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VwGH vom 13.12.2010, 2008/23/0031

VwGH vom 13.12.2010, 2008/23/0031

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall sowie die Hofräte Dr. Hofbauer, Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Feiel als Richter, im Beisein des Schriftführers MMag. Stelzl, über die Beschwerde der Bundesministerin für Inneres in 1014 Wien, Herrengasse 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom , Zl. 268.310/0-XIII/66/06, betreffend Behebung einer Ausweisung gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: Ö C, geboren 1988, vertreten durch Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Der hinsichtlich der "Stattgebung" der Berufung der mitbeteiligten Partei gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 betreffend Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides angefochtene Bescheid wird in diesem Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Das Kostenersatzbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste am in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Er heiratete am in Höchst eine deutsche Staatsangehörige. Diese Ehe ist aufrecht.

Bei der Einvernahme vor dem Bundesasylamt am gab der Mitbeteiligte an, seine Ehe "funktioniere" zurzeit "nicht besonders". Nur seine Ehefrau sei berufstätig gewesen, jedoch seien sie mit ihrem Einkommen nicht ausgekommen. Aufgrund von Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten habe ihn seine Ehefrau am 21. Jänner "2005" (richtig wohl: 2006) verlassen und sei nach Deutschland zurückgekehrt. Seine beiden Brüder, die ihn jetzt finanziell unterstützen, und seine Eltern würden in Österreich leben.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde der Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen (Spruchpunkt I.), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Türkei gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig erklärt (Spruchpunkt II.) und er gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet dorthin ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

In der ausdrücklich nur gegen die Spruchpunkte II. und III. erhobenen Berufung führte der Mitbeteiligte unter anderem aus, dass ihm seit der Eheschließung mit einer deutschen Staatsangehörigen der Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen im Sinne der "§§ 54 iVm 52 NAG" zukomme und er damit Niederlassungsfreiheit in Österreich genieße. Somit sei sein Aufenthalt im Bundesgebiet rechtmäßig und die verfügte Ausweisung unzulässig.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung die Berufung des Mitbeteiligten betreffend Spruchpunkt II. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ab und "gab" seiner Berufung gegen Spruchpunkt III. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 8 Abs. 2 AsylG "statt".

Begründend stellte die belangte Behörde - soweit aufgrund der Amtsbeschwerde relevant - die Eheschließung des Mitbeteiligten mit einer deutschen Staatsangehörigen und den aufrechten Bestand der Ehe fest. Rechtlich führte sie zur Unzulässigkeit der Ausweisung im Wesentlichen aus, bei der Entscheidung nach § 8 Abs. 2 AsylG sei beachtlich, ob dem Mitbeteiligten ein nicht auf das AsylG begründetes Aufenthaltsrecht zukomme. § 1 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sei von der belangten Behörde "dann nicht anzuwenden, wenn - gleichsam eine logische Sekunde vorher - durch die rechtskräftige Abweisung der Berufung der (Mitbeteiligte) jeglichen Aufenthaltsrechts nach dem AsylG verlustig" gehe. § 54 NAG verlange für das Bestehen eines Aufenthaltsrechtes und dessen Dokumentation "lediglich die (qualifizierte) Angehörigeneigenschaft" zu einem EWR-Bürger, dem das Recht auf Freizügigkeit "zukomme". Auf ein "gemeinsames Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK" komme es nicht an. Der Mitbeteiligte sei Ehegatte einer EWR-Bürgerin, der schon aufgrund Art. 18 und 43 EGV das "Recht auf Freizügigkeit iSd NAG zukomme". Er sei daher gemäß § 54 NAG zum Aufenthalt (in Österreich) berechtigt. Da ihm ein Aufenthaltsrecht zustehe, sei seiner Berufung gegen die Ausweisung "stattzugeben".

Nur gegen die Behebung der Ausweisung im angefochtenen Bescheid richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung von Gegenschriften der belangten Behörde und des Mitbeteiligten erwogen hat:

1. Die belangte Behörde hat ausschließlich mit einem Niederlassungsrecht des Mitbeteiligten als Ehemann einer freizügigkeitsberechtigten deutschen Staatsangehörigen nach § 54 Abs. 1 NAG argumentiert und nicht einen Eingriff in das Privat- und Familienleben gemäß Art. 8 EMRK geprüft. Die Ausweisungsentscheidung könnte daher nur dann Bestand haben, wenn dieses Niederlassungsrecht ausgehend von den getroffenen Feststellungen tatsächlich besteht, was aber - wie die Amtsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt - nicht der Fall ist.

2. Ein Drittstaatsangehöriger, der Ehemann einer in Österreich aufhältigen deutschen Staatsbürgerin und somit Angehöriger nach Art. 2 Z 2 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ABl. L 158 vom , 77 (im Folgenden: Unionsbürger-Richtlinie), ist, kann sich auf ein Aufenthaltsrecht nach dieser Richtlinie berufen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2006/01/0855, mwN, und diesem folgend die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2008/01/0178, sowie vom , Zl. 2008/01/0267; vgl. zur unmittelbaren Anwendung der Unionsbürger-Richtlinie die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , U 957/09, vom , U 2369/09, und vom , U 2309/09). Darauf ist bei einer Ausweisungsentscheidung nach § 8 Abs. 2 AsylG Bedacht zu nehmen ist.

3. Gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 NAG (in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Stammfassung BGBl. I Nr. 100/2005) gilt dieses Bundesgesetz nicht für Fremde, die nach dem Asylgesetz 2005 und nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind, soweit das NAG nicht anderes bestimmt. Diese Bestimmung wird allerdings im Anwendungsbereich der Unionsbürger-Richtlinie durch das Gemeinschaftsrecht verdrängt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0671, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird).

Der Verwaltungsgerichthof hat im Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0439, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nunmehr: Union) dargelegt, dass gemäß § 54 Abs. 1 NAG Angehörige von freizügigkeitsberechtigten EWR-Bürgern, die nicht EWR-Bürger sind und welche die in § 52 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zur Niederlassung berechtigt sind und sich auf die Bestimmungen der Unionsbürger-Richtlinie unabhängig davon berufen können, auf welchem Weg sie in den Aufnahmemitgliedstaat gelangt sind und wann die Ehe geschlossen wurde.

Voraussetzung für die grundsätzliche Berechtigung zur Niederlassung in Österreich für den drittstaatsangehörigen Mitbeteiligten nach § 54 Abs. 1 NAG ist, dass seine deutsche Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat (vgl. dazu das zitierte Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0439, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/22/0024; vgl. auch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2007/09/0121, sowie vom , Zlen. 2007/09/0311 und 2008/09/0181). Dabei kommt es nicht darauf an, ob seine deutsche Ehefrau von diesem Recht Gebrauch macht, indem sie bereits in Österreich geboren wurde und hier lebt oder indem sie sich erst später hier niedergelassen hat (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichthofes vom ,

G 244/09 u.a., Punkt 2.8. der Entscheidungsgründe). Dazu hat die belangte Behörde jedoch ausgehend von der unzutreffenden Rechtsansicht, das Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten nach § 54 (Abs. 1) NAG verlange nur, dass seiner deutschen Ehefrau das Recht auf Freizügigkeit - im Sinne einer Berechtigung - "zukomme", keine Feststellungen getroffen.

4. Zum fehlenden gemeinschaftsrechtlich (nunmehr: unionsrechtlich) begründeten Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bei Wegzug seiner deutschen Ehefrau am in ihren Herkunftsstaat wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG auf die Entscheidungsgründe im hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/09/0194, verwiesen, das den Mitbeteiligten betrifft.

5. Aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid hinsichtlich der Behebung der Ausweisung gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen - der vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.

Das Kostenersatzbegehren des Mitbeteiligten war gemäß § 47 Abs. 3 VwGG abzuweisen.

Wien, am