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VwGH vom 24.05.2012, 2011/07/0162

VwGH vom 24.05.2012, 2011/07/0162

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bumberger und die Hofräte Dr. Hinterwirth, Dr. Enzenhofer, Dr. N. Bachler und Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pühringer, über die Beschwerde der Agrargemeinschaft M-Wald, vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Brixner Straße 2, gegen den Bescheid des Landesagrarsenates beim Amt der Tiroler Landesregierung vom , Zl. LAS - 692/22-01, betreffend Behebung eines Ausschussbeschlusses (mitbeteiligte Partei:

Ortsgemeinde M, vertreten durch Dr. Gerhard Heinz Waldmüller, Dr. Martin Baldauf und Dr. Ralf Wenzel, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Fallmerayerstraße 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die mitbeteiligte Gemeinde wandte sich mit Eingaben im Juni und Juli 2010 an das Amt der Tiroler Landesregierung als Agrarbehörde erster Instanz (AB) und erhob Einspruch gegen den zu TOP 2 gefassten Beschluss des Ausschusses der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft vom . Dieser Beschluss betreffe die Vergabe der Eigenjagd an W.J. auf die Dauer von 10 Jahren ab ; entgegen der Bestimmung des § 35 Abs. 7 des Tiroler Flurverfassungs-Landesgesetzes 1996 (TFLG 1996) in der Fassung LGBl. Nr. 7/2010 sei der Ausschusssitzung kein Vertreter der Gemeinde hinzugezogen worden.

Mit Bescheid der AB vom wurde der anlässlich der Ausschusssitzung der Agrargemeinschaft vom zu TOP 2 gefasste Beschluss über die Verpachtung der Eigenjagd von Amts wegen gemäß § 37 Abs. 6 TFLG 1996 behoben.

Die AB begründete dies mit der Unterlassung der Beiziehung eines Vertreters der Gemeinde nach § 35 Abs. 7 TFLG 1996, zumal es sich bei der Agrargemeinschaft um eine Gemeindegutsagrargemeinschaft nach § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 handle und die Jagd nach § 31 des Tiroler Jagdgesetzes als Nutzung aus der Substanz des Gemeindegutes anzusehen sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Agrargemeinschaft Berufung, in der sie die Qualifikation als Gemeindegutsagrargemeinschaft bestritt. Die Verpachtung der Eigenjagd betreffe zudem keine Substanznutzung von Gemeindegut.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde die Berufung der Agrargemeinschaft als unbegründet ab.

In der Begründung heißt es, dass eine Beiziehung eines Vertreters der Gemeinde bei der Ausschusssitzung unstrittig nicht erfolgt sei. Zur Frage der Anwendbarkeit der Bestimmungen der §§ 33 Abs. 2 lit. c. Z 2, 35 Abs. 1 und 7 und 37 Abs. 6 TFLG 1996 in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 7/2010, sei auszuführen, dass im Falle des Vorliegens einer Gemeindegutsagrargemeinschaft die damit verbundenen Rechtsfolgen einträten, ohne dass es dafür einer gesonderten bescheidmäßigen Feststellung bedürfte. Diese Frage sei zwar einer bescheidmäßigen Feststellung zugänglich, diese Feststellung habe aber keine konstitutive sondern bloß eine deklarative Wirkung. Es sei daher ohne Belang, ob im Zeitpunkt der hier in Rede stehenden Rechtshandlung ein solcher Feststellungsbescheid bestehe oder nicht.

Die belangte Behörde habe mit Bescheid vom festgestellt, dass die Agrargemeinschaft von jeher eine Gemeindegutsagrargemeinschaft sei. Auf die Agrargemeinschaft sei die Bestimmung des § 35 Abs. 7 erster Satz TFLG 1996 daher anzuwenden; demnach sei sowohl dem Ausschuss als auch der Vollversammlung der Agrargemeinschaft jedenfalls ein von der Gemeinde entsandter Vertreter beizuziehen.

Diese Verpflichtung gelte auf Grund der gesetzlichen Formulierung ("jedenfalls") nicht nur für jene Fälle, in welchen Entscheidungen über Angelegenheiten fielen, die den Substanzwert betreffen, sondern für alle Versammlungen dieser Art. Es sei von vornherein nicht immer auszuschließen, dass die Organbeschlüsse den Substanzwert der agrargemeinschaftlichen Grundstücke berührten. Eine diesbezüglich differenzierte Betrachtungsweise sei lediglich in § 35 Abs. 7 zweiter Satz TFLG 1996 festzustellen, der ein Zustimmungsrecht des Gemeindevertreters in den Fällen vorsehe, in denen ein Beschluss den Substanzwert der agrargemeinschaftlichen Grundstücke betreffe. Die Beiziehung des Gemeindevertreters zur Ausschusssitzung bzw. Vollversammlung sei hingegen in allen Fällen notwendig.

Dies sei jedoch im vorliegenden Fall nicht geschehen, sodass der angefochtene Beschluss aufzuheben gewesen sei. Es seien wesentliche Interessen der Gemeinde, nämlich zur Wahrung ihrer aus der gesetzlichen Mitgliedschaft der Gemeinde erfließenden Rechte, verletzt worden. Der Gesetzgeber sehe eine differenzierte Betrachtung dahingehend, ob die Nichtbeiziehung des Gemeindevertreters auf den gefassten Beschluss inhaltlich von Einfluss gewesen sei, nicht vor.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.

Die belangte Behörde verwies auf die Aktenvorlage im Verfahren 2011/07/0161 und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.

Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Bei der beschwerdeführenden Agrargemeinschaft handelt es sich um eine Gemeindegutsagrargemeinschaft nach § 33 Abs. 2 lit. c

Z 2 TFLG 1996; in diesem Zusammenhang wird auf das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, 2011/07/0161, verwiesen.

Wie die belangte Behörde zutreffend ausführte, hat ein diese Eigenschaft bestätigender Feststellungsbescheid nur deklaratorische Wirkung. Auf die Beschwerdeführerin fand daher die Bestimmung des § 35 Abs. 7 TFLG 1996 bereits im Zeitpunkt der Beschlussfassung des Ausschusses Anwendung.

2. Die entscheidungswesentliche Bestimmung des § 35 Abs. 7 TFLG 1996 (in der Fassung der Novelle LGBl. Nr. 7/2010) hat folgenden Wortlaut:

"§ 35. (1) …

(7) Bei Agrargemeinschaften nach § 33 Abs. 2 lit. c ist dem Ausschuss und der Vollversammlung jedenfalls ein von der Gemeinde entsandter Vertreter beizuziehen. In Angelegenheiten, die den Substanzwert der agrargemeinschaftlichen Grundstücke (§ 33 Abs. 5) betreffen, kann ein Organbeschluss nur mit Zustimmung der Gemeinde rechtswirksam gefasst werden. Die Gemeinde kann in derartigen Angelegenheiten den Organen der Agrargemeinschaft Aufträge erteilen und, falls diese nicht befolgt werden, die Agrarbehörde anrufen; diesfalls ist § 37 Abs. 1 lit. b mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Agrarbehörde die Zweckmäßigkeit der Bewirtschaftung der agrargemeinschaftlichen Grundstücke des Gemeindegutes im Interesse der Gemeinde zu beurteilen hat."

Nach § 37 Abs. 6 TFLG sind Beschlüsse, die gegen dieses Gesetz oder gegen den Regulierungsplan einschließlich eines Wirtschaftsplanes oder einer Satzung verstoßen und dabei wesentliche Interessen der Agrargemeinschaft, ihrer Mitglieder oder bei Agrargemeinschaften nach § 33 Abs. 2 lit. c der Gemeinde verletzen, von der Agrarbehörde aufzuheben.

Die Beschwerdeführerin meint, die gesetzlichen Bestimmungen sähen selbst bei einer Agrargemeinschaft nach § 33 Abs. 2 lit. c TFLG 1996 nicht vor, dass die Gemeinde zu Ausschusssitzungen und Vollversammlungen zu laden seien; vielmehr ergebe sich aus § 35 Abs. 7 erster Satz TFLG, dass zunächst zu prüfen sei, ob die Gemeinde einen Vertreter zur Ausschusssitzung entsendet. Erfolge keine Entsendung, könne auch keine Ladung erfolgen, und das Formerfordernis sei nicht verletzt.

Dazu ist zu bemerken, dass das Gesetz von der Verpflichtung der Beiziehung eines entsandten Vertreters der Gemeinde spricht und dass diese Verpflichtung die Agrargemeinschaft trifft. Auf welchem organisatorischen Weg sie dieser Verpflichtung nachkommt, wird nicht näher geregelt. Dass sie im vorliegenden Fall aber keinen entsandten Vertreter der Gemeinde beigezogen hat und daher dieser Verpflichtung nicht nachgekommen ist, ist unstrittig. Die Nichtbeiziehung dieses Vertreters stellt aber einen Verstoß gegen das Gesetz dar.

Darauf, ob eine gleiche oder ähnliche Verpflichtung in der Satzung der Agrargemeinschaft enthalten ist oder nicht, kommt es ebenfalls nicht an.

3. Aus dem Wortlaut des ersten Satzes der § 35 Abs. 7 TFLG 1996 ergibt sich, dass die Verpflichtung zur Beiziehung eines entsandten Gemeindevertreters zu einer Ausschusssitzung der Agrargemeinschaft "jedenfalls" besteht, somit ungeachtet des Inhaltes der zu treffenden Beschlüsse. Die Nichtbeiziehung des Gemeindevertreters zur Ausschusssitzung verletzte daher jedenfalls das Gesetz. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht der Agrargemeinschaft hat die belangte Behörde deshalb zur Frage, ob das Jagdrecht auf dem Eigenjagdgebiet der Beschwerdeführerin eine Substanznutzung darstellt oder nicht, keine, auch keine - wie die Beschwerdeführerin meint - implizite Aussage getroffen.

Die mangelnde Beiziehung eines entsandten Gemeindevertreters zur Ausschusssitzung ist aber auch geeignet, wesentliche Interessen der Gemeinde zu verletzen. Der Gesetzgeber hat in § 35 Abs. 7 TFLG 1996 nämlich ausdrücklich vorgesehen, dass Gemeindevertreter an sämtlichen Sitzungen der beschlussfassenden Organe der Agrargemeinschaft teilnehmen und hat das Teilnahmerecht - im Gegensatz zum Zustimmungsrecht - nicht auf die Themenbereiche beschränkt, die mit der Substanznutzung im Zusammenhang stehen. Dies vor dem Hintergrund, dass der Gemeinde stets die Möglichkeit offen stehen sollte, an allen den Entscheidungen vorangehenden Gesprächen und Diskussionen teilzunehmen, alle Informationen zu erhalten und so auch außerhalb von konkreten Beschlussfassungen ihre Interessen geltend zu machen. In der Nichtbeiziehung der Gemeinde zu Sitzungen des Ausschusses bzw. der Vollversammlung liegt daher jedenfalls auch eine Verletzung wesentlicher Interessen der Gemeinde.

Die Voraussetzungen für die Aufhebung von Beschlüssen eines Organs der Agrargemeinschaft nach § 37 Abs. 6 TFLG 1996 lagen daher hier vor; diese Vorgangsweise verletzte somit keine Rechte der Agrargemeinschaft.

4. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

5. Die Agrargemeinschaft beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Die angefochtene Entscheidung stammt von einem Landesagrarsenat und damit einem Tribunal im Sinne des Art. 6 MRK. Der Landesagrarsenat hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Die Durchführung einer solchen vor dem Verwaltungsgerichtshof war daher entbehrlich (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2004/07/0190, und vom , 2009/07/0171).

6. Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
BAAAE-85598