VwGH vom 19.01.2012, 2008/22/0837
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder und die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer-Kober und Dr. Julcher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des AY in W, geboren am , vertreten durch Dr. Eva Maria Schulze, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 60/18, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 151.584/2-III/4/2008, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den mit datierten und am eingelangten Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, auf erstmalige Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" als Ehemann einer österreichischen Staatsbürgerin gemäß § 1 Abs. 2 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) zurück.
Zur Begründung verwies die belangte Behörde im Wesentlichen darauf, dass der Beschwerdeführer am einen Asylantrag gestellt und am eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet habe. Sein Asylverfahren sei jedoch noch nicht rechtskräftig abgeschlossen und er verfüge über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach dem "Asylgesetz". Somit sei auf ihn das NAG gemäß dessen § 1 Abs. 2 Z 1 nicht anwendbar.
Im Übrigen erfülle der Beschwerdeführer nicht die in der Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG festgehaltenen Voraussetzungen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Die belangte Behörde hat die Zurückweisung des Antrags des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die Bestimmung des § 1 Abs. 2 Z 1 des am in Kraft getretenen NAG bestätigt, derzufolge das NAG nicht für Fremde gilt, die nach dem Asylgesetz 2005 oder nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind.
Diese Bestimmung stellt sich nicht als verfassungswidrig dar, zumal mit diesem Ausschluss kein Eingriff nach Art. 8 EMRK verbunden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0672, unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 1019/06).
Soweit der Beschwerdeführer die Freizügigkeitsrichtlinie 2004/38/EG anspricht, behauptet er aber nicht in konkreter Weise, dass seine Ehefrau ihr diesbezügliches Freizügigkeitsrecht in Anspruch genommen habe.
Auch der Unionsbürgerstatus der Ehefrau des Beschwerdeführers (vgl. dazu das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) vom , Rechtssache C-256/11, "Dereci u.a.") macht den angefochtenen Bescheid noch nicht rechtswidrig. Da nämlich der Beschwerdeführer als Asylwerber über ein (vorläufiges) Aufenthaltsrecht in Österreich verfügt, wird jedenfalls nicht in den Kernbestand der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, eingegriffen, weil sich die Unionsbürgerin in solchen Konstellationen nicht de facto gezwungen sieht, das Gebiet der Union zu verlassen.
Allerdings führt die türkische Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers die Beschwerde zum Erfolg.
Der EuGH hat nämlich im bereits zitierten Urteil vom auch dargelegt, dass sich mit Inkrafttreten des NAG am die Bedingungen für die Ausübung der Niederlassungsfreiheit türkischer Staatsangehöriger in Fällen wie dem, der dem Vorabentscheidungsersuchen zu Grunde lag, verschärft haben (Rnr. 95). In dem zu Grunde liegenden Fall war der Antrag des mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheirateten türkischen Staatsangehörigen vom Juni 2004 unter Hinweis auf das Erfordernis, die Entscheidung über den Antrag im Ausland abzuwarten, nach § 21 NAG abgewiesen worden. Da demgegenüber türkische Staatsangehörige wie auch sonstige Angehörige österreichischer Staatsbürger nach § 49 des mit außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 (FrG) Niederlassungsfreiheit genossen haben und Anträge auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung in Österreich stellen und auch die Entscheidung darüber dort abwarten durften, stellt das NAG in seinem § 21 eine unzulässige neue Beschränkung im Sinn des Art. 41 Abs. 1 des am in Brüssel unterzeichneten und durch die Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls dar (Randnr. 98). Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls hat dieselbe Funktion wie Art. 13 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom , Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (Randnr. 81).
Einem Angehörigen eines österreichischen Staatsbürgers stand im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 aber auch der Status eines vorläufig aufenthaltsberechtigten Asylwerbers bei der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 99/19/0234). Daher bewirkte § 1 Abs. 2 Z 1 NAG, der vorläufig aufenthaltsberechtigte Asylwerber, auch wenn sie Angehörige von Österreichern sind, von der Erteilung eines Aufenthaltstitels ausschließt, eine unzulässige Schlechterstellung im Sinn des zitierten Assoziationsrechts.
Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am