VwGH vom 17.11.2010, 2008/23/0275
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, in der Beschwerdesache des I M, geboren 1977, vertreten durch Dr. Stefan Joachimsthaler, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Kandlgasse 32/10, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 239.696/11-VIII/22/05, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, beantragte am in Österreich die Gewährung von Asyl.
Nach Einvernahme am , in welcher der Beschwerdeführer kurz zusammengefasst vorbrachte, seit 2002 gezielt gesucht zu werden, weil ihm einerseits (zu Unrecht) die Ermordung von fünf Polizisten in Urus-Martan im Jahre 2002 angelastet werde und er bereits durch seine Unterstützungstätigkeit für den tschetschenischen Widerstandskampf in den beiden Tschetschenienkriegen, besonders aber aufgrund seiner den Russen bekannt gewordenen Tätigkeit unter Maschadow im tschetschenischen Innenministerium ins Blickfeld geraten sei, wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchteil I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation für zulässig (Spruchteil II.) und wies den Beschwerdeführer "aus dem österreichischen Bundesgebiet" aus (Spruchteil III.). In seiner Begründung legte das Bundesasylamt zwar das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde, ging aber davon aus, dass aufgrund der vagen, sehr allgemein gehaltenen Angaben das Interesse der Behörden am Beschwerdeführer eher gering gewesen und keine individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete asylrelevante Verfolgung feststellbar sei. Auch das Einschreiten der Behörden im Gefolge der Ermordung der fünf Polizisten sei keine Verfolgung, sondern im Zusammenhang mit der Begehung einer strafbaren Handlung stehend zu werten; es wäre am Beschwerdeführer gelegen gewesen, seine Unschuld den Behörden nachzuweisen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die dagegen erhobene Berufung hinsichtlich Spruchteil I. ab, erklärte jedoch in Stattgebung der Berufung hinsichtlich der Spruchpunkte II. und III. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Russland" für nicht zulässig und erteilte dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung. In ihrer Bescheidbegründung hielt die belangte Behörde fest, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe als nicht glaubwürdig anzusehen sei, weil es "relativ oberflächlich und vage, teilweise wohl konkret, aber keineswegs detailliert" sei, und sich der Beschwerdeführer - unter näherer Ausführung - mehrfach in zentralen Punkten seines Vorbringens widersprochen habe.
Gegen die Versagung der Asylgewährung richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Die Beschwerde wendet sich gegen die Beweiswürdigung der belangten Behörde und zeigt damit relevante Verfahrensmängel auf.
Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen. Dem Gerichtshof kommt es hingegen nicht zu, die Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden.
Im Übrigen sind nach dem gemäß § 67 AVG auch von der Berufungsbehörde anzuwendenden § 60 AVG in der Begründung des Berufungsbescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen. Demnach muss in der Bescheidbegründung in einer eindeutigen, die Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichenden und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglichen Weise dargetan werden, welcher Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die Behörde zu der Ansicht gelangte, dass gerade dieser Sachverhalt vorliege, und aus welchen Gründen sie die Subsumtion dieses Sachverhalts unter einem bestimmten Tatbestand als zutreffend erachtete (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2007/19/1248 bis 1252, mwN).
Diesen rechtlichen Anforderungen entspricht der angefochtene Bescheid nicht.
Zum einen stützt sich die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid darauf, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers "insbesondere über die behauptete Verfolgung in Tschetschenien, aber auch beispielsweise über seine Tätigkeit im Präsidentenapparat (...) relativ oberflächlich und vage, teilweise wohl konkret, aber keineswegs detailliert (was sowohl für die Erstals auch für die zweitinstanzliche Einvernahme (gelte)) (sei)". Diese Beurteilung wird durch keinerlei nähere Darlegung ausgeführt.
Ferner meint die belangte Behörde zentrale Widersprüche im Vorbringen des Beschwerdeführers zu erkennen. So wirft sie dem Beschwerdeführer vor, er habe zu seiner behaupteten Teilnahme an beiden Tschetschenienkriegen unterschiedliche Angaben erstattet. Dabei übersieht die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer stets von einer aktiven Teilnahme gesprochen und damit offenbar seine Unterstützung der Widerstandskämpfer gemeint hat; in Abrede gestellt hat er dagegen eine aktive Teilnahme am bewaffneten Kampf. Als Begründung für das Vorliegen eines Widerspruchs im Vorbringen ist dieser Umstand aber nicht tragfähig.
Auch den vermeintlichen Widerspruch in den zeitlichen Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Festnahme vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht zu erkennen. Vor dem Bundesasylamt hatte der Beschwerdeführer zu diesem Thema angegeben, er sei im Jahr 2001 einmal verhaftet und am selben Tag freigelassen worden. Der Vorhalt der belangten Behörde in der Verhandlung am , wonach der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt angegeben habe, er sei im Jahr 2000 verhaftet worden, ist aktenwidrig und vermag somit keinen Widerspruch aufzuzeigen; von einem "Austausch des Vorbringens", wie die belangte Behörde in ihrer Beweiswürdigung anführt, kann daher nicht die Rede sein.
Wenn die belangte Behörde dem Beschwerdeführer ferner vorwirft, er habe vor dem Bundesasylamt angegeben, dass er zu Unrecht mit der Ermordung von fünf Polizisten in Urus-Martan in Zusammenhang gebracht werde, während "er dieses Vorbringen erst über ausdrücklichen Vorhalt des Verhandlungsleiters in der Berufungsverhandlung bestätigte", ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die belangte Behörde aus der bloßen Nachfrage zu diesem Vorbringenselement - ohne ersichtliche Aussagedivergenz - auf einen Widerspruch schließen konnte. Auch diese beweiswürdigende Überlegung erweist sich somit als nicht tragfähig.
Ebenso können die weiteren Überlegungen der belangten Behörde zu (vermeintlichen) Aussagedivergenzen hinsichtlich des Fluchtweges und des Ausreisezeitpunkts eine Unglaubwürdigkeit des Vorbringens nicht schlüssig begründen.
Wenn schließlich die belangte Behörde darauf hinweist, dass sie aufgrund zweier mündlicher Berufungsverhandlungen Gelegenheit gehabt habe, den Beschwerdeführer persönlich kennen zu lernen und dieser "als Person (...) keinen allzu glaubwürdigen Eindruck" gemacht habe, so entzieht sich diese Einschätzung schon in Ermangelung einer näheren Konkretisierung einer nachprüfenden Schlüssigkeitskontrolle.
Da die Beweiswürdigung der belangten Behörde somit ihre Beurteilung, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei unglaubwürdig, auch nach dem Prüfmaßstab des Verwaltungsgerichtshofs nicht trägt, und dem Fluchtvorbringen nicht von vornherein Asylrelevanz abgesprochen werden kann, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Im Hinblick auf die bewilligte Verfahrenshilfe sind die beantragten Barauslagen nicht zu ersetzen.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-85778