VwGH vom 24.03.2011, 2008/23/0173

VwGH vom 24.03.2011, 2008/23/0173

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des C C, geboren 1982, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 311.504- 1/5E-XIV/16/07, betreffend Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in einer Asylangelegenheit (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte am internationalen Schutz und wurde vom Bundesasylamt am und am dazu einvernommen.

Mit Bescheid vom wies das Bundesasylamt den Antrag gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ab und erkannte den Status des Asylberechtigten nicht zu, erkannte ferner gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Heimatstaat Türkei nicht zu und wies den Beschwerdeführer gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Türkei aus. Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer, der nach der Aktenlage während des gesamten Verwaltungsverfahrens an derselben Adresse in Bad G 248 Tür 9, bei dem Unterkunftgeber K.R. wohnhaft war, am unter der Anschrift "c/o K.R., (Postleitzahl) Bad G 248 Tür 9" durch Hinterlegung zugestellt.

Laut dem im vorgelegten Verwaltungsakt erliegenden Rückschein wurden die Ankündigung gemäß § 21 Abs. 2 ZustG und die Verständigung von der erfolgten Hinterlegung "an der Abgabestelle zurückgelassen". Die Sendung wurde nach Ende der Abholfrist vom Zustellpostamt mit dem Vermerk "nicht behoben" an das Bundesasylamt zurückgesandt.

Mit Schriftsatz vom beantragte der - nun anwaltlich vertretene - Beschwerdeführer - unter Nachholung der versäumten Prozesshandlung - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Berufung gegen den Bescheid vom . Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er damit, dass er keine Kenntnis von der Zustellung des Bescheides gehabt habe. Im Objekt des Vermieters K.R. seien mehrere Mieter wohnhaft. Er habe mit K.R. vereinbart, dass dieser ihm eine allfällige Hinterlegungsanzeige aushändigen oder an seiner Zimmertür anbringen solle. Dies sei auch bei den anderen Mietern im Objekt des K.R. Usus gewesen. Außerdem hätte K.R. Herrn H.E., den Gatten der Nichte des Beschwerdeführers, verständigen sollen. H.E. sei österreichischer Staatsbürger türkischer Herkunft und hätte daher dem Beschwerdeführer den Inhalt eines behördlichen Schriftstückes erklären können. Jedoch habe K.R. weder den Beschwerdeführer noch Herrn H.E. über die Hinterlegungsanzeige in Kenntnis gesetzt, weshalb der Beschwerdeführer erst anlässlich der Verhängung der Schubhaft und Festnahme am davon erfahren habe, dass bereits ein erstinstanzlicher Bescheid ergangen sei. An der Versäumung der Berufungsfrist treffe den Beschwerdeführer jedenfalls kein Verschulden. Der Beschwerdeführer habe am den nunmehrigen Rechtsvertreter bevollmächtigt, welchem der erstinstanzliche Bescheid am übermittelt worden sei. Der Wiedereinsetzungsantrag sei sohin auch rechtzeitig. Zur Bescheinigung seines Vorbringens beantragte der Beschwerdeführer die Einvernahme des K.R. und des H.E..

Das Bundesasylamt wies den Wiedereinsetzungsantrag ohne die beantragten Einvernahmen durchzuführen mit Bescheid vom ab.

Es ging dabei im Wesentlichen davon aus, dass "ein Verschulden der Behörde" nicht nachvollziehbar sei. Das vom Beschwerdeführer ausgeführte, mit seinem Unterkunftgeber vereinbarte "(komplizierte), offensichtlich nicht funktionierende, Übermittlungsprozedere von Poststücken" sei der Behörde nicht anzulasten. Die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Wiedereinsetzung lägen daher nicht vor.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er im Wesentlichen sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsantrag wiederholte, und zusätzlich auch seine eigene Einvernahme beantragte.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung "gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG" ab. Begründend führte sie u. a. aus, der Beschwerdeführer habe spätestens nach seiner Einvernahme beim Bundesasylamt am gewusst, dass die Zustellung eines für ihn wichtigen Bescheides in Kürze bevorstehe, diesen "Sachverhalt" aber nicht mir der dafür notwendigen Sorgfalt beachtet, da die Vereinbarung mit dem Vermieter (Übergabe der Hinterlegungsanzeige oder deren Anbringung an der Tür des Beschwerdeführers) offensichtlich nicht funktioniert habe. Es sei ihm als Asylwerber auch zumutbar gewesen, über den Ausgang seines Asylverfahrens rechtzeitig Erkundigungen einzuholen, sei es telefonisch oder durch persönliche Vorsprache beim Bundesasylamt. Die beantrage Einvernahme der angeführten Zeugen sei entbehrlich gewesen, da der Beschwerdeführer lediglich behauptet habe, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben bzw. dass ihm eine solche von K.R. nicht ausgehändigt worden sei, ohne konkret auszuführen, inwieweit das Hindernis für den Beschwerdeführer unvorhergesehen oder unabwendbar gewesen sei oder worin der mindere Grad des Versehens liege. Da es Sache des Beschwerdeführers sei, sämtliche Wiedereinsetzungsgründe innerhalb der gesetzlichen Frist vorzubringen und glaubhaft zu machen, und es nicht Sache der Behörde sei, Umstände zu erheben, die einen Wiedereinsetzungsgrund bilden könnten, könne auch die vom Beschwerdeführer vorgelegte "Eidesstättige Erklärung" (des K.R.) vom zu keinem anderen Ergebnis führen.

Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung einer Frist zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft.

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer den Wiedereinsetzungsantrag auf seine Unkenntnis von der erfolgten Zustellung des erstinstanzlichen Asylbescheides gegründet. Unkenntnis von der ordnungsgemäßen Hinterlegung eines Schriftstückes - sofern sie nicht auf einem Verschulden beruht, welches den minderen Grad des Versehens übersteigt - ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geeignet, einen Wiedereinsetzungsgrund zu begründen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/08/0011, und vom , Zl. 2001/20/0425, mwH. ).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben. Dabei ist an berufliche rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an behördlichen oder gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen. Bei der Beurteilung, ob eine auffallende Sorglosigkeit vorliegt, ist also ein unterschiedlicher Maßstab anzulegen, wobei es insbesondere auf die Rechtskundigkeit und die Erfahrung im Umgang mit Behörden ankommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2001/01/0559). An den Beschwerdeführer durften daher in Bezug auf die Vermeidung einer allfälligen Unkenntnis von einem Zustellvorgang nicht dieselben Anforderungen gestellt werden wie etwa an einen Rechtsanwalt, der bei der Einrichtung seines Kanzleibetriebes durch entsprechende Organisation und Kontrolle dafür vorzusorgen hat, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. dazu aus der hg. Judikatur etwa den Beschluss vom , Zl. 2005/07/0166).

Aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers kann der Schluss, die Vereinbarung mit dem Vermieter, dieser übergebe ihm die Hinterlegungsanzeige bzw. bringe diese an der Tür des (Beschwerdeführers) an, habe offensichtlich nicht funktioniert, nicht gezogen werden, da der Beschwerdeführer in seinem Wiedereinsetzungsantrag in diesem Zusammenhang vorgebracht hat, dass das vereinbarte Vorgehen in der Unterkunft des K.R. durchaus üblich gewesen sei.

Die belangte Behörde hat nicht nachvollziehbar begründet, dass bestimmte Umstände vorgelegen wären, die den Schluss zugelassen hätten, der Beschwerdeführer habe schon vor dem Zeitpunkt der Bescheidzustellung im Asylverfahren (am ) begründete Zweifel an der Zuverlässigkeit seines Unterkunftgebers hegen müssen. Bei dieser Sachlage konnte die belangte Behörde nicht davon ausgehen, dass im Unterbleiben von Erkundigungen beim Bundesasylamt eine auffallende, die Wiedereinsetzung hindernde Sorglosigkeit des Beschwerdeführers gelegen wäre (vgl. in diesem Sinne auch das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/20/0425, mwN).

Die belangte Behörde ist somit unzutreffend davon ausgegangen, der Wiedereinsetzungsantrag sei ohne Durchführung der zur Bescheinigung beantragten Beweise schon auf Grundlage des vom Beschwerdeführer erstatteten Vorbringens abzuweisen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG und der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am