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VwGH vom 20.10.2010, 2008/23/0495

VwGH vom 20.10.2010, 2008/23/0495

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung

verbunden):

2008/23/0497

2008/23/0496

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Hofbauer und Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerden 1. der PE, geboren 1976, 2. der FO, geboren 2006, und 3. des ME, geboren 2005, alle vertreten durch Mag. Hubert Hohenberger, Rechtsanwalt in 2320 Schwechat, Brauhausstraße 9A/12, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom , Zlen. 302.461-C1/7E-XV/54/06 (ad 1., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0495), 311.551- 1/2E-XV/54/07 (ad 2., protokolliert zur hg. Zl. 2008/23/0496) und 302.462-C1/5E-XV/54/06 (ad 3., protokolliert zur Zl. 2008/23/0497), betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (ad 1. und 3.) bzw. §§ 3, 8 und 10 Asylgesetz 2005 (ad 2.), (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres)

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Die angefochtenen Bescheide werden jeweils im Umfang ihres Spruchpunktes III. (Ausweisung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria) hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde, hinsichtlich der Erstbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.106,40, insgesamt somit EUR 3.319,20, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind nigerianische Staatsangehörige; die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer sind die minderjährigen Kinder der Erstbeschwerdeführerin. Alle beschwerdeführenden Parteien beantragten Asyl bzw. internationalen Schutz im Familienverfahren.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden vom die Asylanträge der Erstbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab, erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies diese beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem Bundesgebiet nach Nigeria aus. Mit Bescheid vom wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) abgewiesen, ihr der Status der Asylberechtigten und gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 auch jener der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Nigeria nicht zuerkannt. Ein Ausweisungsausspruch unterblieb mit dem begründenden Hinweis auf eine familiäre Bindung der Zweitbeschwerdeführerin zu ihrem Vater, der über einen unbefristeten Aufenthaltstitel (in Österreich) verfüge.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gemäß § 7 AsylG bzw. gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), stellte die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 50 Fremdengesetz (erkennbar gemeint: § 50 Fremdenpolizeigesetz 2005) fest bzw. erkannte den Status einer subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 nicht zu (Spruchpunkt II.) und wies sämtliche beschwerdeführenden Parteien gemäß § 8 Abs. 2 AsylG bzw. gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus (Spruchpunkt III.).

Begründend führte die belangte Behörde zu den Ausweisungen im Wesentlichen aus, die Erstbeschwerdeführerin stehe mit dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin, einem zum unbefristeten Aufenthalt in Österreich berechtigten nigerianischen Staatsangehörigen, in keiner Beziehung und führe mit diesem insbesondere keine Lebensgemeinschaft. Da kein Familienleben (mit diesem Mann) bestehe, könne die Ausweisung in ein solches auch nicht eingreifen. Zudem sei den Beschwerdeführerinnen zumutbar, ein allfälliges Familienleben mit dem Vater der Zweitbeschwerdeführerin in (dem gemeinsamen Herkunftsland) Nigeria zu führen.

Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Zu I.:

1. Mit der verfügten Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin verkannte die belangte Behörde den Gegenstand des diese betreffenden Berufungsverfahrens.

Die den Entscheidungsspielraum der Berufungsbehörde begrenzende "Sache" des Berufungsverfahrens ist nicht jene Angelegenheit, welche in erster Instanz in Verhandlung war, sondern die, die den Inhalt des Spruchs des Bescheides der Unterinstanz gebildet hat (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), E 111 f zu § 66 AVG, wiedergegebene hg. Rechtsprechung).

Die Befugnis der Berufungsbehörde in der Sache selbst zu entscheiden, erstreckt sich nur auf die "Sache" des Berufungsverfahrens, also auf den Gegenstand des Verfahrens der Vorinstanz, soweit der darüber ergangene Bescheid mit Berufung angefochten wurde. Gegenstand des Berufungsbescheides kann daher im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG nur sein, was auch Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung gewesen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 95/21/0030, m.w.N.).

§ 66 Abs. 4 AVG bietet somit keine Grundlage dafür, unter Übergehung der ersten Instanz aus Anlass einer Berufung in der Berufungsentscheidung selbst erstmals über eine Angelegenheit abzusprechen, über die die erste Instanz nicht abgesprochen hat. Der unabhängige Bundesasylsenat als Berufungsbehörde darf daher nur dann über eine Ausweisung entscheiden, wenn bereits das Bundesasylamt darüber abgesprochen hat (vgl. zu § 8 Abs. 2 i.V.m.

§ 44 Abs. 3 AsylG auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/20/0500, u.a.).

Indem die belangte Behörde die Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin nach Nigeria verfügt hat, obwohl das Bundesasylamt über deren Ausweisung nicht gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 abgesprochen hat, hat sie eine ihr nach dem Gesagten nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen. Spruchpunkt III. des zweitangefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

2. In Anbetracht der Aufhebung der die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden Ausweisung und infolge der dieser Aufhebung innewohnenden ex tunc-Wirkung (§ 42 Abs. 3 VwGG) erweisen sich auch die hinsichtlich der erst- und folglich auch der drittbeschwerdeführenden Partei verfügten Ausweisungen als verfehlt, zumal nicht zu erkennen ist, dass öffentliche Interessen es erfordern würden, dass die Mutter der minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin - oder allenfalls ohne dieser der minderjährige Drittbeschwerdeführer - Österreich vor einer Entscheidung über die Ausweisung der Zweitbeschwerdeführerin verlassen müssen (vgl. zu einem Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Familienleben durch eine Ausweisung bloß einzelner Familienmitglieder die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/19/1054, vom , Zlen. 2008/23/0164, 0166, sowie vom , Zl. 2008/19/0158, u.v.a.).

Der erst- und der drittangefochtene Bescheid waren daher jeweils in ihrem Spruchpunkt III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Zu II.:

Gemäß Art. 131 Abs. 3 B-VG und § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde gegen einen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen wird, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Beschwerden werfen - soweit sie sich nicht auf die jeweils mit Spruchpunkt III. verfügten Ausweisungen in den angefochtenen Bescheiden beziehen - keine für die Entscheidung dieser Fälle maßgeblichen Rechtsfragen auf, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme. Gesichtspunkte, die dessen ungeachtet gegen eine Ablehnung der Beschwerdebehandlung sprechen würden, liegen nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat daher beschlossen, die Behandlung der Beschwerden im Übrigen abzulehnen.

Wien, am

Fundstelle(n):
JAAAE-85834