VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0281

VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0281

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H N I in F, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichte s vom , I414 2216883-1/4E, betreffend Abweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, beantragte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am , letztlich ohne Erfolg, die Gewährung von Asyl. 2 Am heiratete der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin. Die Ehe, aus der zwei (2004 und 2007 geborene, in Wien bei der Mutter lebende) Kinder, ebenfalls österreichische Staatsbürger, abstammen, wurde im Jahr 2006 geschieden.

3 Mit Bescheid vom erließ die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn gegen den Revisionswerber gemäß § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot. Begründend berief sie sich vor allem darauf, dass mit Urteil des Amtsgerichtes Lörrach (Deutschland) vom , abgeändert durch Urteil des Landesgerichtes Freiburg vom , wegen Suchtmitteldelikten rechtskräftig eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verhängt worden sei.

4 Dieses Aufenthaltsverbot, nach dessen Erlassung sich der Revisionswerber nach eigenen Angaben teils in anderen Staaten Europas (etwa in Spanien, England, Schweden und Deutschland sowie zuletzt in der Schweiz), teils in Nigeria aufgehalten hatte, wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom über Antrag des Revisionswerbers gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben.

5 Neben den in Rn. 2 genannten, 2004 und 2007 geborenen (österreichischen) Kindern ist der Revisionswerber auch Vater eines im August 2009 geborenen deutschen Staatsangehörigen. 6 Am stellte der Revisionswerber mit Bezug auf die genannten Kinder sowie eine in Vorarlberg bestehende Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsbürgerin den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

7 Mit Bescheid vom wies das BFA diesen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Es erließ gemäß § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung, stellte nach § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei, und räumte ihm gemäß § 55 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise bis Juni 2019 ein.

8 Begründend stellte das BFA fest, der über Deutschkenntnisse auf Niveau B 1 verfügende bei seiner Lebensgefährtin in Vorarlberg aufhältige Revisionswerber sei nicht (etwa auf Werkvertragsbasis) erwerbstätig gewesen, sodass der Unterhalt seiner Kinder, obwohl er gesund und arbeitsfähig sei, seit Jahren aus öffentlichen Mitteln habe finanziert werden müssen. Auch sei er keinen ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgegangen. Die genannten, 2004 und 2007 geborenen Kinder lebten nicht in Vorarlberg, sondern bei ihrer Mutter in Wien. Der in den Niederlanden geborene deutsche Sohn aus einer unehelichen Beziehung lebe außerhalb Österreichs. Das Familienleben könnte somit auch im Fall des Aufenthalts des Revisionswerbers im Herkunftsstaat durch Besuche oder Kontakte über Telefon bzw. soziale Medien aufrechterhalten werden, zumal auch derzeit aufgrund der räumlichen Entfernung keine andere Form des Familienlebens stattfinde.

9 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragte.

Dazu brachte er unter anderem vor, seit 2017 einen gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin in Vorarlberg zu führen. Es sei eine baldige Heirat beabsichtigt, die derzeit aufgrund des Fehlens "eines beglaubigten Dokuments aus Nigeria" noch nicht möglich gewesen sei. Auch zu den drei Kindern seiner Lebensgefährtin, die im gemeinsamen Haushalt aufhältig seien, bestehe eine enge Beziehung. Seine beiden in Wien lebenden Kinder sehe er rund einmal monatlich persönlich, was ihm von Nigeria aus jedenfalls nicht möglich wäre. Er feiere mit den Kindern Anlässe wie Geburtstage und Weihnachten und bringe ihnen Geschenke mit. Zum Nachweis des Vorliegens eines ausgeprägten Privat- und Familienlebens in Österreich beantragte er die zeugenschaftliche Einvernahme seiner Lebensgefährtin.

Zudem bestritt der Revisionswerber die Feststellung des BFA, dass er keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nachgehe. Vielmehr sei er seit Dezember 2017 freiwilliger Mitarbeiter der Caritas und habe "ehrenamtlich über 90 Stunden geleistet". Daneben absolviere er eine Ausbildung als "Berufsdetektiv-Assistent". Auch verfüge er über eine Einstellungszusage.

10 Mit dem angefochtenen - ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung und Erledigung des erwähnten Beweisantrages erlassenen - Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

11 Begründend führte das BVwG in seiner Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG - soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung - aus, dass das vom Revisionswerber mit seiner österreichischen Lebensgefährtin und ihren drei Kindern geführte Familienleben bei unsicherem Aufenthaltsstatus entstanden sei, weil er sich "seit

der Erlassung des Aufenthaltsverbots ... beharrlich im

Bundesgebiet aufhält". Mit dem bei seiner geschiedenen Ehefrau lebenden österreichischen Kindern und seinem Sohn deutscher Staatsangehörigkeit werde "de facto kein Familienleben geführt"; die Kindesmütter kämen voll und ganz für den Unterhalt der minderjährigen Kinder auf. Zwar unterhalte der Revisionswerber zu seinen Kindern eine freundschaftliche Beziehung. Das Familienleben könne jedoch durch gegenseitige Besuche und Kontakte über Telefon bzw. soziale Medien aufrechterhalten werden, zumal auch derzeit aufgrund der räumlichen Entfernung keine andere Form des Familienlebens stattfinde. Im Übrigen könnten dem Revisionswerber gute Deutschkenntnisse (auf dem Niveau B 1), gemeinnützige Tätigkeiten, der Besuch eines Lehrganges zum Berufsdetektiv-Assistenten sowie der Abschluss eines Arbeitsvorvertrages zugutegehalten werden. Allerdings sei der Revisionswerber nicht legal erwerbstätig, nicht selbsterhaltungsfähig und werde von seiner Lebensgefährtin finanziert. Die Möglichkeit einer Reintegration in Nigeria sei hinsichtlich des gesunden und erwerbsfähigen Revisionswerbers, der dort die Schule besucht habe und noch über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge, zu erwarten. Insgesamt erweise sich somit die Erlassung einer Rückkehrentscheidung als nicht iSd § 9 Abs. 2 BFA-VG unzulässig, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht komme.

Die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung habe gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber sei nicht erforderlich gewesen, weil auch unter Berücksichtigung aller zu seinen Gunsten sprechenden Fakten kein für ihn günstigeres Ergebnis zu erwarten wäre, falls sich das BVwG von ihm einen persönlichen Eindruck verschaffe.

12 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 2043/2019, ablehnte und die Beschwerde mit weiterem Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

13 Über die in der Folge ausgeführte Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens (eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet) in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

14 Die Revision erweist sich als zulässig und berechtigt, weil das BVwG - wie die Revision zutreffend geltend macht - jedenfalls in Teilen seiner Begründung die Aufhebung des Aufenthaltsverbotes mit Bescheid des BFA vom unbeachtet gelassen hat und überdies zu Unrecht vom Vorliegen der Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgegangen ist.

15 Der Revisionswerber verweist insoweit auf sein in der Beschwerde an das BVwG erstattetes Vorbringen zur Führung eines intensiven Familienlebens mit der Lebensgefährtin, deren Kindern und insbesondere seinen in Wien aufhältigen österreichischen Kindern.

Der Umfang des Aufenthalts des Revisionswerbers im Bundesgebiet sowie des tatsächlich geführten Familienlebens, das einen anderen Ausgang des Verfahrens nicht ausgeschlossen erscheinen lässt, wäre mit Bezug auf dieses Vorbringen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung näher abzuklären gewesen. Ebenso hätte das BVwG ermitteln müssen, welche konkreten Auswirkungen eine Aufenthaltsbeendigung des Revisionswerbers auf die Beziehung zu seinen Kindern haben würde. Wenn er auch, wie das BVwG annimmt, aktuell keine nennenswerten Unterhaltszahlungen leisten sollte, spielte das angesichts (geltend gemachter, bislang aber ungeprüft gebliebener) regelmäßiger Kontakte nur eine untergeordnete Rolle (vgl. dazu etwa , Rn. 11 und 12, mwN).

16 Von daher kann - entgegen der Meinung des BVwG - auch insgesamt nicht gesagt werden, es liege ein "eindeutiger Fall" vor, der ausnahmsweise gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG trotz Vorliegens eines darauf gerichteten Antrages die Entscheidung ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber in einer Beschwerdeverhandlung erlaubt hätte (vgl. dazu etwa , Rn. 20, mwN).

17 Das angefochtene Erkenntnis ist somit schon deshalb mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben war.

18 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG abgesehen werden.

19 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210281.L00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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