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VwGH vom 20.05.2022, Ra 2019/22/0074

VwGH vom 20.05.2022, Ra 2019/22/0074

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen das am  mündlich verkündete und mit schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien, VGW-151/091/16645/2018-7, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: Q M, vertreten durch Mag. Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Spiegelgasse 19/23), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1. Die Mitbeteiligte, eine philippinische Staatsangehörige, reiste im Dezember 2017 mit einem bis zum gültigen Visum C in Österreich ein und verblieb über das Gültigkeitsende des Visums hinaus unrechtmäßig im Bundesgebiet.

2.1. Am brachte die Mitbeteiligte postalisch beim Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 47 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ein. Sie berief sich dabei auf ihre „Familiengemeinschaft mit Vater, Mutter und Schwester“, die jeweils über einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ verfügten. Ferner stellte sie einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 Z 2 NAG auf Zulassung der Inlandsantragstellung.

2.2. Am sprach die Mitbeteiligte persönlich bei der Behörde vor. Im Zuge dessen wurde sie mündlich belehrt, dass eine Familienzusammenführung nicht möglich sei. Zudem wurde ihr mit schriftlicher Aufforderung vom selben Tag gemäß § 13 Abs. 3 AVG aufgetragen, den „genauen Aufenthaltszweck“ mitzuteilen.

Die Mitbeteiligte gab daraufhin mit Schreiben vom bekannt, dass sie derzeit einen Deutschkurs absolviere, anschließend die Schule zwecks Ablegung der Matura besuchen und dann ein Studium betreiben werde. Sie modifiziere daher den Aufenthaltszweck auf „Schüler/Student“.

2.3. Mit - im ersten Rechtsgang erlassenem - Bescheid vom wies die Behörde den Antrag vom zurück.

Die dagegen erhobene Beschwerde der Mitbeteiligten wies die Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom ab.

Im Vorlageantrag vom präzisierte die Mitbeteiligte ihren Antrag dahin, dass sie den Aufenthaltszweck „Schüler“ geltend mache.

Mit Erkenntnis vom hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom auf.

2.4. Mit - im zweiten Rechtsgang erlassenem - Bescheid vom wies die Behörde den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ mangels Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen ab.

Die Behörde führte begründend im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte verfüge über keine Aufnahme an einer Schule im Sinn des § 63 NAG. Sie strebe auch keine Ausbildung in Österreich an, sondern wolle unter Umgehung der maßgeblichen Bestimmungen zuwandern und sich hier niederlassen. Es fehle daher schon an den besonderen Erteilungsvoraussetzungen. Weiters liege eine unzulässige Inlandsantragstellung vor, wobei die (näher erörterte) Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu Lasten der Mitbeteiligten ausfalle. Ferner seien (näher erörterte) allgemeine Erteilungsvoraussetzungen nicht erfüllt.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - insoweit Folge, als es aussprach, dass der bekämpfte Bescheid betreffend die Abweisung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“ aufgehoben und der diesbezügliche Antrag vom gemäß § 19 Abs. 2 NAG als unzulässig zurückgewiesen werde.

3.2. Das Verwaltungsgericht führte - nach Darstellung des bisherigen Verfahrensgangs - begründend aus:

Gemäß § 19 Abs. 1 NAG seien Anträge (unter anderem) auf Erteilung eines Aufenthaltstitels persönlich bei der Behörde zu stellen. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen, die Entscheidung sei im Ausland abzuwarten.

Vorliegend habe die Mitbeteiligte den zunächst nur postalisch gestellten Erstantrag im Zuge ihrer Vorsprache bei der Behörde am persönlich bestätigt. Es liege daher eine persönliche Antragstellung vor, auch wenn diese grundsätzlich unzulässig im Inland erfolgt sei.

Gemäß § 19 Abs. 2 NAG sei der Grund des Aufenthalts im Antrag bekannt zu geben und genau zu bezeichnen. Nicht zulässig sei ein Antrag mit verschiedenen Aufenthaltszwecken, das gleichzeitige Stellen mehrerer Anträge und das Stellen weiterer Anträge. Gemäß § 23 Abs. 1 NAG habe die Behörde den Fremden zu belehren, wenn er für den beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötige.

Gegenständlich hätte die Behörde die Mitbeteiligte belehren müssen, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 47 NAG mangels Vorliegen der Voraussetzungen nicht in Betracht komme, und auf die mögliche Modifizierung auf einen Aufenthaltstitel gemäß § 46 NAG hinweisen müssen.

Die Mitbeteiligte habe über Aufforderung der Behörde zwar mit Schreiben vom den Antrag auf „Schüler/Student“ modifiziert. Eine solche Modifizierung sei aber nur insoweit zulässig (gewesen), als sie denselben Aufenthaltszweck betreffe. Das sei hier nicht der Fall, sodass das Schreiben als Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltbewilligung gemäß § 63 NAG zu werten sei. Da jedoch auch der Antrag vom gemäß § 47 NAG noch offen bzw. dessen Zurückziehung den Akten nicht zu entnehmen sei, erweise sich der mit Schreiben vom gestellte weitere Antrag gemäß § 19 Abs. 2 NAG als nicht zulässig.

Der bekämpfte Bescheid (betreffend die Abweisung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung „Schüler“) sei daher aufzuheben und der diesbezügliche Antrag vom als unzulässig zurückzuweisen (gewesen). Indessen sei die Entscheidung über den Antrag vom noch ausständig und von der Behörde im weiteren Verfahren nachzuholen.

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die - Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende - Amtsrevision, in der unter anderem geltend gemacht wird, das Verwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, wonach eine Antragsänderung, durch die - wie hier - die Sache ihrem Wesen nach geändert werde, als Stellung eines neuen Antrags unter konkludenter Zurückziehung des bisherigen Antrags zu erachten sei. Im Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts sei daher der ursprüngliche Antrag (vom ) nicht mehr offen gewesen, sodass die Zurückweisung des geänderten Antrags (vom ) gemäß § 19 Abs. 2 NAG zu Unrecht erfolgt sei.

4.2. Die Mitbeteiligte erstattete eine „Revisionsbeantwortung“, die sich auf einen Verweis auf das bisherige Vorbringen und das angefochtene Erkenntnis beschränkt.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist aus dem oben angeführten Grund zulässig und - im Sinn der nachfolgenden Ausführungen - auch begründet.

6.1. Gemäß § 23 Abs. 1 NAG hat die Behörde den Fremden, wenn sich auf Grund seines Antrags oder im Ermittlungsverfahren ergibt, dass er für den beabsichtigten Aufenthaltszweck einen anderen Aufenthaltstitel benötigt, über diesen Umstand zu belehren; § 13 Abs. 3 AVG gilt.

Gemäß § 13 Abs. 3 AVG hat die Behörde von Amts wegen unverzüglich die Behebung mangelhafter Anbringen zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Mangelbehebung innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass andernfalls das Anbringen zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.

§ 13 Abs. 8 AVG sieht vor, dass ein verfahrenseinleitender Antrag in jeder Lage des Verfahrens geändert werden kann; durch die Antragsänderung darf die Sache ihrem Wesen nach nicht geändert und die sachliche und örtliche Zuständigkeit nicht berührt werden.

6.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat - wobei dies auch für nach dem NAG grundsätzlich zulässige Antragsänderungen gilt -, stellt die beabsichtigte bloße „Präzisierung“ eines eingebrachten Antrags grundsätzlich keinen neuen Antrag dar. In einem solchen Fall liegt also kein im Sinn des § 19 Abs. 2 NAG unzulässiger „Doppelantrag“, sondern ein (einziger) - im Lauf des Verfahrens bloß modifizierter - Antrag vor (vgl. ).

Eine wesentliche Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG, die also das „Wesen“ der Sache betrifft, ist hingegen als neue Antragstellung - unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrags - zu werten (vgl. , Rn. 7). Auch in einem solchen Fall liegt daher grundsätzlich kein unzulässiger „Doppelantrag“, sondern ein (einziger) - freilich im Lauf des Verfahrens unter schlüssiger Zurückziehung des bisherigen Antrags neu gestellter - Antrag vor.

Von einem unzulässigen „Doppelantrag“ wäre hingegen auszugehen, wenn die „Antragsänderung“ nach ihrem objektiven Erklärungswert, also dem - unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der Aktenlage – erkenn- und erschließbaren Ziel des Antragstellers (vgl. etwa ), so zu verstehen wäre, dass sie keine Änderung des ursprünglichen Antrags, sondern einen weiteren Antrag - unter Aufrechterhaltung des bisherigen Antrags - darstellte (vgl. in dem Sinn , Rn. 23).

7.1. Vorliegend war Gegenstand (Sache) des Verfahrens vor der Behörde ursprünglich der verfahrenseinleitende Erstantrag vom auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 NAG. Die Mitbeteiligte änderte diesen Antrag in der Folge dahin ab, dass sie mit Schreiben vom den Aufenthaltszweck „Schüler/Student“ geltend machte und mit Vorlageantrag vom den Zweck auf „Schüler“ präzisierte.

Dieser Antragsänderung gingen eine Belehrung der Mitbeteiligten durch die Behörde gemäß § 23 Abs. 1 NAG (wonach eine Familienzusammenführung mangels Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nicht möglich sei) sowie eine Aufforderung zur Mitteilung eines (anderen) Aufenthaltszwecks voraus. Dem entsprach die Mitbeteiligte, indem sie umgehend (mit Schreiben vom samt Präzisierung vom ) die Änderung vornahm.

Durch diese Antragsänderung und auch durch das weitere Vorbringen (samt Urkundenvorlagen) im Verfahren gab die Mitbeteiligte hinreichend deutlich - gegenteilige Anhaltspunkte wurden nicht behauptet und sind auch nicht zu sehen - zu erkennen, dass sie fortan ausschließlich die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 63 NAG begehre.

7.2. Die Antragsänderung stellt eine wesentliche Änderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG dar. Sie betrifft das „Wesen“ der Sache, weil sich der geänderte vom ursprünglichen Antrag jedenfalls in Bezug auf den beabsichtigten Aufenthaltszweck (dem ursprünglichen Antrag lag der Zweck der Familiengemeinschaft zugrunde, dem abgeänderten Antrag der Zweck der Schulbildung) unterscheidet (vgl. ; , Ra 2015/22/0055, Rn. 14).

Nach der schon aufgezeigten Rechtsprechung (Pkt. 6.2.) ist eine wesentliche Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG als Stellung eines neuen Antrags unter konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrags zu erachten. Die Zurückziehung bewirkt dabei den Wegfall der Zuständigkeit der Behörde zur Entscheidung über den ursprünglichen Antrag (vgl. , Pkt. 7.1.).

Da fallbezogen von einer wesentlichen Antragsänderung im Sinn des § 13 Abs. 8 AVG auszugehen ist, ist diese als Stellung eines neuen Antrags unter gleichzeitiger konkludenter Zurückziehung des ursprünglichen Antrags zu werten. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts liegt somit kein unzulässiger „Doppelantrag“, sondern ein (einziger) im behördlichen Verfahren neu gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gemäß § 63 NAG vor, über den entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts inhaltlich zu entscheiden war. Hinsichtlich des ursprünglichen - konkludent zurückgezogenen - Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 47 NAG kommt der Behörde (dem Verwaltungsgericht) indes keine Entscheidungskompetenz (mehr) zu.

8. Das Verwaltungsgericht hat daher das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhalts belastet. Die Entscheidung war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2019220074.L00

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