wenden sich primär gegen die Rechtmäßigkeit der Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch gemäß § 23 iVm § 8 ZustG vom und behaupten mit näherer Begründung, dass die Voraussetzungen für die Hinterlegung nach § 8 Abs. 2 ZustG nicht vorgelegen seien.

Gegen die Abweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung bringen die Beschwerden vor, der Beschwerdeführer wäre durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis, nämlich die unterlassene Aushändigung des beim Bundesasylamt hinterlegten Bescheides durch das Bundesasylamt gehindert gewesen, fristgerecht eine Berufung einzubringen und würde ihn daran auch kein subjektiv vorwerfbares Verschulden, allenfalls ein minderer Grad des Versehens treffen, da er mittellos, nicht deutschsprachig und obdachlos sei und sich unverzüglich nach seiner Entlassung aus der Schubhaft um eine zustellfähige Adresse gekümmert und diese auch dem Bundesasylamt gemeldet habe.

1. Zur Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages

Eine Auseinandersetzung damit, inwieweit bei der inhaltlichen Beurteilung des Wiedereinsetzungsantrages an den sprachunkundigen, im Umgang mit Behörden unerfahrenen und obdachlosen Beschwerdeführer ein großzügiger Sorgfaltsmaßstab hinsichtlich des Zeitpunktes der Mitteilung seiner Abgabestelle anzulegen gewesen wäre, erübrigt sich, da die belangte Behörde übersehen hat, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lediglich eventualiter, nämlich nur für den Fall, dass seinem Antrag auf Zustellung des Bescheides vom nicht Folge gegeben werde, gestellt hat.

Das Wesen eines Eventualantrages liegt darin, dass er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, dass der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit. Vor der (rechtskräftigen) Erledigung des Primärantrages auf Zustellung war das Bundesasylamt daher nicht zuständig, über den nur in eventu gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung zu entscheiden (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2006/19/0393, und vom , Zl. 2006/19/0515). Eine solche Unzuständigkeit des Bundesasylamtes hätte die belangte Behörde von Amts wegen aufzugreifen gehabt. Der erstinstanzliche Bescheid wäre daher von der belangten Behörde gemäß § 66 Abs. 4 AVG zu beheben gewesen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/21/0536, und vom , Zl. 2007/12/0078). Der Umstand, dass die belangte Behörde dies unterlassen hat, belastet den erstangefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb dieser schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

2. Zur Zurückweisung der Berufung

Aus dem Schriftsatz vom geht hervor, dass der Berufungsantrag (Punkt III. dieses Schriftsatzes) im Gegensatz zum lediglich in eventu gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht nur als Eventualantrag gestellt wurde.

Mit dem zweitangefochtenen Bescheid vom wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen die Abweisung seines Asylantrages gemäß § 66 Abs. 4 iVm § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.

Die Begründung der belangten Behörde lautet (soweit hier maßgeblich): "Der bekämpfte Bescheid des Bundesasylamtes wurde am rechtswirksam zugestellt. Die Rechtsmittelfrist gemäß § 63 Abs. 5 AVG endete somit am . Die vorliegende Berufung wurde am - und daher verspätet - eingebracht."

Für die Rechtmäßigkeit der im zweitangefochtenen Bescheid vorgenommenen Berufungszurückweisung kommt es entscheidungswesentlich auf die Frage an, ob die Zustellung des Bescheides des Bundesasylamtes vom durch Hinterlegung bei der Behörde am wirksam war oder nicht. Voraussetzung für eine Zustellung durch Hinterlegung ohne vorausgehenden Zustellversuch nach § 8 Abs. 2 ZustG ist die Änderung der bisherigen Abgabestelle, die Unterlassung der Mitteilung hievon und die Unmöglichkeit, eine (andere, neue) Abgabestelle ohne Schwierigkeiten festzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2005/20/0480).

Aus den oben wiedergegebenen Ausführungen im zweitangefochtenen Bescheid ergibt sich, dass die belangte Behörde die Wirksamkeit der in Frage stehenden Zustellung ohne Weiteres unterstellte und eine Begründung für diese Auffassung unterließ. Für die Frage der von Amts wegen zu prüfenden Wirksamkeit der hier in Rede stehenden Zustellung hätte die belangte Behörde aber dem Umstand Bedeutung zumessen müssen, dass der Beschwerdeführer am aus der Schubhaft entlassen worden war, das Bundesasylamt aber seinen Bescheid vom bereits am aufgrund einer negativ verlaufenen Meldeauskunft vom selben Tag ohne weiteren Zustellversuch im Akt hinterlegte.

Ausgehend davon, dass durch die Entlassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft eine Änderung der Abgabestelle im Sinne des § 2 Z 5 ZustG eingetreten war, war der Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 ZustG verpflichtet, dem Bundesasylamt dies auch mitzuteilen. Die Mitteilung hatte unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern zu erfolgen (vgl. Stumvoll in Fasching/Konecny2 , ErgBd, § 8 ZustG Rz 7).

In seinem Erkenntnis vom , Zl. 2006/19/0079, hat der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang festgestellt, dass bei der Beurteilung der "Unverzüglichkeit" einer tatsächlich erfolgten Mitteilung in den für das Asylverfahren - unter dem Gesichtspunkt der für Asylwerber zur Verfügung stehenden Unterbringungsmöglichkeiten - typischen Fallgestaltungen zu berücksichtigen ist, dass es einige Tage dauern könne, bis der Inhalt der zu erstattenden Mitteilung, nämlich die Bekanntgabe einer neuen Abgabestelle oder des vorläufig ersatzlosen Verlustes der bisherigen, feststehe, und weiters nicht bei jedem Wechsel der Unterkunft zwangsläufig zwei Meldungen (eine über die Aufgabe der bisherigen und kurz darauf eine weitere über den Bezug der neuen) zu erfolgen haben.

Ausgehend davon war im konkreten Fall, in dem zwischen der Entlassung des Beschwerdeführers aus der Schubhaft (am ) und der Hinterlegung (am ) nur fünf Tage lagen, zum Zeitpunkt der Hinterlegung der Zeitraum, der dem Beschwerdeführer für die Mitteilung der Änderung zur Verfügung steht, noch nicht verstrichen und daher die Zustellung gemäß § 8 Abs. 2 ZustG nicht rechtswirksam.

Da die belangte Behörde dies verkannte, war auch der zweitangefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Da die Umsatzsteuer bereits im pauschalierten Schriftsatzaufwand enthalten ist, war das diesen übersteigende Mehrbegehren des Beschwerdeführers abzuweisen.

Wien, am