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VwGH vom 24.04.2012, 2008/22/0898

VwGH vom 24.04.2012, 2008/22/0898

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der T, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 318.594/2-III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den von der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, am gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familiengemeinschaft mit ihrem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehemann gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 iVm § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde darauf ab, die Beschwerdeführerin habe die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger B nur zu dem Zweck geschlossen, aufenthaltsrechtlich bedeutsame Berechtigungen erlangen zu können. Es liege eine Aufenthaltsehe vor.

Die Eheschließung sei am in Wien erfolgt. Am sei der hier gegenständliche Antrag bei der - damals nach dem Fremdengesetz 1997 zuständigen - Bundespolizeidirektion Wien gestellt worden. Daraufhin seien Erhebungen wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe eingeleitet worden. Im Zuge der Antragsüberprüfung habe die Bundespolizeidirektion Wien festgestellt, dass sich der Ehemann der Beschwerdeführerin seit in Kroatien in Haft befunden habe. Den Angaben der Beschwerdeführerin zufolge befände sich die eheliche Wohnung in W. Dort seien sowohl sie als auch ihr Ehemann behördlich gemeldet. Nach den Erhebungen hätten aber die Beschwerdeführerin und ihr Ehemann dort nie gemeinsam gelebt und dort auch kein gemeinsames Familienleben geführt. Im April 2004, also einen Monat nach der Eheschließung, sei der Ehemann der Beschwerdeführerin in Kroatien gemeinsam mit einer slowakischen Frau wegen eines "schweren Drogendeliktes" festgenommen worden. Im Zuge der daraufhin in der Wohnung in W vorgenommenen Hausdurchsuchung habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, gehört zu haben, dass die slowakische Frau die Freundin ihres Ehemannes wäre. Ihren Ehemann hätte sie in Kroatien während der Haft nie besucht, weil sie "kein Visum gehabt" hätte. Seit seiner Inhaftierung hätte sie zu ihrem Ehemann keinen Kontakt mehr gehabt.

"Aus den widersprüchlichen Angaben bei der Einvernahme" sei "deutlich ersichtlich", dass ein gemeinsames Ehe- und Familienleben nie stattgefunden habe. "Beispielsweise" habe die Beschwerdeführerin angegeben, dass ihr Ehemann etwa einen Monat nach der Eheschließung in Kroatien festgenommen worden wäre. Tatsächlich sei die Festnahme aber "fast vier Monate nach der Eheschließung" erfolgt. Sie habe auch angegeben, dass sie mit ihrem Ehemann nie zusammengewohnt habe. Die Beschwerdeführerin habe auch nicht gewusst, "zu welcher Haftdauer" ihr Ehemann verurteilt worden sei.

Auch habe die Bundespolizeidirektion Wien mit Bescheid vom gegen die Beschwerdeführerin in erster Instanz ein Aufenthaltsverbot erlassen. Das diesbezügliche Berufungsverfahren sei noch anhängig. Es stehe den Erhebungen zufolge auch fest, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin seit nicht mehr in Kroatien aufhältig sei. Seit sei er in der Justizanstalt G inhaftiert.

Es habe sohin im Berufungsverfahren festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführerin die Ehe mit dem österreichischen Staatsbürger nur deshalb geschlossen habe, um dadurch einen Aufenthaltstitel, eine Anwartschaft auf den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft und den Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen. Soweit in der Berufung das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten werde, "konnten die oben angeführten Feststellungen der Berufungsbehörde nicht" entkräftet werden. Die Berufungsbehörde schließe sich "auf Grund der geprüften Fakten, Aussagen und des gesamten Ermittlungsergebnisses" dem von der Behörde erster Instanz festgestellten Sachverhalt "in vollem Umfang" an.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin richtet sich gegen die Verfahrensführung der belangten Behörde und macht geltend, es sei ihr kein Parteiengehör eingeräumt worden. Dieses Vorbringen ist berechtigt.

Die belangte Behörde führte zwar im angefochtenen Bescheid aus, sie schließe sich dem von der Behörde erster Instanz festgestellten Sachverhalt in vollem Umfang an. Jedoch enthielt der Bescheid der erstinstanzlichen Behörde zur Frage des Vorliegens einer Aufenthaltsehe überhaupt keine Feststellungen und auch keine darauf bezugnehmende Beweiswürdigung. Vielmehr führte die Behörde erster Instanz lediglich aus, die Bundespolizeidirektion Wien habe in erster Instanz wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gegen die Beschwerdeführerin ein (noch nicht rechtskräftiges) Aufenthaltsverbot erlassen. Da die Niederlassungsbehörde daran gebunden sei, sei der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abzuweisen.

In ihrer Berufung wendete sich die Beschwerdeführerin gegen die von der Behörde erster Instanz angenommene Bindungswirkung und verwies darauf, dass im Aufenthaltsverbotsverfahren die behördlichen Feststellungen mit Berufung angefochten worden seien. Des Weiteren wies sie auf die Inhaftierung ihres Ehemannes hin und machte geltend, dass nur aus diesem Grund "kein gemeinsames Familienleben geführt" hätte werden können.

Daraufhin traf die belangte Behörde - in Abgehen von der Rechtsmeinung der Behörde erster Instanz - erstmals zur Frage, ob eine Aufenthaltsehe vorliege, Feststellungen und unterzog ihr vorliegende Beweismittel - wenn auch nicht umfassend - einer Beweiswürdigung. Zu Recht macht nun die Beschwerdeführerin geltend, dass ihr zum von der belangten Behörde erstmals im Berufungsverfahren festgestellten Sachverhalt Parteiengehör hätte eingeräumt werden müssen (vgl. dazu etwa die hg. Erkenntnisses vom , Zl. 2008/22/0711, und vom , Zlen. 2009/22/0185 bis 0187). In diesem Zusammenhang zeigt die Beschwerdeführerin auch die Relevanz des Verfahrensfehlers auf. Sie macht - bezogen auf das, was sie im Verwaltungsverfahren bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften hätte vorbringen können - geltend, die belangte Behörde hätte Erhebungen zum weiteren Kontakt zwischen ihr und ihrem Ehemann durchführen müssen. Die belangte Behörde habe sich ausschließlich auf eine Vernehmung, die vor vier Jahren stattgefunden hätte, gestützt. Es wären aber zum von ihr in weiterer Folge mit dem Ehemann gepflogenen Kontakt für die Zeit von 2004 bis 2008 Feststellungen zu treffen gewesen. Die Ehe werde durch die Inhaftierung eines Ehegatten nämlich nicht beendet. Zwar bestehe vorübergehend kein gemeinsamer Wohnsitz. Das rechtfertige aber noch nicht die Annahme, es handle sich um eine Aufenthaltsehe. Bei Zutreffen der Behauptungen der Beschwerdeführerin kann sohin nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, weshalb sich der Verfahrensfehler als für den Verfahrensausgang von Relevanz erweist.

Es ist aber auch der Vorwurf der Beschwerdeführerin berechtigt, dass sich die Ausführungen im angefochtenen Bescheid in ihren beweiswürdigenden Überlegungen als unschlüssig darstellen. Letztlich stützt die belangte Behörde ihre Annahme, es liege eine Aufenthaltsehe vor, bloß darauf, dass die Beschwerdeführerin angegeben hätte, ihr Ehemann sei etwa einen Monat nach der Eheschließung in Kroatien festgenommen worden. Tatsächlich habe die Festnahme fast vier Monate nach der Eheschließung stattgefunden. Weiters führt die belangte Behörde ins Treffen, dass die Beschwerdeführerin das Ausmaß der Haftstrafe ihres Ehemannes nicht gekannt habe.

Dazu ist festzuhalten, dass die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid selbst festgestellt hat, die Eheschließung habe am stattgefunden und der Ehemann der Beschwerdeführerin sei im April 2004 in Kroatien festgenommen worden. Ausgehend davon kann nun nicht gesagt werden, der von der Beschwerdeführerin angegebene Zeitpunkt der Festnahme ihres Ehemannes entspreche nicht der Wahrheit; dann aber lässt sich darauf nicht der Schluss gründen, es liege eine Aufenthaltsehe vor. Vielmehr enthält der angefochtene Bescheid zum Zeitpunkt der Festnahme des Ehemannes zwei unvereinbare Aussagen, nämlich zum einen, er sei einen Monat nach der Eheschließung, zum anderen, er sei vier Monate nach der Eheschließung festgenommen worden. Vor diesem Hintergrund kann dann aber allein aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin das Ausmaß der gegen ihren Ehemann verhängten Strafe nicht angeben konnte, das Vorliegen einer Aufenthaltsehe nicht schlüssig abgeleitet werden. Schließlich hat die belangte Behörde auch nicht alle ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel, wie etwa den (gegen das Vorliegen einer bloß zur Erlangung von Aufenthaltstiteln sprechenden Ehe) in den Verwaltungsakten in Kopie erliegenden Brief des in Kroatien ansässigen Rechtsanwaltes des Ehemannes, aus dem entnommen werden kann, dass die Beschwerdeführerin von ihrem Ehemann gebeten wurde, ihn "im Gefängnis in O" zu besuchen, in ihre Überlegungen miteinbezogen. Der angefochtene Bescheid leidet somit auch an einem Begründungsmangel.

Der angefochtene Bescheid war sohin gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-85600