VwGH vom 27.04.2020, Ra 2019/21/0277
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des E S O in K, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I422 1317049-3/4E, betreffend insbesondere Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im bekämpften Umfang (Einreiseverbot) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise in Österreich am einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom in Verbindung mit einer Rückkehrentscheidung vollumfänglich abgewiesen wurde.
2Er kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern verblieb in Österreich.
3Mit Schriftsatz seines Rechtsvertreters vom und mittels persönlichen Antrags vom beantragte der Revisionswerber die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 Abs. 1 AsylG 2005. Zugleich wurde im Schriftsatz seines Rechtsvertreters der Antrag auf Heilung eines Mangels nach § 4 Abs. 1 Z 3 AsylG-DV 2005 gestellt, da dem Revisionswerber die Vorlage eines durch seinen Herkunftsstaat Nigeria ausgestellten Reisedokumentes bzw. einer Geburtsurkunde nicht möglich sei.
4Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den eben genannten Antrag auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 ab und den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück. Zugleich erließ es gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei und sprach gemäß § 55 Abs. 4 FPG aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe. Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG wurde ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
5Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab.
6Begründend führte es aus, der Antrag auf Heilung des Mangels gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 sei abzuweisen gewesen, weil die Erlangung der erforderlichen Dokumente nicht unmöglich oder unzumutbar gewesen sei. Da die in § 8 Abs. 2 AsylG-DV 2005 bezeichneten Nachweise nicht erbracht worden seien, sei der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 in Ermangelung der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen durch das BFA zurückzuweisen gewesen.
7Zum verhängten Einreiseverbot erwog das Bundesverwaltungsgericht - abgesehen von auf den vorliegenden Fall nicht passenden Textbausteinen (betreffend u.a. die missbräuchliche Stellung von mehrfachen Anträgen auf internationalen Schutz) - einerseits, dieses sei vom BFA zu Recht auf Art. 11 der Rückführungsrichtlinie iVm § 53 Abs. 2 FPG gestützt worden. Nach Abschluss seines Asylverfahrens durch Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom sei der Revisionswerber trotz rechtskräftiger „Ausweisungsentscheidung“ unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben und habe sich somit seiner Rückkehrverpflichtung widersetzt. Dem Revisionswerber sei mit Bescheid des BFA vom aufgetragen worden, sich zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes am persönlich beim BFA, Regionaldirektion Wien, einzufinden. Dieser Ladung sei er nicht nachgekommen. Einem neuerlichen Ladungstermin am sei der Revisionswerber jedoch gefolgt und von einer Delegation seines Herkunftsstaates als nigerianischer Staatsangehöriger identifiziert worden.
8Andererseits habe das BFA aufgrund der Mittellosigkeit des Revisionswerbers zutreffend § 53 Abs. 1 und 2 Z 6 FPG herangezogen. Der Revisionswerber befinde sich in keinem aufrechten Beschäftigungsverhältnis und habe die Sicherung seines Aufenthaltes in Österreich nicht nachzuweisen vermocht. Auch die Tatsache, dass er - gemäß dem in der Beschwerde vorgelegten Empfehlungsschreiben vom - auf finanzielle Unterstützung angewiesen sei, bestätige die Mittellosigkeit des Revisionswerbers. Bezüglich des ebenfalls vorgelegten arbeitsrechtlichen Vorvertrages führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass einer Arbeitsplatzzusage in einem Verfahren betreffend Ausweisung mangels Aufenthaltsberechtigung und Arbeitserlaubnis der Fremden keine wesentliche Bedeutung zukomme (mit Verweis auf ). Im Zuge der Einzelfallbetrachtung sei in Anbetracht des monatlichen Entgeltes von brutto € 1.100 (netto rund € 930) zudem anzumerken, dass sein Einkommen unter der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle liege (mit Verweis auf http://www.armutskonferenz.at/armut-in-oesterreich/aktuelle-armuts-und-verteilungszahlen.html) und er somit als armutsgefährdet gelte. Hinzu komme die im Arbeitsvorvertrag vereinbarte Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und -ort in ganz Kärnten. Dadurch könnten allfällige zusätzliche Mehrkosten, die für eine Anreise an die Arbeitsorte anfallen würden, nicht abgeschätzt werden. Zudem lasse sich trotz des arbeitsrechtlichen Vorvertrages nicht zwingend eine Anstellung des Revisionswerbers ableiten bzw. müsse der Revisionswerber diese nicht zwingend antreten und bestünde bei einer allfälligen Anstellung des Revisionswerbers auch keine Pflicht zu einer dauerhaften Weiterbeschäftigung. Zu der in der Beschwerde vorgelegten Unterstützungserklärung vom sei auszuführen, dass aus einer Erklärung, jemanden finanziell zu unterstützen, nicht zwangsweise die vollständige Sicherung eines Lebensunterhaltes abgeleitet werden könne. Somit könnten mögliche zukünftige „Hinwendungen“ durch Gebietskörperschaften an den Revisionswerber und damit verbundene finanzielle Belastungen nicht ausgeschlossen werden. Im Revisionsfall seien daher beide Tatbestände, sowohl § 53 Abs. 2 FPG iVm Art. 11 der Rückführungsrichtlinie als auch § 53 Abs. 2 Z 6 FPG, erfüllt.
9Allein gegen jenen Spruchpunkt, mit dem die Beschwerde gegen die Erlassung eines Einreiseverbotes abgewiesen wurde, richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
10Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
11Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung unter anderem vor, dass die vom Bundesverwaltungsgericht betreffend das Einreiseverbot vorgenommene Einzelfallprüfung nicht im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgenommen worden sei.
12Die Revision erweist sich aus dem genannten Grund als zulässig und berechtigt.
13Das verhängte Einreiseverbot wurde vom Bundesverwaltungsgericht einerseits darauf gestützt, dass der Revisionswerber trotz rechtskräftiger „Ausweisungsentscheidung“ unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben sei und sich somit seiner Rückkehrverpflichtung widersetzt habe.
14Ein unrechtmäßiger Aufenthalt per se rechtfertigt noch nicht die Verhängung eines Einreiseverbotes zusätzlich zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung; liegt aber nicht bloß ein unrechtmäßiger Aufenthalt, sondern eine qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung vor, so kann daraus eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abzuleiten sein, die die Verhängung eines Einreiseverbots erforderlich macht (vgl. in diesem Sinn , Rn. 25 und 26, sowie darauf Bezug nehmend etwa ). Eine solche qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung wird von § 53 Abs. 2 FPG erfasst, was jedenfalls auch von Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie gedeckt ist, wonach Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde (vgl. ).
15Der vorliegende Fall ist zunächst dadurch gekennzeichnet, dass das Asylverfahren des Revisionswerbers bis zu seiner rechtskräftigen negativen Erledigung mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom mehr als elf Jahre lang gedauert hat, ohne dass dies dem Revisionswerber erkennbar anzulasten wäre. Danach war der Revisionswerber zwar - trotz Stellung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 im April 2019 - grundsätzlich zur Ausreise verpflichtet. Die Verzögerung seiner Ausreise um - zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - etwas mehr als ein halbes Jahr fällt angesichts der dargestellten elfjährigen Dauer des Asylverfahrens aber nicht entscheidend ins Gewicht. Auch aus der einmaligen Versäumung eines Ladungstermins, der die Befolgung einer weiteren Ladung mit ordnungsgemäßer Mitwirkung an der Erlangung von Heimreisedokumenten gegenübersteht, ist in dieser Konstellation noch keine so qualifizierte Verletzung der Ausreiseverpflichtung abzuleiten, dass darin eine die Erlassung eines Einreiseverbots rechtfertigende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit läge.
16Ob Art. 11 Abs. 1 lit. b der Rückführungsrichtlinie - anders als die innerstaatliche Rechtslage - auch ohne eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit im Sinn des § 53 Abs. 2 FPG in jedem Fall einer Verletzung der Ausreiseverpflichtung zwingend die Erlassung eines Einreiseverbots verlangt, kann schon deshalb dahingestellt bleiben, weil eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie zu Lasten eines Einzelnen von vornherein nicht in Betracht käme (vgl. , Rn 30, mwN). Im Übrigen ist aber anzumerken, dass die Rückführungsrichtlinie insgesamt unter dem Vorbehalt des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes steht (vgl. insbesondere den Erwägungsgrund Nr. 20 der Richtlinie). Es wäre daher fallbezogen vermutlich auch davon auszugehen, dass angesichts des mehr als elfjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Revisionswerbers, auf Grund dessen der Versuch, einen - insbesondere für solche Konstellationen der Bereinigung von Altfällen geschaffenen (vgl. , Rn. 20) - Aufenthaltstitel nach § 56 AsylG 2005 zu erlangen, jedenfalls nicht missbräuchlich war, auch nach der Rückführungsrichtlinie kein Einreiseverbot zu erlassen gewesen wäre.
17Das Bundesverwaltungsgericht begründete das verhängte Einreiseverbot jedoch zudem mit der Mittellosigkeit des Revisionswerbers.
18Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 53 Abs. 2 Z 6 FPG hat ein Fremder initiativ, untermauert durch Vorlage entsprechender Bescheinigungsmittel, nachzuweisen, dass er nicht bloß über Mittel zur kurzfristigen Bestreitung seines Unterhalts verfügt, sondern sein Unterhalt für die beabsichtigte Dauer seines Aufenthalts gesichert erscheint. Die Verpflichtung, die Herkunft der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nachzuweisen, besteht insoweit, als für die Behörde ersichtlich sein muss, dass der Fremde einen Rechtsanspruch darauf hat und die Mittel nicht aus illegalen Quellen stammen (vgl. etwa , mwN). Ein arbeitsrechtlicher Vorvertrag eignet sich grundsätzlich als Nachweis der Unterhaltsmittel für den (zukünftigen) - im vorliegenden Fall: nicht mehr durch die Grundversorgung gesicherten, aber auf Grund eines angestrebten Aufenthaltstitels eine Erwerbstätigkeit erlaubenden - Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinne dieser Rechtsprechung (vgl. auch § 7 Abs. 1 Z 7 NAG-DV, in dem arbeitsrechtliche Vorverträge ausdrücklich als Bescheinigungsmittel zum Nachweis des gesicherten Lebensunterhalts genannt sind). Die Frage, inwieweit eine Arbeitsplatzzusage für die Interessenabwägung nach (nunmehr) § 9 BFA-VG Bedeutung hat, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle (nur auf die Interessenabwägung bezog sich aber die Verneinung der Maßgeblichkeit einer Arbeitsplatzzusage in der vom Bundesverwaltungsgericht ins Treffen geführten Entscheidung ).
19Wenn sich das Bundesverwaltungsgericht außerdem darauf stützt, dass das im Arbeitsvorvertrag vorgesehene Entgelt von brutto € 1.100 (netto € 933,68) unter der aktuellen Armutsgefährdungsschwelle liege, ist ihm zu entgegnen, dass hinsichtlich der Höhe der Einkünfte, bei deren Vorliegen nicht von Mittellosigkeit im Sinne des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG auszugehen ist, eine Orientierung an § 11 Abs. 5 NAG und demnach an den Ausgleichszulagenrichtsätzen des § 293 ASVG zu erfolgen hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat in Verkennung der Rechtslage jedoch die von der Armutskonferenz aufgestellten höheren Zahlen herangezogen. Da das im Arbeitsvorvertrag vorgesehene Entgelt den Ausgleichszulagenrichtsatz, welcher für das Jahr 2019 gemäß § 293 Abs. 1 lit. a sublit. bb ASVG € 933,06 beträgt, erreicht, erweist sich die rechtliche Fehleinschätzung des Bundesverwaltungsgerichts auch als ergebnisrelevant. Warum dennoch Mittellosigkeit das verhängte Einreiseverbot rechtfertigen könnte, wurde vom Bundesverwaltungsgericht nicht überzeugend dargelegt. Weder die im Arbeitsvorvertrag vereinbarte Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit und -ort in ganz Kärnten noch die nicht näher begründeten Zweifel, ob der Revisionswerber die Beschäftigung wirklich antreten würde, reichen dafür aus. Allenfalls wären diese Punkte in der beantragten mündlichen Verhandlung zu klären gewesen.
20Da im Ergebnis weder eine (qualifizierte) Verletzung der Ausreiseverpflichtung noch Mittellosigkeit das verhängte Einreiseverbot in der Höhe von drei Jahren zu tragen vermochten, war das angefochtene Erkenntnis wegen (prävalierender) Rechtswidrigkeit seines Inhaltes im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
21Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210277.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1 |
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