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VwGH vom 03.06.2020, Ra 2019/22/0156

VwGH vom 03.06.2020, Ra 2019/22/0156

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der O I, vertreten durch Mag. Susanne Singer, Rechtsanwältin in 4600 Wels, Ringstraße 9, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom , LVwG-750684/2/BP/CK, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom wurde der bei der Österreichischen Botschaft Abuja gestellte Antrag der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ gemäß § 46 Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen. Dabei berief sie sich auf ihre Ehe mit einem ebenfalls nigerianischen Staatsangehörigen, der aufgrund einer „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ zum Aufenthalt in Österreich berechtigt ist.

2Begründend führte die Behörde aus, die Revisionswerberin habe keine ausreichenden Deutschkenntnisse gemäß § 21a NAG nachgewiesen. Darüber hinaus werde „in Frage gestellt, ob der Aufenthaltszweck der Familienzusammenführung gegeben“ sei. Die Revisionswerberin habe beim Interview mit der Botschaft ihren Ehemann nicht beschreiben können. Selbst den Tag der Eheschließung und den Tag des Heiratsantrages habe sie verwechselt. Auch die Angaben zu den Lebensumständen des Ehemannes seien nicht korrekt gewesen. Es werde daher „der Aufenthaltszweck der Familienzusammenführung nach § 46 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 4 NAG nicht erfüllt“.

3In der dagegen erhobenen Beschwerde bestritt die Revisionswerberin das Fehlen von Deutschkenntnissen, zumal sie ein Sprachdiplom A1 vorgelegt habe. Weiters sei in der Entscheidung nicht näher ausgeführt, welche konkreten Angaben zu den Lebensumständen des Ehemannes nicht korrekt gewesen seien. Dass Eheleute ihr jeweiliges Gewicht und ihre Größe nicht wüssten, könne nicht entscheidungsrelevant sein. Auch sei es menschlich, dass der Tag der Eheschließung mit dem Tag des Heiratsantrages verwechselt werde. Es habe im April 2019 in Nigeria eine aufwändige traditionelle Hochzeit mit allen Familienmitgliedern stattgefunden und es seien zahlreiche Fotos sowie Videoaufnahmen gemacht worden. Zudem habe es in den Jahren 2016 und 2017 längere Besuche des Ehemannes der Revisionswerberin in Nigeria gegeben. Darüber hinaus sei über moderne Kommunikationsmittel täglich Kontakt gehalten worden.

4Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wies mit dem gegenständlichen Erkenntnis - ohne Durchführung der beantragten Verhandlung - die Beschwerde ab. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.

5Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Revisionswerberin sei mit ihrem nunmehrigen Ehemann im Jahr 2013 oder 2014 eine Beziehung eingegangen. Im September 2015 habe der Ehemann in Österreich zu studieren begonnen und halte sich seither mit Ausnahme zweier Heimatbesuche in Nigeria im Jänner 2016 und im Jänner 2017 in Österreich auf. Im Jänner 2017 habe die standesamtliche Eheschließung in Nigeria stattgefunden; im April 2019 die traditionelle Hochzeit. Die Revisionswerberin habe bei ihrer Befragung vor der österreichischen Botschaft in Abuja weder Größe noch Gewicht des Ehemannes angeben können. Hinsichtlich des Hochzeitstermines habe die Revisionswerberin angegeben, dass sie diesen 15 Tage vor der Hochzeit unter Vorlage eines Passbildes beim Standesamt reserviert hätte.

6Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht aus, der entscheidungsrelevante Sachverhalt ergebe sich zweifelsfrei aus dem Verwaltungsakt und der Beschwerde, wobei dem Vorbringen des Ehemannes der Revisionswerberin im Rahmen der mündlichen Stellungnahme vor der belangten Behörde vollinhaltlich Glauben geschenkt werde.

7In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, es sei aufgrund der Umstände des Falles davon auszugehen, dass die Eheleute kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen würden. Wenn der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels erst zwei Jahre nach der Eheschließung gestellt werde, so habe in der Zwischenzeit offenbar kein dringendes Bedürfnis seitens der beiden Ehepartner bestanden, einen gemeinsamen Haushalt zu führen bzw. generell im gleichen Land bzw. am selben Kontinent zu leben. Im Jahr 2018 habe überhaupt kein direkter Kontakt (die Kommunikation über soziale Medien ausklammernd) stattgefunden. Ins Auge falle im Zusammenhang mit der traditionellen Hochzeit vor allem die Tatsache, dass diese kurze Zeit nachdem die Revisionswerberin vom Ergebnis der Beweisaufnahme - und damit vom für sie negativen Zwischenergebnis der Behörde - erfahren hätte, erfolgt sei. Dabei würden Details wie das fehlende Wissen der Revisionswerberin hinsichtlich der Größe und des Gewichtes des Ehemannes dieses Bild abrunden. Hinsichtlich der angegebenen Reservierung des Termines beim Standesamt 15 Tage vor der Hochzeit unter Vorlage eines Passbildes sei auf die Darstellung der österreichischen Botschaft in Abuja zu verweisen, wonach in Nigeria neben dem Passbild auch Reisepass, Geburtsurkunde, Ledigenbescheinigung und ein ärztliches Attest bei der Terminreservierung vorzuweisen seien. Auch sei eine Frist von mindestens fünf Wochen zwischen Terminreservierung und tatsächlicher Hochzeit einzuhalten. Unter Zugrundelegung dieser Tatsachen seien die Angaben der Revisionswerberin fragwürdig. Bei lebensnaher Betrachtung all dieser Umstände sei der Schluss zulässig, dass eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 11 Abs. 1 Z 4 iVm § 30 Abs. 1 NAG und damit ein absoluter Versagungsgrund für die Erteilung eines Aufenthaltstitels vorliege.

8Zum Absehen von der Durchführung einer Verhandlung führte das Verwaltungsgericht aus, dass entgegen dem darauf gerichteten Parteienantrag gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG davon abgesehen habe werden können, weil die Akten erkennen ließen, dass eine weitere Erörterung für die Rechtssache angesichts der Tatsachen, dass dem Ehemann der Revisionswerberin vollinhaltlich geglaubt werde und sich die Revisionswerberin selbst in Nigeria aufhalte, ergebnisneutral wäre und dem auch nicht Art. 6 EMRK sowie Art. 47 GRC entgegenstünde.

9Die ordentliche Revision sei unzulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen gewesen sei, der grundsätzliche Bedeutung zukomme.

10In der dagegen gerichteten außerordentlichen Revision wurde zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen ausgeführt, das Verwaltungsgericht habe seine Begründungs- und Ermittlungspflicht verletzt und keine mündliche Verhandlung durchgeführt (unter Hinweis auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes). Die beantragte mündliche Beschwerdeverhandlung wäre dazu dienlich gewesen, den Sachverhalt aufzuklären und eine inhaltlich anders lautende Entscheidung herbeizuführen. Der in Österreich lebende Ehemann hätte insbesondere zu dem Thema befragt werden müssen, weshalb der Antrag auf Familienzusammenführung erst zwei Jahre nach der standesamtlichen Eheschließung gestellt worden sei. Es gäbe hier vielfältige Gründe, wie etwa das damals noch fehlende Einkommen aufgrund des Studiums des Ehemannes. Tatsache sei, dass die Beziehung der Eheleute bereits relativ lange vor der Heirat im Jahr 2017 bestanden habe, also bevor der Ehemann der Revisionswerberin nach Österreich gereist sei. Weiters sei Tatsache, dass eine gültige standesamtliche Hochzeit vorliege. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes bezüglich einer Frist zwischen Terminreservierung und tatsächlicher Hochzeit, vor allem wenn diese ordnungsgemäß erfolgt sei, hätten keine Aussagekraft. Auch fehlendes Wissen hinsichtlich Größe und Gewicht des Ehemannes rechtfertigten nicht die Annahme einer Scheinehe. Der Revisionswerberin könne nicht vorgehalten werden, dass die traditionelle Hochzeit kurze Zeit, nachdem die Revisionswerberin vom negativen Zwischenergebnis der Behörde erfahren hätte, stattgefunden habe, weil die - auch in finanzieller Hinsicht - aufwändige Hochzeit über einen längeren Zeitraum geplant worden sei.

11Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens erwogen:

12Die Revision ist zulässig, weil sie zutreffend aufzeigt, dass das Verwaltungsgericht in Bezug auf seine Verhandlungs- und Begründungspflicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

13Gemäß § 30 Abs. 1 NAG dürfen sich Ehegatten oder eingetragene Partner, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe oder eingetragene Partnerschaft berufen.

14Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG auf Antrag eine mündliche Verhandlung durchzuführen, welche der Erörterung der Sach- und Rechtslage sowie der Erhebung der Beweise dient (vgl. und 0069, unter Hinweis auf , Ra 2015/22/0008). Als Ausnahme von dieser Regel kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Antrages gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Dies ist dann der Fall, wenn von vornherein absehbar ist, dass die mündliche Erörterung nichts zur Ermittlung der materiellen Wahrheit beitragen kann (vgl. zu den Voraussetzungen, inwiefern das Vorbringen erkennen lässt, dass die Durchführung einer Verhandlung eine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen nicht erwarten lässt: und 0018; , Ra 2014/21/0039; , Ra 2014/06/0033), und auch keine Rechtsfragen aufgeworfen werden, deren Erörterung in einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erforderlich wäre (vgl. ua.).

15Im vorliegenden Fall beantragte die Revisionswerberin in der Beschwerde die Durchführung einer Verhandlung und trat dem von der Behörde festgestellten Sachverhalt (im Hinblick auf die Annahme, es liege kein gemeinsames Familienleben vor; auf etwaig fehlende Deutschkenntnisse der Revisionswerberin stützte sich das Verwaltungsgericht nicht) entgegen. Dass im vorliegenden Fall kein geklärter Sachverhalt vorlag und auch nicht davon ausgegangen werden konnte, dass eine Verhandlung keine weitere Klärung der Entscheidungsgrundlagen hätte erwarten lassen, zeigt bereits die ergänzende Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes zum Vorbringen der Revisionswerberin.

16Soweit das Verwaltungsgericht ausführt, dass dem Vorbringen des Ehemannes ohnehin „vollinhaltlich geglaubt“ worden sei, und auf seine „mündliche Stellungnahme“ vor der Behörde verweist, ist darauf hinzuweisen, dass der Ehemann gemäß dem Aktenvermerk der Behörde vom eine Begründung dafür angibt, warum die Revisionswerberin seine Größe und sein Gewicht nicht habe nennen können. Mit diesem Vorbringen setzte sich das Verwaltungsgericht nicht auseinander.

17Darüber hinaus betonte der Verwaltungsgerichtshof in seiner ständigen Rechtsprechung, dass die Frage der Intensität der privaten und familiären Bindungen in Österreich nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen reduziert werden kann, sondern der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK relevanten Umstände besondere Bedeutung zukommt (vgl. , mwN). Diese Rechtsprechung ist für die nach § 30 Abs. 1 NAG relevante Frage, ob Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK führen oder nicht, auch auf den vorliegenden Fall, in dem lediglich der Ehegatte der Revisionswerberin in Österreich aufhältig ist, übertragbar.

18Betreffend das Vorliegen einer Aufenthaltsehe und damit für die Beurteilung eines Erteilungshindernisses gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG konnte das Verwaltungsgericht nicht von einem geklärten Sachverhalt ausgehen. Das Verwaltungsgericht hätte demnach - wie die Revision zutreffend aufzeigt - nicht gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Aufgrund des ungeklärten Sachverhaltes hätte eine Verhandlung durch das Verwaltungsgericht auch nicht gemäß § 19 Abs. 12 NAG, wonach unbeschadet des § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durch das Verwaltungsgericht des Landes unterbleiben kann, wenn der Sachverhalt abschließend feststeht und die Revisionswerberin im Ausland aufhältig und nicht zur Einreise in das oder zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt ist, unterbleiben können.

19Abgesehen davon ist dem Verwaltungsgericht insoweit ein relevanter Begründungsmangel unterlaufen, als es sich mit den in der Beschwerde vorgebrachten Argumenten nicht auseinandergesetzt hat. Insbesondere hat es das Vorbringen, dass täglich über soziale Kommunikationsmittel ein Kontakt zwischen den Eheleuten besteht, nicht beachtet.

20Daher war das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

21Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

22Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220156.L00
Schlagworte:
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete

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