VwGH vom 24.10.2019, Ra 2019/21/0293
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am mündlich verkündete und mit zu L519 2167549-1/17E, L519 2167528-1/16E, L519 2167545-1/9E und L519 2167542-1/9E schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes betreffend Feststellung der dauernden Unzulässigkeit von Rückkehrentscheidungen und Erteilung von Aufenthaltstiteln "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsyG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. M A S,
2. H A K, 3. L A S, und 4. J A S, alle in G und im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht alle vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, Wattgasse 48, 3. Stock), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Die Mitbeteiligten sind Staatsangehörige des Irak und stellten im August 2015 Anträge auf internationalen Schutz. 2 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) je vom wurden diese Anträge vollinhaltlich abgewiesen (jeweils Spruchpunkte I. und II.). Unter einem wurden Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt und gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, verbunden mit der Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG, dass Abschiebungen in den Irak zulässig seien, und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG unter Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen (jeweils Spruchpunkte III. und IV.). 3 Die Mitbeteiligten erhoben gegen diese Bescheide Beschwerde, über die das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am eine mündliche Verhandlung durchführte. In dieser zogen die Mitbeteiligten die Beschwerde gegen die Abweisung ihrer Anträge auf internationalen Schutz (Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide) zurück.
4 Mit am Ende der Beschwerdeverhandlung mündlich verkündetem Erkenntnis gab das BVwG den Beschwerden hinsichtlich der Spruchpunkte III. und IV. der angefochtenen Bescheide statt und stellte fest, dass gemäß § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen auf Dauer unzulässig sind. Unter einem erteilte es gemäß § 55 Abs. 1 AsyG 2005 den Mitbeteiligten jeweils eine "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von 12 Monaten und sprach dann noch aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Die "Entscheidungsgründe" sind im Verhandlungsprotokoll wörtlich wie folgt beurkundet:
"Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts der (Mitbeteiligten) im Bundesgebiet deren persönliche Interessen am Verbleib im Bundesgebiet nicht überwiegt und daher durch Rückkehrentscheidungen eine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliegen würde. Die (Mitbeteiligten) haben die zwar noch relativ kurze Aufenthaltsdauer in einem überaus großen Ausmaß genutzt, um sich in Österreich zu integrieren. Sie beherrschen nahezu perfekt die deutsche Sprache, sind unbescholten und haben sich auf vielfältige Weise im Gemeindeleben integriert, was auch durch die beiden einvernommenen Zeugen zweifelsfrei bestätigt wurde. Darüber hinaus hat (der Erstmitbeteiligte) eine Einstellungszusage einer ortsansässigen Firma, bei der (er) jederzeit zu arbeiten beginnen kann. Auch die Kinder sind im Schul- und Kindergartenleben bestens integriert. Darüber hinaus engagieren sich die muslimischen (Mitbeteiligten) auch sehr stark in der Pfarre, indem sie den Pfarrer bei sämtlichen Arbeiten - ob im Wald oder im Pfarrhof - ehrenamtlich unterstützen."
6 Ein Vertreter des BFA war bei der Beschwerdeverhandlung nicht anwesend. Ein Ersuchen des BFA vom , eine Niederschrift der Verhandlung zu übermitteln, blieb nach der Aktenlage unerledigt. Das BVwG erstellte aber mit gemäß § 29 Abs. 5 VwGVG eine gekürzte Ausfertigung des am mündlich verkündeten Erkenntnisses, "da ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch die hierzu Berechtigten innerhalb der zweiwöchigen Frist nicht gestellt wurde." Einen derartigen Antrag stellte das BFA dann allerdings am .
7 Über die sodann vom BFA gegen das am mündlich verkündete und mit in gekürzter Form ausgefertigte Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen die Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung erstatteten, erwogen:
8 Die im gegebenen Zusammenhang maßgeblichen Bestimmungen (§ 29 VwGVG und § 25a VwGG) lauten - soweit hier relevant - samt Überschriften:
"Verkündung und Ausfertigung der Erkenntnisse
§ 29. (1) Die Erkenntnisse sind im Namen der Republik zu verkünden und auszufertigen. Sie sind zu begründen.
(2) Hat eine Verhandlung in Anwesenheit von Parteien stattgefunden, so hat in der Regel das Verwaltungsgericht das Erkenntnis mit den wesentlichen Entscheidungsgründen sogleich zu verkünden.
(2a) Das Verwaltungsgericht hat im Fall einer mündlichen Verkündung die Niederschrift den zur Erhebung einer Revision beim Verwaltungsgerichtshof oder einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof legitimierten Parteien und Organen auszufolgen oder zuzustellen. Der Niederschrift ist eine Belehrung anzuschließen:
1. über das Recht, binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift eine Ausfertigung gemäß Abs. 4 zu verlangen;
2. darüber, dass ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision beim Verwaltungsgerichtshof und der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof darstellt.
(2b) Ist das Erkenntnis bereits einer Partei verkündet worden, kann ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 bereits ab dem Zeitpunkt gestellt werden, in dem der Antragsteller von dem Erkenntnis Kenntnis erlangt hat. Ein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 ist den übrigen Antragsberechtigten zuzustellen.
(3) ...
(4) Den Parteien ist eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zuzustellen. Eine schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses ist in den in Art. 132 Abs. 1 Z 2 B-VG genannten Rechtssachen auch dem zuständigen Bundesminister zuzustellen.
(5) Wird auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof von den Parteien verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt, so kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Art. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.
Revision
§ 25a. (1) ... (4)
(4a) ... Wurde das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts
mündlich verkündet (§ 29 Abs. 2 VwGVG), ist eine Revision nur nach einem Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs. 4 VwGVG durch mindestens einen der hiezu Berechtigten zulässig.
(5) ..."
9 Im vorliegenden Fall wurde das angefochtene Erkenntnis am mündlich verkündet.
10 Das BFA war im Verfahren vor dem BVwG belangte Behörde (§ 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG), als solche gemäß § 18 VwGVG Partei des Verfahrens und gemäß Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG zur Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof legitimiert. Ihm hätte daher - ungeachtet der Nichtteilnahme an der Beschwerdeverhandlung - (insbesondere) die im § 29 Abs. 2a VwGVG angesprochene Niederschrift (niederschriftliche Beurkundung der Tatsache der Verkündung des Erkenntnisses und von dessen Inhalt) zugestellt werden müssen. Das ist jedoch unterblieben, sodass die in § 29 Abs. 5 VwGVG vorgesehene Frist von zwei Wochen, binnen derer nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß § 29 Abs. 2a VwGVG eine Erkenntnisausfertigung zu beantragen ist, für das BFA nicht zu laufen begonnen hat.
11 Das BFA hat dennoch - am - einen derartigen Antrag gestellt, was in § 29 Abs. 2b erster Satz VwGVG Deckung findet. Im Hinblick darauf ist die gegenständliche Revision zunächst mit Blick auf § 25a Abs. 4a letzter Satz VwGG zulässig. Sie ist aber - anders als in der Revisionsbeantwortung geltend gemacht - auch unter dem Aspekt des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig und überdies berechtigt. Denn in Anbetracht dessen, dass die zuvor angesprochene zweiwöchige Frist des § 29 Abs. 5 VwGVG, binnen derer eine Erkenntnisausfertigung zu beantragen ist, nicht zu laufen begonnen hat, durfte auch - wie die Revision zutreffend aufzeigt - nicht von der im § 29 Abs. 5 VwGVG vorgesehenen Möglichkeit der gekürzten Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses Gebrauch gemacht werden. Die dennoch ergangene gekürzte Ausfertigung wird aber für sich betrachtet - ebenso wie das mündlich verkündete Erkenntnis bzw. dessen Beurkundung - den somit einzuhaltenden Begründungserfordernissen eines verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses (siehe nur aus jüngerer Zeit , Rn. 16) nicht gerecht, weshalb das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210293.L00 |
Schlagworte: | Allgemein Begründung Begründungsmangel Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 |
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