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VwGH vom 23.02.2011, 2008/23/0157

VwGH vom 23.02.2011, 2008/23/0157

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Händschke sowie den Hofrat Dr. Hofbauer und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde des A, geboren 1974, vertreten durch Dr. Klaus Kocher und Mag. Wilfried Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sackstraße 36/II, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 228.411/0-XI/38/02, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106, 40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit und beantragte am die Gewährung von Asyl. Als Fluchtgrund gab er an, er sei wegen seines politischen Engagements und seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner alevitischen Religion ständiger Diskriminierung und Bedrohung ausgesetzt gewesen. Er sei Mitglied einer alevitischen Organisation, der sein Onkel auch vorsitze, und habe an mehreren regimekritischen Demonstrationen, Veranstaltungen und Versammlungen dieser Organisation teilgenommen. Am sei es im Zuge einer Demonstration in Izmir zu Ausschreitungen gekommen, woraufhin er festgenommen, drei Stunden angehalten und dabei beschimpft und geschlagen worden sei. Im Juni 2001 sei er abends von unbekannten Personen, vermutlich Polizisten in Zivil, an einen entlegenen Ort gebracht und misshandelt worden, wobei ihm die Zähne eingeschlagen worden seien. In der Folge habe er auch von unbekannten Türken Drohanrufe erhalten.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei für zulässig. Das Bundesasylamt erachtete das Fluchtvorbringen wegen mangelnder Substantiierung der vorgebrachten Behauptungen als unglaubwürdig, eine asylrelevante Verfolgung sei nicht glaubhaft gemacht worden.

In der dagegen erhobenen Berufung bzw. deren Ergänzung trat der Beschwerdeführer der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung konkret entgegen. Das Bundesasylamt habe lediglich Gegenvermutungen angestellt, sich aber nicht eingehend mit seinem Vorbringen auseinandergesetzt.

Am führte die belangte Behörde eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer zusätzlich vorbrachte, er sei seit 2003 Mitglied der alevitischen Vereinigung Kurdistans und habe nicht nur an mehreren Veranstaltungen dieser Organisation gegen die Ermordung Gefangener in türkischer Haft teilgenommen, sondern habe auch Reden gehalten und die Veranstaltungen mitgestaltet. Eine Rede habe er vor rund 70 anwesenden Personen in dem für jedermann zugänglichen Vereinslokal gehalten. 2003 habe er an einer Demonstration gegen die Massaker in türkischen Gefängnissen teilgenommen, die von der Dachorganisation der kurdischen Vereine in Österreich, FEYKOM, sowie von maoistischen und sozialistischen, in Österreich zugelassenen türkischen Vereinen wie ATIGF oder der EMEP, veranstaltet worden sei. Ca. 1000 Personen hätten daran teilgenommen; in Wien-Mariahilf habe man sich versammelt und sei dann bis zum Kärntner Ring gezogen. Er habe bei dieser Demonstration ein Plakat mit roter Schrift in der Hand gehalten und sei sich sicher, dass er fotografiert worden sei, weil sich viele türkische Spione immer in der Nähe der Demonstrationen befunden hätten. Ebenfalls im Jahr 2003 habe er an einem Kongress der neuen Jugend der ATIGF in Vorarlberg teilgenommen und dort auch eine Rede gehalten, in der er das türkische Vorgehen angeprangert habe. Dieser Kongress sei für jedermann zugänglich gewesen, etwa 100 Menschen hätten daran teilgenommen. Er habe auch seit 2002 an Sitzungen des Alevitischen Kulturzentrums teilgenommen. Ebenso nehme er an der großen Newrozfeier, die von FEYKOM organisiert werde, teil, wie auch an Diskussionsrunden der FEYKOM über die kurdische Sprache und mögliche Wege zur Freiheitserlangung für Kurden; zuletzt habe er bei einer Veranstaltung über die Rolle der Aleviten mitdiskutiert. Als Beleg legte der Beschwerdeführer Fotos sowie eine Bestätigung des Stellvertretenden Obmanns des Alevitischen Kulturzentrums in Österreich vom vor, der zufolge der Beschwerdeführer seit 2002 aktiver Mitarbeiter im Alevitischen Kulturzentrum sei. Das Alevitische Kulturzentrum führe seit 1995 Aktivitäten durch und veranstalte regelmäßig Aktionen gegen die türkische Minderheitenpolitik. Der Beschwerdeführer leiste bei all diesen Aktivitäten aktive Mitarbeit und sei sehr engagiert tätig. Den vom rechtsfreundlichen Vertreter des Beschwerdeführers in der Verhandlung gestellten Antrag auf Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens zur Frage, ob der Beschwerdeführer sich in seiner exilpolitischen Tätigkeit exponiert habe, wies die belangte Behörde mit dem Hinweis ab, dass aufgrund des Vorbringens des Beschwerdeführers in der Verhandlung sowie aufgrund des Umstandes, dass sich der Verhandlungsleiter aufgrund der bei ihm anhängig gewesenen Asylverfahren selbst als ausreichend sachverständig erachte, die beantragte Beurteilung vorzunehmen, die Sache entscheidungsreif sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers zur Gänze ab. Die Verfolgungsbehauptungen zum Zeitraum vor seiner Ausreise aus der Türkei wurden wegen unkonkreter Schilderung (hinsichtlich seines politischen Engagements in der Türkei) sowie näher dargestellter Widersprüche (hinsichtlich des Vorfalls im Juni 2001 und der Drohanrufe) als unglaubwürdig bzw. in ihrer Intensität als nicht Asylrelevanz erreichend erachtet.

Zu den Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner exilpolitischen Betätigung in Österreich stellte die belangte Behörde fest, dass den Länderberichten zufolge nur im Fall exponierter Betätigung, beispielsweise als sich regimekritisch äußernder Wortführer oder Organisator regimekritischer Aktivitäten, von einer maßgeblich wahrscheinlichen Verfolgungsgefahr auszugehen sei. Die Teilnahme des Beschwerdeführers an mehreren Demonstrationen und die Tätigkeit im Rahmen des Alevitischen Kulturzentrums wurden nicht in Zweifel gezogen. Ausgehend von der von der belangten Behörde bezüglich des Zeitraums vor seiner Ausreise aus der Türkei vorgenommenen Klassifizierung des Beschwerdeführers als einen politisch interessierten "Mitläufer", der bei Demonstrationen oder Veranstaltungen teilnehme und auch bei einem Verein dabei gewesen sein möge, ohne exponiert tätig zu sein, übertrug sie dieselbe Beurteilung auch auf seine exilpolitischen Aktivitäten. Selbst wenn der türkische Geheimdienst die Tätigkeiten des Beschwerdeführers registriert habe, könne daraus keine maßgeblich wahrscheinliche asylrelevante Verfolgungsgefahr bei Rückkehr des Beschwerdeführers angenommen werden, weil dieser "keine herausragende und führende Persönlichkeit im exilpolitischen Kampf gegen den türkischen Staat" sei, "dies auch im Vergleich zu zahlreichen vor der erkennenden Behörde bereits anhängig gewesenen und noch anhängigen Asylverfahren betreffend Asylwerber türkischer Staatsangehörigkeit kurdischer Volkgruppenzugehörigkeit."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht in seiner Beschwerde unter anderem geltend, die belangte Behörde habe sich nicht ausreichend mit seinem Vorbringen, wonach er aufgrund seiner exilpolitischen Betätigung gefährdet sei, auseinandergesetzt. Damit zeigt die Beschwerde im Ergebnis einen relevanten Verfahrensmangel auf.

Die behördliche Beweiswürdigung ist der Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof zwar nur dahin unterworfen, ob der maßgebliche Sachverhalt ausreichend ermittelt wurde und ob die dabei angestellten Erwägungen schlüssig sind, was dann der Fall ist, wenn sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut nicht widersprechen. Dem Gerichtshof kommt es hingegen nicht zu, die Beweiswürdigung der belangten Behörde darüber hinaus auf ihre Richtigkeit hin zu prüfen. Eine Beweiswürdigung ist aber nur dann schlüssig, wenn (unter anderem) alle zum Beweis strittiger Tatsachen nach der Aktenlage objektiv geeigneten Umstände berücksichtigt wurden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/23/0275).

Diesem letztgenannten Erfordernis entspricht die Beweiswürdigung im angefochtenen Bescheid nicht.

Die Erwägungen der belangten Behörde, auf deren Grundlage sie das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner behaupteten Verfolgung vor seiner Ausreise aus der Türkei als unglaubwürdig bewertet hat, halten der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle der Beweiswürdigung durch den Verwaltungsgerichtshof stand. In der Beschwerde wird die Relevanz behaupteter Verfahrensmängel zur Frage der Verfolgung des Beschwerdeführers vor seiner Ausreise aus der Türkei nicht dargetan.

Was jedoch die Frage des vorgebrachten Nachfluchtgrundes der exilpolitischen Aktivität des Beschwerdeführers anbelangt, ist nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde ausgehend von dem diesbezüglichen Vorbringen des Beschwerdeführers, welches von der belangten Behörde nicht in Zweifel gezogen wurde, ohne weitere Erhebungen zu der Einschätzung gelangen konnte, der Beschwerdeführer sei nicht in exponierter Weise exilpolitisch tätig gewesen. Insbesondere lässt die ohne weitere Begründung erfolgte Annahme, der Beschwerdeführer sei auf Demonstrationen und Veranstaltungen bloß mitmarschiert und habe "interne Arbeit in einem alevitischen Verein" geleistet, das Vorbringen des Beschwerdeführers außer Acht, wonach er bei zumindest zwei näher ausgeführten Gelegenheiten öffentliche regimekritische Reden gehalten habe. Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht auseinandergesetzt. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beurteilung, der Beschwerdeführer sei aufgrund seiner vorgebrachten exilpolitischen Tätigkeit in Österreich politisch nicht dermaßen engagiert und exponiert gewesen, dass mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein tatsächliches Interesse des türkischen Staates an seiner Person bestehen würde, als mangelhaft begründet.

Im Übrigen kann auch aus dem Hinweis auf andere bei der belangten Behörde anhängige oder anhängig gewesene Verfahren nichts gewonnen werden, weil sich die nicht näher dargestellten Vergleichsfälle einer nachprüfenden Kontrolle entziehen.

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
QAAAE-85729