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VwGH vom 09.09.2015, 2013/16/0049

VwGH vom 09.09.2015, 2013/16/0049

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Mairinger und Mag. Straßegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Beschwerde der E M in B, vertreten durch Dr. Eva-Maria Schmid-Strutzenberger, Rechtsanwältin in 3500 Krems, Heinemannstraße 6 A/8, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/3053- W/12, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am rückwirkend ab Jänner 2003 die erhöhte Familienbeihilfe für ihren am XY 1983 geborenen Sohn. Als Erkrankung wurde "BIPOLARE STÖRUNG Typ 2" angeführt.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt diesen Antrag unter Hinweis auf § 8 Abs. 5 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) für den Zeitraum Jänner 2003 bis Juni 2010 mit der Begründung ab, dass laut Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (in der Folge: Bundessozialamt) vom der erforderliche Behinderungsgrad von 50 % im Antragszeitraum noch nicht vorgelegen sei und außerdem eine rückwirkende Gewährung nur bis höchstens fünf Jahre ab Antragstellung möglich sei.

In ihrer dagegen erhobenen Berufung brachte die Beschwerdeführerin - gestützt auf eine fachärztliche Stellungnahme der ihren Sohn behandelnden Ärztin vom - vor, bereits seit der Absolvierung des Präsenzdienstes im Jahr 2002 betrage der Grad der Behinderung 50 % und ihr Sohn sei darüber hinausgehend voraussichtlich dauernd außer Stande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. So seien ihm bereits während der Ableistung des Grundwehrdienstes auf Grund der Schwere des psychischen Zustandsbildes permanent Antidepressiva verabreicht worden und er habe von den Übungen und dem Dienst an der Waffe befreit werden müssen. Dem danach begonnenen Studium habe er wegen seiner Stimmungsschwankungen, gepaart mit Ängsten, einer Konzentrations- und Antriebsstörung sowie Schlafrhythmusproblemen nicht mehr regelrecht folgen können und ab Jänner 2005 wöchentliche oder vierzehntägige Termine bei der Fachärztin zur Stützung und Stabilisierung seiner psychischen Probleme benötigt. Seit Mai 2007 sei die ständige Einnahme eines Stimmungsstabilisators zusätzlich zu den Antidepressiva und schlafinduzierten Medikamenten erforderlich. Nach Abbruch des Japanologiestudiums hätten ihm die Eltern - obwohl bereits damals festgestanden sei, dass er niemals werde arbeiten können - den Besuch eines "G-College" ermöglicht, um ihm neue Perspektiven zu eröffnen und eine Tagesstruktur zu verschaffen. Der nach Abschluss dieser Ausbildung folgende Arbeitsversuch bei einer "Smartphone-Spiele-Entwicklungsfirma" sei bereits nach kurzer Zeit auf Grund seiner geringsten Belastbarkeit im Frühjahr 2011 gescheitert. Es lägen daher die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe rückwirkend vor.

Das Finanzamt stützte seine abweisende Berufungsvorentscheidung vom zusätzlich auf eine weitere Bescheinigung des Bundessozialamtes vom .

In ihrem Vorlageantrag bemängelte die Beschwerdeführerin eine unzureichende Auseinandersetzung mit der von ihr vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom .

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Begründend führte sie nach Wiedergabe des Verfahrensganges aus, dass bis Februar 2007 kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestünde, weil diese gemäß § 10 Abs. 3 FLAG höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden könne. Für den Sohn der Beschwerdeführerin könne auf Grund der im Wege des Bundessozialamtes erstellten Sachverständigengutachten ein Behinderungsgrad von 50 % erst ab angenommen werden, davor sei der Behinderungsgrad geringer gewesen. Im zweiten Gutachten werde auf eine Verschlechterung des Zustandes nach dem Jahr 2002 hingewiesen, was sich ebenfalls aus der von der Beschwerdeführerin vorgelegten fachärztlichen Stellungnahme vom ergebe. Die im Gutachten vom gezogene Schlussfolgerung, dass der Sohn der Beschwerdeführerin erst ab Dezember 2011 voraussichtlich außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sei konsequent, nachvollziehbar und decke sich mit den vorliegenden Unterlagen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend macht. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem Recht auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für ihren Sohn verletzt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Im Beschwerdefall sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 122/2013 die bis zum Ablauf des geltenden Bestimmungen des VwGG weiter anzuwenden.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c

Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) hatten Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außer Stande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Mit Art. 135 Z. 2 des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, wurden unter anderem die Begriffe

"27. Lebensjahres" durch die Begriffe "25. Lebensjahres" ersetzt; diese Änderung trat gemäß § 55 Abs. 17 lit. g FLAG in der Fassung des Art. 135 Z. 37 des Budgetbegleitgesetzes 2011 mit in Kraft.

Der gemäß § 8 Abs. 2 und 3 FLAG zustehende Betrag an Familienbeihilfe erhöht sich gemäß § 8 Abs. 4 leg. cit. für jedes Kind, das erheblich behindert ist, monatlich um 138,3 EUR.

Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.

Nach § 8 Abs. 6 FLAG ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.

§ 10 Abs. 3 FLAG ordnet an, dass die Familienbeihilfe und die erhöhte Familienbeihilfe für ein erheblich behindertes Kind höchstens für fünf Jahre rückwirkend vom Beginn des Monats der Antragstellung gewährt werden.

Der zuletzt genannten Bestimmung zufolge bestand mit Blick auf die am erfolgte Antragstellung kein Anspruch der Beschwerdeführerin auf die erhöhte Familienbeihilfe für den Zeitraum von Jänner 2003 bis Februar 2007.

Die Beschwerdeführerin vermisst Feststellungen darüber, dass ihr Sohn von 2003 bis 2008 Astrologie und Japanologie studierte sowie von Oktober 2008 bis Juni 2010 eine Ausbildung am "G-College" absolvierte und dass sie für ihren Sohn bis Juni 2010 Familienbeihilfe bezogen habe. Bei Beendigung der Ausbildung sei er 26 Jahre alt gewesen und die dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sei vor Eintritt des 27. Lebensjahres, sohin bis spätestens eingetreten.

Da nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG der Anspruch auf Familienbeihilfe davon abhängt, dass die Behinderung vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2002/15/0022) - wobei die Vollendung des 27. Lebensjahres eine zusätzliche Grenze bildet - eintrat, ist mit einem nach Abschluss der College-Ausbildung gelegenen Zeitpunkt für die Beschwerdeführerin nichts gewonnen.

Die Beschwerdeführerin bemängelt, dass sich die Sachverständige im Gutachten vom nicht oder nicht ausreichend mit einem Befund aus dem Jahr 2003 und mit der Stellungnahme der den Sohn behandelnden Ärztin vom auseinandergesetzt und nicht dargelegt hätte, warum der Grad der Behinderung von 50 % erst ab und ab wann die Selbsterhaltungsunfähigkeit eingetreten sei.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Behörde an die der Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen zugrundeliegenden Gutachten gebunden und darf diese nur insoweit prüfen, ob sie schlüssig und vollständig und im Falle mehrerer Gutachten nicht einander widersprechend waren (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Ro 2014/16/0053, mwN).

Den Beschwerdeausführungen ist entgegenzuhalten, dass im erwähnten Gutachten ausdrücklich der "Befund aus 5/03" und die darin beschriebene generalisierte Angststörung mit Panikattacken und depressiven Symptomen genannt werden. Ebenso setzt sich die Amtssachverständige mit der Stellungnahme der behandelnden Ärztin auseinander und gibt die darin genannten medizinischen Behandlungen sowie die Diagnose einer affektiven Störung mit gegenwärtig mittelschwerer depressiver Episode wieder. Aus diesen Befunden werden im Gutachten auch Schlussfolgerungen gezogen, wie etwa eine Verschlechterung des Zustandes im Verlauf der Zeit. Letzteres wird auch in der Beschwerdeschrift selbst behauptet, allerdings mit deren Manifestation bereits im Mai 2007. Wie sich aus dem Gutachten ergibt, benötigte der Sohn der Beschwerdeführerin ab diesem Zeitpunkt die ständige Einnahme von Psychopharmaka. Damit wird aber der von der Sachverständigen ermittelte Zeitpunkt () nicht widerlegt, weil die regelmäßige Einnahme von Medikamenten für die Annahme einer erheblichen Behinderung im Sinn des § 8 Abs. 5 FLAG nicht ausreicht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2946/79). Die im Gutachten vom vorgenommene Einschätzung eines höheren Grades der Behinderung erst ab Dezember 2011 ist trotz des Erkrankungsbeginns im Jahr 2002 nicht unschlüssig, weil der Krankheitsverlauf bei anfangs noch erhaltenen Alltagsstrukturen und teilweiser Ausbildungsmöglichkeit, aber teilweiser ambulanter Behandlung nachvollziehbar dargestellt wurde. Da die in der Stellungnahme der behandelnden Ärztin vom genannte Diagnose einem bereits in einem ersten Sachverständigengutachten dargestellten Befund vom Dezember 2011 entspricht, erscheint es durchaus konsequent, wenn die Amtssachverständige die Beeinträchtigung ab diesem Zeitpunkt annahm. Dies betraf erkennbar nicht nur den höheren Grad der Behinderung, sondern auch die Selbsterhaltungsunfähigkeit.

Die belangte Behörde durfte daher zu Recht von einem schlüssigen und vollständigen Sachverständigengutachten ausgehen und dieses ihrer Entscheidung zu Grunde legen.

Als Verfahrensmangel macht die Beschwerdeführerin noch geltend, dass ihr die vom Finanzamt eingeholten Gutachten nicht zur Äußerung zugestellt worden seien.

Das Finanzamt stützte sich in der Berufungsvorentscheidung auf die fachärztlichen Sachverständigengutachten vom und vom . Im Hinblick auf die Wirkung der Berufungsvorentscheidung als Vorhalt wäre es Sache der Beschwerdeführerin gewesen, sich im Vorlageantrag mit dem Ergebnis dieser Ermittlungen auseinander zu setzen und die daraus gewonnenen Feststellungen zu widerlegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/15/0125). Eine Verletzung des Parteiengehörs kann der belangten Behörde nicht angelastet werden.

Die vorliegende Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat als unbegründet abzuweisen.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der im Beschwerdefall noch anwendbaren VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am