VwGH vom 22.10.2015, 2013/16/0217
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Dr. Thoma, die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Klammer, über die Beschwerde der M W in W, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/3388- W/11, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine kenianische (alias nigerianische) Staatsangehörige, hält sich seit in Österreich auf. Ihr an diesem Tag gestellter Asylantrag wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Die Beschwerdeführerin ist Mutter eines am geborenen Kindes, das die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt. Ihr zweites Kind wurde am geboren und verstarb am . Der Vater der Kinder und Ehemann der Beschwerdeführerin ist österreichischer Staatsbürger, wohnte im für das verwaltungsgerichtliche Verfahren relevanten Zeitraum nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit der Beschwerdeführerin und ihren Kindern und leistete an sie keine Unterhaltszahlungen.
Das Finanzamt Wien 8/16/17 wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf Familienbeihilfe mit Bescheid vom für Jänner 2011 bezüglich des verstorbenen Kindes und für den Zeitraum ab Jänner 2011 ohne Angabe eines Endzeitpunktes bezüglich des anderen Kindes mit der Begründung ab, dass die Beschwerdeführerin weder über einen "Aufenthaltstitel gemäß § 8 und § 9 NAG" noch über einen positiven Asylbescheid verfüge.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin u.a. vor, ihr Aufenthalt in Österreich sei "nach der UnionsbürgerRL iVm § 57 u. § 54 Abs 1 NAG" rechtmäßig. Im Schriftsatz vom führte sie dazu ergänzend aus, ihr Ehemann habe zwischen September und Dezember 2009 in Spanien gearbeitet, und sie verwies auf das beim Landeshauptmann von Wien anhängige Verfahren zur Ausstellung einer Aufenthaltskarte.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung, soweit sie die Monate Jänner bis März 2011 betrifft, mit Blick auf das am beendete Asylverfahren statt und wies die Berufung für den Zeitraum ab April 2011 als unbegründet ab. Sie stellte fest, die Beschwerdeführerin "besitzt bis dato keine NAG Karte, der diesbezügliche Antrag vom auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei nach ihren eigenen Angaben noch nicht erledigt worden." Rechtlich führte sie aus, nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , 2009/18/0061, und vom , 2008/18/0094) sei der Aufenthalt des Fremden erst mit der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung und nicht schon nach der Stellung eines darauf abzielenden Antrages rechtmäßig. Da der Beschwerdeführerin eine solche Niederlassungsbewilligung trotz Antrages noch nicht erteilt worden sei und für den Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 3 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) "allein auf den Zeitpunkt der Erteilung eines in den §§8 und 9 NAG 1967 genannten Aufenthaltstitels abzustellen" sei, erweise sich die Berufung für den Zeitraum ab April 2011 als unbegründet. Die Beschwerdeführerin habe für ihre weitere Behauptung, sie verfüge über eine spanische Aufenthaltsbewilligung, keine Nachweise erbracht. Eine Beurteilung, ob der in § 3 Abs. 1 FLAG normierte rechtmäßige Aufenthalt des Antragstellers verfassungsrechtlichen Bestimmungen widerstreite, obliege ihr nicht.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom , B 1321/2012-4, ablehnte. Über nachträglichen Antrag der Beschwerdeführerin trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde mit Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
In dem die Beschwerde ergänzenden Schriftsatz vom erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Zuerkennung der Familienbeihilfe verletzt.
Die belangte Behörde legte Teile der Akten des Verwaltungsverfahrens im noch aufgefundenen Umfang vor und reichte eine Gegenschrift ein, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Beschwerdefall sind gemäß § 28 Abs. 5 des Bundesfinanzgerichtsgesetzes (BFGG) iVm § 8 des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetzes (VwGbk-ÜG) die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des B-VG und des VwGG weiterhin anzuwenden.
§ 3 Abs. 1 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) in der Fassung des Fremdenrechtspaketes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 lautet:
" § 3 (1) Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, rechtmäßig in Österreich aufhalten."
§§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) in der Fassung des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 - FrÄG 2011, BGBl. I Nr. 38/2011 lauten auszugsweise samt Überschriften:
"3. Hauptstück
Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen Arten und Form der Aufenthaltstitel
§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:
1. Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung oder ein Gutachten gemäß §§ 12d oder 24 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;
2. Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot - Karte plus', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt;
3. Aufenthaltstitel 'Blaue Karte EU', der zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit, für die eine schriftliche Mitteilung gemäß § 12d Abs. 2 Z 4 AuslBG erstellt wurde, berechtigt;
4. 'Niederlassungsbewilligung', die zur befristeten Niederlassung und zur Ausübung einer selbständigen und einer unselbständigen Erwerbstätigkeit, für die eine entsprechende Berechtigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz gilt, berechtigt;
5. 'Niederlassungsbewilligung - ausgenommen Erwerbstätigkeit', die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt;
6. 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger', die zur befristeten Niederlassung ohne Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; die Ausübung einer Erwerbstätigkeit ist nur auf Grund einer nachträglichen quotenpflichtigen Zweckänderung erlaubt;
7. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EG' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;
8. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (Z 9) zu erhalten;
9. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;
10. 'Aufenthaltsbewilligung' für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69a).
...
Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts
§ 9. (1) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate werden auf Antrag ausgestellt:
1. eine 'Anmeldebescheinigung' (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, und
2. eine 'Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers' (§ 54) für Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind.
(2) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Daueraufenthaltsrechts werden auf Antrag ausgestellt:
1. eine 'Bescheinigung des Daueraufenthalts' (§ 53a) für EWR-Bürger, die das Daueraufenthaltsrecht erworben haben, und
2. eine 'Daueraufenthaltskarte' (§ 54a) für Drittstaatsangehörige, die Angehörige eines EWR-Bürgers sind und das Recht auf Daueraufenthalt erworben haben.
..."
Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind u.a. drittstaatsangehörige Ehegatten von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern zum Aufenthalt in Österreich für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen.
Für Angehörige von Österreichern gelten nach § 57 NAG die Bestimmungen der §§ 52 bis 56 NAG sinngemäß, sofern der Österreicher sein unionsrechtliches oder das ihm auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat oder in der Schweiz in Anspruch genommen hat und im Anschluss an diesen Aufenthalt nach Österreich nicht bloß vorübergehend zurückkehrt.
Nach den Erläuterungen zur Regierungsvorlage des Fremdenrechtspaketes 2005 (952 der Beilagen XXII. GP, 155) sollen Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, einschließlich Staatenloser, nunmehr dann Anspruch auf die Familienbeihilfe haben, wenn sie zur Niederlassung in Österreich berechtigt sind (Hinweis auf §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes).
Aus § 8 und § 9 NAG ergibt sich die gesetzliche Gliederung in Aufenthaltstitel und Dokumentationen des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/21/0564). Das unionsrechtlich begründete Recht auf Aufenthalt entfaltet unmittelbare Wirkung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/18/0024) und wird nach dem NAG nicht verliehen oder konstitutiv verschafft, sondern lediglich dokumentiert (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2008/22/0439, und vom , 2009/21/0378).
Daraus folgt, dass das von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Aufenthaltsrecht nach § 54 Abs. 1 iVm § 57 NAG auf ihren Antrag von der Niederlassungsbehörde durch Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 9 Abs. 1 Z 2 NAG zu dokumentieren ist. Für die nach § 3 Abs. 1 FLAG erforderliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des von der Beschwerdeführerin behaupteten unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes in Österreich kommt es somit nicht auf eine konstitutive Verleihung durch die Niederlassungsbehörde an. Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid für ihre Auffassung zitierten hg. Erkenntnisse betreffen indes Drittstaatsangehörige, die Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln nach § 8 NAG gestellt hatten, und sind insofern mit dem gegenständlichen Fall nicht vergleichbar.
Indem die belangte Behörde dies verkannte und vermeinte, für den Anspruch auf Familienbeihilfe gemäß § 3 Abs. 1 FLAG sei allein auf den Zeitpunkt der Erteilung eines u.a. in § 9 NAG genannten "Aufenthaltstitels" abzustellen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der im Beschwerdefall noch anwendbaren VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am