VwGH vom 08.10.2019, Ra 2019/22/0148

VwGH vom 08.10.2019, Ra 2019/22/0148

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision der P P B, vertreten durch Mag. Geraldine Marsak-Lopez, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 109/12, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW- 151/018/13690/2018-7, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin, eine philippinische Staatsangehörige, stellte am bei der österreichischen Botschaft in Manila einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung "Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zum Zweck der Familienzusammenführung mit ihrer Wahlmutter, einer österreichischen Staatsbürgerin.

2 Der Landeshauptmann von Wien (Behörde) wies den Antrag mit Bescheid vom ab.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) die Beschwerde der Revisionswerberin als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für unzulässig.

Begründend führte das VwG im Wesentlichen aus, die Revisionswerberin sei erst durch die Bewilligung der Annahme an Kindes statt mit Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , gemäß § 192 Abs. 1 ABGB wirksam mit , zur "sonstigen Angehörigen" im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG geworden; die familiären Beziehungen zur Wahlmutter seien "erst durch die Bewilligung der Annahme an Kindes statt gemäß § 192 Abs. 1 ABGB mit Wirksamkeit vom " entstanden. "Allfällige frühere finanzielle Unterstützungen der Bf. auf den Philippinen fanden zum einen jedenfalls zu einem Zeitpunkt statt, in welchem diese noch nicht den Status einer sonstigen Angehörigen der zusammenführenden Wahlmutter hatte, zum anderen nicht regelmäßig durch Überweisungen auf ein Konto der Bf., sodass diese schon daher auch im Einzelnen der Höhe nach kaum nachzuweisen sind und auch nicht erwiesen werden kann, dass solche Beträge ausschließlich der Bf. zu Gute kamen."

"Das Familienleben eines Fremden genießt aber nur dann einen erhöhten Schutz, wenn die familiären Beziehungen zu einem Zeitpunkt begründet wurden, als der Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war und mit der Erteilung weiterer Bewilligungen rechnen durfte" (Unterstreichungen im Original). Auch eine Abwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG falle zu Ungunsten der Revisionswerberin aus. Schließlich verneinte das VwG auch aus dem Blickwinkel des , Dereci, dass der Revisionswerberin ein Aufenthaltstitel zu erteilen sei.

4 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die außerordentliche Revision mit dem Begehren, eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof durchzuführen und das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6 Die Revisionswerberin macht zur Zulässigkeit der Revision ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs insofern geltend, als die Revisionswerberin die Nichte ihrer Wahlmutter und somit bereits vor Annahme an Kindes statt eine "sonstige Angehörige" im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG gewesen sei (Hinweis auf ). Darüber hinaus habe das VwG nicht alle von der Revisionswerberin vorgebrachten Beweismittel verwertet, um die von der Zusammenführenden geleisteten Unterhaltsmittel festzustellen.

7 Die Revision ist angesichts dieses Vorbringens zulässig und auch begründet.

8 § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 68/2013, lautet:

"Aufenthaltstitel ‚Familienangehöriger' und ‚Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'

§ 47. (1) ...

(3) Angehörigen von Zusammenführenden kann auf Antrag eine ‚Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird,

2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird oder

3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat

Unterhalt bezogen haben,

b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen. Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

(4) ..."

9 Die Revision bringt zutreffend vor, dass die Revisionswerberin als Nichte ihrer nunmehrigen Wahlmutter bereits "sonstige Angehörige" im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG war. Die Verwandtschaft zwischen der Revisionswerberin und ihrer Wahlmutter ergibt sich eindeutig aus dem Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , mit dem die Annahme an Kindes statt bewilligt wurde; dieser lag bereits der Behörde vor. Die Ansicht des VwG, die Revisionswerberin gelte erst ab dem als sonstige Angehörige im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG, ist somit unzutreffend. Es kann daher dahinstehen, ob Unterhaltszahlungen erst ab dem Zeitpunkt zu berücksichtigen wären, ab dem Drittstaatsangehörige die Voraussetzung als sonstige Angehörige erfüllten, weil ein solcher Sachverhalt vorliegend nicht zu beurteilen ist.

10 Auch die Rüge der mangelhafen Ermittlung der Unterhaltsleistungen der Wahlmutter an die Revisionswerberin ist berechtigt.

Der Verwaltungsgerichtshof sprach zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt aus, diese habe jenen Anforderungen zu entsprechen, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordere zunächst die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhalts, eine nachvollziehbare Beweiswürdigung und schließlich die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides führten. Diesen Erfordernissen würden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergäben (vgl. etwa , mwN). Darüber hinaus ist der ständigen hg. Rechtsprechung zufolge § 47 Abs. 3 Z 3 NAG eine Beweismittelbeschränkung auf urkundliche Vorlage von Zahlungs- oder Kontobelegen nicht zu entnehmen (vgl. etwa , mwN).

11 Den oben angeführten Anforderungen genügt das angefochtene Erkenntnis nicht. In der Beschwerde wurde zum Nachweis dafür, dass Überweisungen für die Revisionswerberin aus Kostengründen teilweise an die Schwester der Wahlmutter erfolgt seien, die Einvernahme der Schwester im Wege der Amtshilfe beantragt. Zum Beweis dafür, dass finanzielle Unterstützungen durch Freunde der Familien persönlich überbracht worden seien, wurde die Vernehmung von drei in Wien wohnhaften Zeugen - mit vollem Namen und Wohnsitz - beantragt. Im ergänzenden Beschwerdevorbringen vom wurde darüber hinaus auf eine Erklärung der Familie J. vor dem Notar vom verwiesen, aus der hervorgeht, dass die von der Wahlmutter auf dem Konto der Familie J. eingehenden Überweisungen an die Revisionswerberin weitergeleitet würden, sowie die Einvernahme der Wahlmutter beantragt. In eventu wurde die zeugenschaftliche Einvernahme von weiteren zwei, auf den Philippinen wohnhaften Personen im Rechtshilfeweg beantragt.

Mit all diesen Anträgen setzte sich das VwG nicht auseinander und begründete dieses Unterlassen mit keinem Wort. Am fand zwar eine Verhandlung vor dem VwG statt, bei der die Wahlmutter anwesend war, aus dem Protokoll geht jedoch nicht hervor, dass diese befragt worden wäre. Den Verfahrensakten zufolge wurden die beantragten weiteren Zeugen nicht zur Verhandlung geladen. Diese unterbliebenen Sachverhaltsermittlungen können auch nicht mit der - unzutreffenden - Rechtsansicht des VwG begründet werden, die Unterhaltszahlungen seien erst ab dem zu berücksichtigen, weil die Revisionswerberin erst ab diesem Zeitpunkt als sonstige Angehörige im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG gelte.

12 Das angefochtene Erkenntnis weicht damit von der hg. Rechtsprechung zur Begründungspflicht ab. Mangels ordnungsgemäßer Begründung ist der Verwaltungsgerichtshof gehindert, seine Rechtskontrollaufgabe im Sinn des § 41 VwGG wahrzunehmen. Daher war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

13 Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.

14 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20

14.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220148.L00
Schlagworte:
Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Beweismittel Grundsatz der Unbeschränktheit

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