VwGH vom 17.09.2019, Ra 2019/22/0089
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revision des S P, vertreten durch Mag. Andreas Strobl, Rechtsanwalt in 1150 Wien, Hütteldorfer Straße 81b/1/DG/12, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VWG-151/011/12847/2018/-11, betreffend Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem NAG (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Am beantragte der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, beim Landeshauptmann von Wien unter Berufung auf seine Ehe mit einer ungarischen Staatsangehörigen, die in Österreich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigt ist, die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).
2 Nachdem der Landeshauptmann nicht über diesen Antrag entschieden hatte, brachte der Revisionswerber am eine Säumnisbeschwerde mit dem Antrag ein, das Verwaltungsgericht möge in der Sache selbst entscheiden und dem Antrag stattgeben.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde gemäß § 31 iVm § 8 VwGVG als unzulässig zurück. Weiters sprach es aus, dass die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
4 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht als "Sachverhaltsfeststellung" aus, dass kein überwiegendes Verschulden des Landeshauptmannes an der Säumnis vorliege, weil der Revisionswerber "bis zum heutigen Tag fehlende Unterlagen nicht nachgereicht" habe und der Vorwurf einer Scheinehe aufgrund mangelnder Mitwirkung des Revisionswerbers nicht ausgeräumt worden sei.
5 Unter dem Punkt "Beweiswürdigung" führte das Verwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber unvollständige Einreichunterlagen vorgelegt habe. Dem Verwaltungsakt sei weder ein Nachweis des Haushaltseinkommens, noch ein Wohnungsnachweis, eine Krankenversicherung, ein Passfoto oder Leumundszeugnis angeschlossen. Weiters habe sich im Verfahren aus Sicht des Landeshauptmannes der nicht unbegründete Verdacht einer Scheinehe ergeben. Die Staatsanwaltschaft Wien habe festgestellt, dass nach § 64 StGB eine Verfolgung im Bundesgebiet wegen der in Serbien geschlossenen Ehe ausscheide. Am sei ein (anonymes) Schreiben beim Landeshauptmann eingelangt, worin der Revisionswerber der Scheinehe "gegen Zahlung von EUR 10.000" bezichtigt worden sei.
6 Unter "rechtlicher Würdigung" führte das Verwaltungsgericht aus, dass im Sinn der Sachverhaltsfeststellung zu den ungenügenden Einreichunterlagen, der fehlenden Mitwirkung, insbesondere der ungeklärten Sachlage zum Verdacht der Scheinehe, ein Verschulden des Landeshauptmannes zum überwiegenden Teil zu verneinen sei. Entgegen den Ausführungen in der Säumnisbeschwerde habe die Staatsanwaltschaft keineswegs das Vorliegen einer Scheinehe verneint. Es müsse dem Landeshauptmann "zugesonnen werden, die erst wenige Tage vor der Säumnisbeschwerde eingegangene konkretisierte Mitteilung nach § 37 NAG einer inhaltlichen Beurteilung zuzuführen". Das Ehepaar sei im Zuge der Einvernahme vom seiner Mitwirkungspflicht gemäß § 29 NAG nicht nachgekommen. "Die anwaltliche Vertretung" habe es unterlassen, die Nachweise des Haushaltseinkommens und eines Rechtsanspruches auf eine Wohnung sowie eine Krankenversicherung, Passfotos und ein Leumundszeugnis vorzulegen, und somit kein überwiegendes Verschulden der Behörde aufgezeigt.
7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Die Revision bringt in der Zulässigkeitsbegründung auf das Wesentliche zusammengefasst vor, die Behörde wäre - unabhängig davon, dass sie keine Nachweise urgiert habe und auch keine Scheinehe vorliege - verpflichtet gewesen, binnen sechs Monaten über den gegenständlichen Antrag zu entscheiden und zwar auch dann, wenn der Revisionswerber seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen wäre. Das habe das Verwaltungsgericht verkannt. Die Behörde habe die Entscheidungsfrist um sechzehn Monate überschritten.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Die Revision ist im Hinblick auf das Vorbringen des Revisionswerbers zulässig und auch berechtigt.
11 Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erhoben werden, wenn die Behörde die Sache (ausgenommen kürzerer oder längerer gesetzlicher Entscheidungsfristen) nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
12 Im vorliegenden Fall brachte der Revisionswerber den gegenständlichen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte am ein, sodass die sechsmonatige Entscheidungsfrist bei Einbringung der Säumnisbeschwerde am abgelaufen war.
13 Soweit das Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit seiner Beurteilung, wonach kein überwiegendes Verschulden der Behörde vorliege, auf eine mangelnde Mitwirkungspflicht des Revisionswerbers in Bezug auf fehlende Unterlagen und auf den Verdacht einer Scheinehe hinweist, ist auszuführen, dass selbst eine Mitwirkungspflichtverletzung des Antragstellers nicht dazu führen kann, dass die Behörde von ihrer Verpflichtung entbunden wird, über den Antrag des Revisionswerbers innerhalb der Entscheidungsfrist einen Bescheid zu erlassen (vgl. , Rn. 27). Vielmehr hätte die Behörde (das Verwaltungsgericht) eine etwaig unterlassene Mitwirkung des Revisionswerbers würdigen und ihre (aufgrund einer fehlenden Mitwirkung allenfalls auch negativ ausfallende) Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsfrist treffen müssen (vgl. nochmals VwGH Ra 2018/03/0021, Rn. 28, mwN).
14 Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt, sodass schon aus diesen Erwägungen das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
15 Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019220089.L00 |
Schlagworte: | Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Mitwirkungspflicht |
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