VwGH vom 23.01.2020, Ra 2019/21/0250
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Q A, in P, vertreten durch die Weh Rechtsanwalt GmbH in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. L515 2207652-3/9E, betreffend Abschiebung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte am nach seiner illegalen Einreise in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom , bestätigt mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom , vollumfänglich abgewiesen wurde; unter einem wurde der Revisionswerber nach Pakistan ausgewiesen.
2 Ein zweiter Antrag auf internationalen Schutz vom wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wegen entschiedener Sache zurückgewiesen; unter einem wurde insbesondere gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 eine Rückkehrentscheidung erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Die (nach Ablehnung einer Beschwerde durch den Verfassungsgerichtshof eingebrachte) außerordentliche Revision gegen diese Entscheidung wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom , Ra 2017/01/0295, als verspätet zurückgewiesen.
3 Am stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Dieser wurde vom BFA mit Bescheid vom gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückgewiesen, weil seit Erlassung der letzten Rückkehrentscheidung keine maßgebliche Sachverhaltsänderung eingetreten sei. Unter einem wurde gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 3 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen und abermals gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei.
4 Mit Beschluss vom gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde statt, indem es ihn gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behob und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwies. Begründend führte es im Wesentlichen aus, dass der Revisionswerber im Verfahren vor dem BFA am seinen Reisepass vorgelegt habe; es sei ihm daraufhin vom BFA mit E-Mail vom mitgeteilt worden, dass für sein Verfahren eine positive Ausgangsprognose bestünde (weshalb kein weiterer Festnahmeversuch erfolgen würde); mit der Vorlage des Reisepasses wären sämtliche Zurückweisungsgründe weggefallen und der Antrag würde inhaltlich geprüft. Das BFA sei damit in außenwirksamer Weise selbst davon ausgegangen, dass keine Zurückweisungsgründe gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 vorlägen. Die Behörde wäre daher - wenn sie von ihrer Prognose abzugehen beabsichtigt habe - jedenfalls verpflichtet gewesen, den Revisionswerber im Rahmen einer Einvernahme persönlich zu hören. Darüber hinaus sei zu konstatieren, dass schon allein wegen des hinreichend belegten Vorbringens des Revisionswerbers zu seiner verdichteten Integration eine Befragung unerlässlich gewesen wäre; ohne eine solche Befragung könne nicht davon ausgegangen werden, dass tatsächlich keine Änderung des Sachverhalts seit Jänner 2017 eingetreten sei. So habe der Revisionswerber zahlreiche weitere Anstrengungen betreffend seine Integration unternommen, welche durch die Vorlage von Beweismitteln (Sprachzertifikat auf der Stufe B1, rund 1000 Unterstützungsschreiben, Beschäftigungsbewilligung, Fortkommen im Lehrberuf und erfolgreicher Abschluss des ersten Lehrjahrs) belegt seien, womit neue Sachverhaltselemente dargetan worden seien. Seit der letzten rechtskräftigen Rückkehrentscheidung sei außerdem eine lange Zeitspanne vergangen. Eine Neubeurteilung des Sachverhaltes könne daher nicht ausgeschlossen werden, weshalb das BFA, wie es selbst im E-Mail vom erkannt habe, nicht ohne weiteres von "res iudicata" ausgehen hätte dürfen und eine Einvernahme unabdingbar gewesen wäre.
5 Bereits am war der Revisionswerber auf Grund eines Festnahmeauftrags vom gemäß § 34 Abs. 1 Z 2 FPG festgenommen worden; mit Bescheid vom selben Tag war über ihn gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt worden.
6 Am wurde er aus der Schubhaft zum Flughafen Wien Schwechat überstellt und nach Pakistan abgeschoben. 7 Die gegen die Abschiebung erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet ab.
8 Zur Begründung führte es - soweit für das Revisionsverfahren relevant - im Wesentlichen aus, dass die am in Rechtskraft erwachsene Rückkehrentscheidung einen gültigen Titel für die Abschiebung dargestellt habe. Mit der Behebung der Rückkehrentscheidung vom durch das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom sei die ältere Rückkehrentscheidung wieder durchsetzbar und durchführbar geworden. Die Rückkehrentscheidung sei auch noch als aktuell anzusehen. Es erscheine - auch "bei voller Berücksichtigung und Bejahung der im bereits mehrmals ho. Erkenntnis vom dargelegten Ausführungen" - zumindest zweifelhaft, ob die seitens des Revisionswerbers seit dem Eintritt der Rechtskraft der hier relevanten Rückkehrentscheidung getroffenen Integrationsbemühungen im Lichte des § 58 Abs. 10 AsylG 2005 relevant seien.
9 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
Über die vorliegende außerordentliche Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet, aber vom Bundesverwaltungsgericht eine "Stellungnahme zur Revision" vorgelegt wurde, erwogen:
10 Der Revisionswerber wendet sich unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zunächst dagegen, dass das Bundesverwaltungsgericht eigene Sachverhaltsfeststellungen
"verweigert" habe.
11 Tatsächlich ist das angefochtene Erkenntnis dadurch gekennzeichnet, dass auf 110 Seiten - unter wörtlicher Wiedergabe von Entscheidungen, Schriftsätzen und Niederschriften - der Verfahrensgang dargestellt wird, während dann unter der Überschrift "Feststellungen" lediglich auf die Feststellungen in zwei über Schubhaftbeschwerden des Revisionswerbers ergangenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts und auf die "Ausführungen zum Verfahrenshergang" verwiesen wird, woraus sich der relevante Sachverhalt ergebe. Damit wird den an eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung zu stellenden Begründungserfordernissen nicht entsprochen (vgl. dazu zuletzt etwa , mwN), ist es doch weder den Verfahrensparteien noch dem Verwaltungsgerichtshof zuzumuten, aus einer mehr als hundertseitigen Darstellung des Verfahrensgangs und zwei in anderen Verfahren ergangenen Erkenntnissen die für den vorliegenden Fall wesentlichen Sachverhaltsannahmen des Bundesverwaltungsgerichts herauszufiltern. Dieser Begründungsmangel führt allerdings für sich genommen deswegen nicht schon zur Zulässigkeit der Revision und Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil sich disloziert unter den Überschriften "Beweiswürdigung" und "Rechtliche Beurteilung" noch jene Feststellungen finden, die fallbezogen einerseits eine Rechtsverfolgung durch die Parteien und andererseits eine nachprüfende Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof ermöglichen.
12 Der Revisionswerber macht zur Begründung der Zulässigkeit der Revision weiters geltend, es sei zu klären, ob das Bundesverwaltungsgericht tatsächlich von der Durchsetzbarkeit der Rückkehrentscheidung vom Jänner 2017 habe ausgehen dürfen, dies insbesondere angesichts der Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom dem BFA ausdrücklich aufgetragen habe, den Revisionswerber persönlich zu hören und dann neuerlich zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund sei es "annähernd denkunmöglich", dass eine frühere, Jahre zurückliegende Entscheidung wieder auflebe und Zwangsmaßnahmen rechtfertigen könne. Eine Abschiebung, obwohl dem BFA mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich aufgetragen worden sei, die Voraussetzungen für eine Rückkehrentscheidung mit entsprechender Gründlichkeit zu prüfen und eine neue Entscheidung zu erlassen, verletze den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
13 Mit diesem Vorbringen ist der Revisionswerber im Ergebnis im Recht, weshalb sich die Revision als zulässig und berechtigt erweist.
14 Mit dem oben dargestellten Beschluss vom behob das Bundesverwaltungsgericht den Bescheid des BFA vom betreffend (insbesondere) Zurückweisung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG, weil das BFA zu Unrecht ohne Einvernahme des Revisionswerbers und ohne entsprechende Würdigung seiner Integrationsschritte sowie entgegen der zuvor per Mail gegebenen Auskunft mit einer zurückweisenden Entscheidung vorgegangen sei. Eine Einvernahme des Revisionswerbers ist dann zwar am erfolgt, zu einer Entscheidung über den Antrag nach § 55 AsylG 2005 und damit verbunden über die Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung ist es in der Folge aber nicht gekommen.
15 Die vor einer solchen Entscheidung durchgeführte Abschiebung erweist sich in dieser besonderen Konstellation als unverhältnismäßig, weil ungeachtet dessen, dass der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom letztlich mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2018/22/0276, aufgehoben wurde (dies deswegen, weil die vom Bundesverwaltungsgericht als notwendig erachtete Einvernahme des Revisionswerbers von diesem Gericht selbst vorzunehmen gewesen wäre), letztlich nicht ausreichend gesichert war, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zulässig bzw. die schon bestehende Rückkehrentscheidung noch wirksam war.
16 Da das Bundesverwaltungsgericht dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
17 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210250.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt |
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