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VwGH vom 28.05.2020, Ra 2019/21/0325

VwGH vom 28.05.2020, Ra 2019/21/0325

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant, die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel, die Hofrätin Dr. Julcher sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des D M in E (D), geboren am , vertreten durch Dr. Georg Watschinger, Rechtsanwalt in 4910 Ried im Innkreis, Schärdingerstraße 43, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , G310 2219339-1/3E, betreffend Aufenthaltsverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bescheid vom erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber, einen deutschen Staatsangehörigen, gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot; gemäß § 70 Abs. 3 FPG wurde ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat gewährt.

2Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom nur insoweit Folge, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 18 Monate herabgesetzt wurde.

3Das Bundesverwaltungsgericht stellte insbesondere fest, dass der Revisionswerber ledig und ohne Sorgepflichten sei. Seit arbeite er in Österreich bei der A. GmbH und verdiene netto € 2.000,--. Seinen Hauptwohnsitz habe er seit Jänner 2019 in Österreich gemeldet, davor sei dieser in Deutschland gewesen. Bis zum Wohnsitzwechsel sei der Revisionswerber zum österreichischen Arbeitsplatz gependelt. Seinen jetzigen Unterkunftgeber kenne er schon seit der Berufsschule, dieser sei ebenfalls bei der A. GmbH beschäftigt. Im Bundesgebiet habe der Revisionswerber keine Verwandten, jedoch Freunde und Arbeitskollegen, mit denen er sich regelmäßig in der Freizeit treffe. In Deutschland lebten sein Großvater und seine Großmutter, zu denen aber kein Naheverhältnis bestehe.

4In den Jahren 2010, 2011 und 2012 sei der Revisionswerber dreimal in Deutschland wegen Körperverletzungsdelikten strafgerichtlich verurteilt worden. Mit dem Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis vom sei er wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs. 4 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingt auf drei Jahre nachgesehenen Freiheitsstrafe von neun Monaten sowie zu einer unbedingten Geldstrafe von 100 Tagessätzen verurteilt worden. Der Verurteilung liege zugrunde, dass der Revisionswerber am in Braunau am Inn zwei männliche Personen vorsätzlich am Körper verletzt habe. Eine Person dadurch, dass er dieser eine Bierflasche in das Gesicht geschleudert und so, wenn auch fahrlässig, eine schwere Körperverletzung (Orbitbodenfraktur rechts samt Hämatom) herbeigeführt habe, sowie eine weitere männliche Person durch Versetzen eines Faustschlages in das Gesicht, wodurch diese eine Kieferprellung erlitten habe. Mildernd gewertet worden seien das Geständnis sowie die Bereitschaft zur Schadensgutmachung und Entschuldigung, erschwerend hingegen das Zusammentreffen mehrerer Straftaten und drei einschlägige, wenn auch länger zurückliegende, Vorstrafen in Deutschland. Der Revisionswerber sei außerdem zur Zahlung eines Schadenersatzbetrages von € 500,-- an ein privatbeteiligtes Opfer verurteilt worden.

5Rechtlich führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass der Revisionswerber bereits mehrmals wegen der Begehung von Aggressionsdelikten verurteilt worden sei. Die wiederholte Delinquenz des Revisionswerbers lasse nicht erkennen, dass dieser sich rechtsstaatlich geschützten Werten verbunden fühle. Selbst das dreimalige Erfahren strafgerichtlicher Sanktionen habe nicht vermocht, den Revisionswerber davon abzuhalten, erneut einschlägig straffällig zu werden. Die Ausführungen in der Beschwerde, wonach der Revisionswerber seine Tat bereue, würden nicht überzeugen, zumal der Revisionswerber wiederholt Gewaltdelikte begangen habe, selbst wenn die Straftaten in Deutschland bereits mehrere Jahre zurücklägen. Auch wenn es sich laut den Ausführungen in der Beschwerde dabei um leichte Körperverletzungen gehandelt habe und der Revisionswerber ausschließlich zu Geldstrafen verurteilt worden sei, dürfe nicht übersehen werden, dass diese Sanktionen ihn dennoch nicht davon abgehalten hätten, erneut gegen die körperliche Integrität vorzugehen. Diesmal habe die Tat eine schwere Körperverletzung zur Folge gehabt.

6Unter Bedachtnahme auf Art und Schwere der begangenen Straftat, und zwar das Schleudern einer Flasche und das Versetzen von Faustschlägen in das Gesicht anderer Personen, sei daher auf eine erhebliche von ihm ausgehende Gefahr zu schließen gewesen. Seine wiederholte Aggressionsdelinquenz lege nahe, dass von ihm auch zukünftig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit im Sinne des § 67 Abs. 1 FPG ausgehen werde. Aktuell könne ihm keine positive Zukunftsprognose attestiert werden.

7Eine dreijährige Dauer des Aufenthaltsverbotes sei jedoch unverhältnismäßig, zumal die Straftaten des Revisionswerbers nicht der Schwerkriminalität zuzurechnen seien, der Strafrahmen nicht einmal zu einem Drittel ausgeschöpft worden sei und das Gericht mit der Verhängung einer „teilbedingten Freiheitsstrafe“ sowie einer unbedingten Geldstrafe das Auslangen gefunden habe. Die Dauer des Aufenthaltsverbotes sei daher auf ein dem Fehlverhalten entsprechendes Maß zu reduzieren. Auf Grund des konkreten Unrechtsgehalts der vom Revisionswerber begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe reiche ein achtzehnmonatiges Aufenthaltsverbot aus, um der von ihm ausgehenden Gefährlichkeit wirksam zu begegnen und ihn zu einem Umdenken hin zu einem rechtstreuen Verhalten zu bewegen. Diese Dauer sei - auch im Hinblick auf die dreijährige Probezeit für den bedingten Strafteil - notwendig, aber auch ausreichend, um eine nachhaltige Änderung seines Verhaltens und seiner Einstellung zu den rechtlich geschützten Werten zu bewirken.

8Der Revisionswerber verfüge in Österreich zwar über soziale, jedoch keine berücksichtigungswürdigen familiären Anknüpfungspunkte. Bis vor kurzem sei auch sein Hauptwohnsitz in einem grenznahen Ort in Deutschland gelegen. Hinsichtlich der in Österreich geknüpften sozialen Kontakte sei festzuhalten, dass der Revisionswerber diese trotz seines Aufenthaltsverbotes weiterhin aufrechterhalten könne, sei es durch Besuche seiner Freunde in Deutschland oder auch telefonisch bzw. mithilfe von elektronischen Kommunikationsmitteln. Der Beschwerdeargumentation, dass der Revisionswerber durch ein Aufenthaltsverbot seine Anstellung verlieren würde, sei in diesem Zusammenhang zu entgegnen, dass der Revisionswerber auch in Deutschland oder anderen Staaten einer Beschäftigung nachgehen und dort Schulungen zur Gewaltprävention absolvieren könne.

9Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende - nach Ablehnung der Behandlung und Abtretung der an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (Beschluss vom zu E 3098/2019) fristgerecht eingebrachte - außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:

10Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil das Bundesverwaltungsgericht - wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird - von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

11Gegen den Revisionswerber als Unionsbürger wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß dem ersten bis vierten Satz des § 67 Abs. 1 FPG nur dann zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Das persönliche Verhalten muss nach dieser Bestimmung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahme begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

12Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das „persönliche Verhalten“ des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. etwa , Rn. 6, mwN).

13Das Bundesverwaltungsgericht hat das Aufenthaltsverbot tragend auf die letzte Verurteilung des Revisionswerbers gestützt, während zu den in Deutschland begangenen Straftaten jegliche nähere Feststellungen fehlen. Diese letzte Verurteilung fällt zwar unter § 53 Abs. 3 Z 1 FPG, was eine „schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“ indiziert. Die Erfüllung des Gefährdungsmaßstabs nach § 67 Abs. 1 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht mit der bloßen Wiedergabe des strafgerichtlichen Schuldspruchs samt den herangezogenen Milderungs- und Erschwerungsgründen aber nicht hinreichend begründet, zumal es selbst Aspekte ins Treffen geführt hat, auf Grund deren es eine Dauer des Aufenthaltsverbots von nur 18 Monaten für ausreichend hielt. Dass einerseits eine „tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“ bejaht wird, andererseits aber „auf Grund des konkreten Unrechtsgehalts der begangenen Straftaten unter Berücksichtigung aller Milderungs- und Erschwerungsgründe“ eine Dauer der Maßnahme von 18 Monaten genügen soll, lässt sich ohne Vorliegen besonderer Umstände, die vom Bundesverwaltungsgericht darzulegen gewesen wären, nicht in Einklang bringen.

14Dazu kommt, dass das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG nicht ausreichend berücksichtigt hat, dass das Einreiseverbot den Verlust des Arbeitsplatzes des Revisionswerbers in Österreich zur Folge hätte. Angesichts dessen ist nicht entscheidend, dass er seinen Hauptwohnsitz bis vor kurzem in einem grenznahen Ort in Deutschland hatte, wie das Bundesverwaltungsgericht ausführt; vielmehr hätte es einer Auseinandersetzung mit den konkreten Folgen des Arbeitsplatzverlustes bzw. mit den konkreten Chancen, in Deutschland Arbeit zu finden, bedurft.

15Nach dem Gesagten war auch nicht vom Vorliegen eines eindeutigen Falles auszugehen, der es dem Bundesverwaltungsgericht ausnahmsweise erlaubt hätte, ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von der Durchführung der in der Beschwerde ausdrücklich beantragten mündlichen Verhandlung abzusehen (siehe mit mehreren Nachweisen aus der ständigen Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen etwa , Rn. 7).

16Das angefochtene Erkenntnis ist daher insgesamt mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

17Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210325.L00

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