VwGH vom 30.04.2020, Ra 2019/21/0244
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des E F K, vertreten durch Dr. Georg Rihs, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Kramergasse 9/3/13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , L519 2211526-2/4E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines unbefristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
1. zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als damit die gegen den zugrunde liegenden Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom erhobene Beschwerde auch hinsichtlich Spruchpunkt III. dieses Bescheides (Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
2. den Beschluss gefasst:
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Begründung
1Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, wurde 1979 in Österreich geboren. Er verfügte durchgehend über Aufenthaltstitel; zuletzt wurde ihm am ein Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ ausgestellt. Nach dem Besuch der Schule absolvierte der Revisionswerber eine Lehre als Koch und als Restaurantfachmann sowie Module zur Erlangung des Unternehmensführerscheins. Er war in Österreich bis Mitte Dezember 2011 beschäftigt und bezog danach von Oktober 2014 bis Mitte Juni 2017 Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Überbrückungshilfe.
2Der Revisionswerber hatte im Jahr 2007 nach islamischen Ritus eine deutsche Staatsangehörige, die auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, geheiratet. Er verlegte gemeinsam mit ihr im Laufe des Jahres 2012 den Lebensmittelpunkt nach Bayern. Im September 2012 erfolgte die standesamtliche Eheschließung. Der Ehe entstammen vier Kinder im Alter von neun, acht, vier und zwei Jahren, die ebenfalls Doppelstaatsbürger sind.
3Nachdem der Revisionswerber am festgenommen und anschließend in Untersuchungshaft angehalten worden war, wurde er mit Urteil des Oberlandesgerichtes München vom wegen „der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in Tatmehrheit mit Werben für eine terroristische Vereinigung im Ausland“ zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten rechtskräftig verurteilt. Der Revisionswerber verbüßte diese Freiheitsstrafe bis zu seiner bedingten Entlassung am ; noch am selben Tag wurde er in Umsetzung einer entsprechenden Ausweisungsverfügung nach Österreich überstellt. Nach seiner Festnahme am wurde er sodann am in die Türkei abgeschoben.
4Grundlage dafür war, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vor allem im Hinblick auf die erwähnten Straftaten - im zweiten Rechtsgang - mit Bescheid vom gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt hatte, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig sei (Spruchpunkt II.). Des Weiteren verhängte das BFA über den Revisionswerber mit diesem Bescheid gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach das BFA noch aus, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt V.).
5Infolge der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde erließ das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) das als „Beschluss“ bezeichnete Teilerkenntnis vom , mit dem der Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde.
6Im Übrigen wurde die Beschwerde sodann mit dem angefochtenen Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
7Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9Vorauszuschicken ist, dass die Revision das angefochtene Erkenntnis ausdrücklich zur Gänze bekämpft, sich inhaltlich jedoch nur gegen die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot wendet und die übrigen vom BVwG damit bestätigten Spruchpunkte des BFA-Bescheides unberührt lässt.
10In der Begründung der Zulässigkeit der Revision wird zunächst ein Verstoß gegen die Bindungswirkung des im ersten Rechtsgang erlassenen aufhebenden Beschlusses des BVwG vom geltend gemacht. Weder das BFA noch das BVwG hätten die in dem genannten Beschluss für erforderlich gehaltenen Ermittlungen und Feststellungen zu der Frage, wie lange sich der Revisionswerber in Österreich bzw. in Deutschland aufgehalten habe, vorgenommen. Das wäre jedoch für die Beurteilung „unablässig“ gewesen, ob der Revisionswerber seine Rechte aufgrund des ARB 1/80 (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation) durch seine Aufenthalte in Deutschland verloren habe.
11Das BVwG hat schon bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber im Hinblick auf seinen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EU“ zu Recht auf § 52 Abs. 5 FPG, mit dem Art. 12 der Daueraufenthalts-RL (Richtlinie 2003/109/EG) umgesetzt wurde, abgestellt und das Vorliegen der dort verlangten Gefährdung („gegenwärtige, hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“) geprüft. Dieser (erhöhte) Maßstab wäre für einen ARB-berechtigten türkischen Staatsangehörigen bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen (nur) dann maßgeblich, wenn er sich seit mehr als zehn Jahren ununterbrochen rechtmäßig in Österreich aufhält (vgl. , Rn. 29, unter Bezugnahme auf Ziebell, C-371/08; siehe dort zusammenfassend Rn. 79). Das trifft beim Revisionswerber schon aufgrund seiner Anhaltung in deutschen Justizanstalten im Zeitraum bis nicht zu, weil es insoweit auf einen ununterbrochenen Aufenthalt in Österreich während der letzten zehn Jahre vor der Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme ankommt (siehe , Rn. 24, 27 und 28; vgl. auch Ziebell, C-371/08, Rn. 47). Aber selbst wenn der Revisionswerber diese zeitlichen Voraussetzungen erfüllte und ihm noch eine Aufenthaltsberechtigung nach dem ARB 1/80 zukäme, wäre er nicht besser gestellt als ein daueraufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger (vgl. neuerlich , Rn. 15 iVm 31). Auf die vom Revisionswerber vermissten Feststellungen kommt es daher für die in diesem Zusammenhang relevierte Rechtsfrage jedenfalls nicht an.
12Im Übrigen hat das BVwG zu den Aufenthalten in Österreich in der Zeit nach der Wohnsitzverlegung nach Deutschland im Jahr 2012 basierend auf einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung ohnehin nähere Feststellungen getroffen. So ist das BVwG davon ausgegangen, dass sich der Revisionswerber, ohne seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland aufzugeben, für einen längeren Zeitraum nur noch zwischen Mitte 2014 und Mitte 2015 in Österreich aufgehalten habe, um sich dem in Deutschland geführten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zu entziehen. Diese Annahmen werden in der Revision nicht konkret bekämpft.
13Einen weiteren Verstoß gegen die erwähnte Bindungswirkung sieht der Revisionswerber darin, dass sich das BVwG nicht zu dem gemäß § 53 Abs. 5 FPG iVm § 73 StGB rechtlich relevanten Aspekt geäußert habe, ob das Verhalten des Revisionswerbers, das dem Schuldspruch des Urteils des Oberlandesgerichtes München zugrunde lag, auch in Österreich nach den § 278a ff StGB strafbar gewesen wäre.
14Die Annahme einer für die Erlassung der Rückkehrentscheidung und des Einreiseverbotes in gleicher Weise maßgeblichen (gegenwärtigen, hinreichend) schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gründete das BVwG auf die Verwirklichung des Einreiseverbotstatbestandes nach der Z 6 des § 53 Abs. 3 FPG. Das setzt voraus, dass
„auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB) oder eine Person zur Begehung einer terroristischen Straftat anleitet oder angeleitet hat (§ 278f StGB)“.
15Der in der Revision angesprochene Abs. 5 des § 53 FPG normiert im letzten Satz „§ 73 StGB gilt.“ Nach dieser Bestimmung des StGB stehen ausländische Verurteilungen inländischen gleich, wenn sie den Rechtsbrecher wegen einer Tat schuldig sprechen, die auch nach österreichischem Recht gerichtlich strafbar ist, und in einem den Grundsätzen des Art. 6 EMRK entsprechenden Verfahren ergangen sind.
16Das BVwG legte im angefochtenen Erkenntnis - die Feststellungen aus dem deutschen Strafurteil zum Hintergrund für die in der Folge vom Revisionswerber begangenen Straftaten wiedergebend - seiner Entscheidung sachverhaltsmäßig zugrunde, der Revisionswerber habe zum islamischen Glauben gefunden, als er im Jahr 2012 nach Deutschland gezogen sei. Die Hinwendung zu einem strengen Glauben habe sich darin gezeigt, dass er aufgehört habe, Alkohol zu trinken, dass er sich einen Bart habe wachsen lassen, fünf Mal am Tag gebetet und sich (unter anderem) im Internet über den Islam informiert habe. Mitte des Jahres 2013 habe er eine Pilgerreise nach Mekka und Medina gemacht. Beeinflusst durch seinen Cousin, der zugleich der Onkel seiner Ehefrau sei, habe der Revisionswerber noch im Jahr 2012 das Islamische Zentrum W. kennen gelernt und sei dort aktiv geworden. Er sei im Durchschnitt mehrmals monatlich dort gewesen, um sich mit den „Brüdern“ zu treffen.
17Zum Schuldspruch stellte das BVwG ebenfalls dem Inhalt des genannten Urteils folgend (zusammengefasst) fest, beginnend mit sei der Revisionswerber gemeinsam mit anderen (teilweise unter Verwendung eines gestohlenen Fahrzeuges mit österreichischer Zulassung) von Deutschland aus über Österreich, Italien und Griechenland in die Türkei und dann weiter nach Syrien gereist. Er habe dort die regimefeindliche terroristische Vereinigung „Junud al-Sham“, die von radikal-islamischen Anschauungen geleitet die Beseitigung des Präsidenten und die Errichtung eines Gottesstaates unter Geltung der Scharia mit Waffengewalt, insbesondere auch durch die Tötung von Soldaten und anderen Vertretern des Regimes, zum Ziel gehabt habe, unterstützt, indem er ca. 20 bis 25 kg gebrauchte Winterbekleidung für Männer im Wert von etwa 300 € zur Verbesserung ihrer Ausrüstung bei deren bewaffneten Aktionen übergeben habe. Der Revisionswerber sei danach noch einige Tage dort geblieben und habe sich im Rahmen dieser Vereinigung bewegt, eine Eingliederung in die Organisation habe jedoch nicht festgestellt werden können. Er habe in der Folge auch deren Anführer kennen gelernt, der bei ihm einen „nachhaltigen Eindruck“ hinterlassen habe. Schließlich sei er am auf dem Luftweg von Istanbul nach Nürnberg zurückgereist.
Nach seiner Reise nach Syrien habe sich der Revisionswerber in seinem Bestreben bestärkt gesehen, die Vereinigung „Junud al-Sham“ in ihrem Kampf gegen das Regime weiter zu unterstützen, indem er als deren „Kontaktmann“ im Raum W. (in Ostbayern) versucht habe, Unterstützer und Mitglieder zu finden. Deshalb habe er in der Folge (im Zeitraum bis ) versucht, R. P., der sich mit dem Gedanken getragen habe, sich in Syrien dem Dschihad anzuschließen, zu einer Mitgliedschaft bei der genannten Organisation unter anderem damit zu bewegen, dass er ihm von deren Anführer vorgeschwärmt habe.
18Daran anknüpfend setzte sich das BVwG - entgegen dem insoweit unzutreffenden Einwand in der Revision - im angefochtenen Erkenntnis auch mit der Frage auseinander, ob dieses Verhalten in Österreich nach den in § 53 Abs. 3 Z 6 FPG genannten Bestimmungen strafbar wäre. Es kam dabei zu dem Ergebnis, dass die vom Revisionswerber gesetzten Handlungen als Bereitstellung von Vermögenswerten mit dem Vorsatz, dass sie zur Ausführung einer terroristischen Straftat verwendet werden, jedenfalls unter § 278d StGB, der gemäß seinem Abs. 2 als sogenannter „Auffangtatbestand“ konstruiert ist, zu subsumieren seien. Die diesbezügliche Begründung des BVwG ist jedenfalls vertretbar, zumal die Auffassung, Bekleidung falle auch unter den Begriff „Vermögenswerte“, weil darunter auch bewegliche Gegenstände zu verstehen seien, in der Entscheidung , wonach von § 278d StGB alle Arten von Vermögenswerten erfasst seien, Deckung findet. Der Revisionswerber sieht zwar einen Begründungsmangel darin, dass sich das BVwG nicht (explizit) mit dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen auseinander gesetzt habe, legt aber nicht konkret dar, welche der dort enthaltenen, in der Revision bloß teilweise wiederholten Überlegungen die nunmehrige Beurteilung durch das BVwG stichhältig entkräften könnten.
19Im Übrigen ist in diesem Zusammenhang aber vor allem noch darauf hinzuweisen, dass die in den einzelnen Ziffern des § 53 Abs. 3 FPG angeführten Tatbestände nur eine demonstrative Aufzählung (arg.: „insbesondere“) jener Umstände darstellen, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit im Sinne der genannten Bestimmung indizieren. Das kann auch bei gleichwertigen Verhaltensweisen, also hinsichtlich des Unrechtsgehalts ähnlich schwerwiegenden Konstellationen, der Fall sein (vgl. etwa , Rn. 15; zu § 53 Abs. 2 FPG zuletzt etwa auch , Rn. 15, mwN).
20Von einer solchen Gleichwertigkeit im Verhältnis zu § 278d StGB wäre aber in der vorliegenden Konstellation jedenfalls auszugehen, sodass es letztlich nicht darauf ankommt, ob der Tatbestand des § 53 Abs. 3 Z 6 FPG erfüllt ist (vgl. auch , Rn. 19 ff, wonach es bei der für eine Asylaberkennung erforderlichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht auf die Strafbarkeit des Verhaltens ankommt). Das gilt gleichermaßen für die vom BVwG - nur in der Begründung, nicht aber im Spruch - zum Ausdruck gebrachte weitere Auffassung, es sei auch der Tatbestand der Z 9 des § 53 Abs. 3 FPG erfüllt. Auf Basis der - in der Revision insoweit nicht bestrittenen - Feststellungen, wie sie oben in den Rn. 16 und 17 wiedergegeben wurden, ist dem BVwG nämlich jedenfalls darin beizupflichten, dass wegen der vom Revisionswerber unternommenen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung, für die er sogar eine insgesamt etwa einen Monat dauernde Reise in syrisches Kriegsgebiet auf sich genommen hatte, und des Versuchs der Anwerbung eines Mitglieds für diese Organisation, die jeweils Ausdruck seiner ab 2012 gewonnenen inneren (religiösen und politischen) Überzeugung waren, vom Vorliegen einer die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes rechtfertigenden (gegenwärtigen, hinreichend) schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit auszugehen ist.
21Daran ändert nichts, dass seit Begehung der dem deutschen Strafurteil zugrunde liegenden Tathandlungen mehr als fünf Jahre vergangen sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa , Rn. 11, mwN) ist der Gesinnungswandel eines Straftäters nämlich grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden ist somit in erster Linie das Verhalten in Freiheit maßgeblich. Dabei ist der Beobachtungszeitraum umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden in der Vergangenheit manifestiert hat. Angesichts dessen, dass der Revisionswerber erst am aus der Strafhaft entlassen wurde, ist evident, dass dieser Zeitraum bei dem bisher gezeigten Verhalten deutlich zu kurz ist, um einen Gesinnungswandel des Revisionswerbers annehmen zu können. Darauf hat schon das BVwG zu Recht verwiesen.
22Es ist zwar ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die bei Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes zu beantwortende Frage nach einem - zulässigen - Eingriff in das Privat- oder Familienleben eines Drittstaatsangehörigen nicht allein im Hinblick auf seine Verhältnisse in Österreich beurteilt werden darf, sondern dass auch die Situation in den anderen „Schengen-Staaten“ in den Blick zu nehmen ist (siehe dazu etwa , Rn 7, mwN). Das in Verbindung mit der Rückkehrentscheidung erlassene Einreiseverbot verpflichtet den Revisionswerber nämlich gemäß § 52 Abs. 8 FPG iVm § 53 Abs. 1 FPG, in den Herkunftsstaat auszureisen sowie für den im Einreiseverbot festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten. In diesem Sinn hat das BVwG in die nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung auch einbezogen, dass das Einreiseverbot einen Eingriff in das in Deutschland geführte Familienleben nach sich zieht. Es ist dem BVwG aber darin zuzustimmen, dass der Revisionswerber und seine in Deutschland aufhältigen Familienangehörigen im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung von Verhaltensweisen der in Rede stehenden Art, insbesondere der ideologisch motivierten Unterstützung von terroristischen Vereinigungen, eine durch das Einreiseverbot bewirkte Trennung hinzunehmen haben. Das gilt umso mehr in Bezug auf die in Österreich wohnhafte Mutter des Revisionswerbers und seine erwachsenen Geschwister, zumal die Kontakte - wie in der Revision auch zugestanden wird - schon bisher (bis zur Verhaftung im Mai 2017) im Wesentlichen auf Besuche beschränkt waren.
23In Bezug auf die bisher erörterten Fragen durfte das BVwG aber - angesichts der gesamten Umstände dieses im Ergebnis insoweit klaren Falles - vor dem Hintergrund des hier einschlägigen § 21 Abs. 7 BFA-VG in vertretbarer Weise auch von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber absehen. Die diesbezügliche Rüge in der Revision führt daher ebenfalls nicht zu deren Zulässigkeit.
24Bei der Festsetzung der Dauer eines Einreiseverbotes ist immer eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, bei der nicht nur auf das bisherige Verhalten des Drittstaatsangehörigen und das deshalb prognostizierte Vorliegen der von ihm ausgehenden Gefährdung, sondern auch auf seine privaten und familiären Interessen Bedacht zu nehmen ist (vgl. noch einmal , nunmehr Rn. 36, mwN). Vor diesem Hintergrund wird in der Revision schließlich auch noch die unbefristete Dauer des Einreiseverbotes bekämpft; insoweit erweist sie sich als zulässig und als berechtigt.
25Im vorliegenden Fall steht schon der Umstand, dass der 40-jährige Revisionswerber in Österreich geboren wurde und aufgewachsen ist, bis 2012 hier gelebt und sich anschließend im angrenzenden Bayern niedergelassen hat, woraus ein beträchtliches Interesse an einer Rückkehr in diesen Raum abzuleiten ist, der Erlassung eines unbefristeten Einreiseverbotes entgegen, weil es dem Revisionswerber grundsätzlich auch bei einer allfälligen Abkehr von seiner bisherigen Ideologie und daraus zu erschließender Abnahme des von ihm ausgehenden Gefährdungspotentials die Wiedereinreise in das Gebiet der Europäischen Union verbietet. Dazu kommt, dass die Angehörigen der Kernfamilie in Deutschland niedergelassen sind; auch eine Trennung von sdiesen Familienangehörigen auf unbestimmte Dauer wäre unverhältnismäßig. Das BVwG hat zwar auch angenommen, eine Weiterführung des Familienlebens wäre, wenn gewünscht, in der Türkei „ohne Probleme“ möglich. Das wurde aber ohne Auseinandersetzung mit den konkreten Möglichkeiten und Auswirkungen einer Übersiedlung der Ehefrau des Revisionswerbers und seiner Kinder im Wesentlichen nur mit deren Doppelstaatsbürgerschaft, somit nicht tragfähig, begründet, was in der Revision der Sache nach zu Recht kritisiert wird.
26In Bezug auf die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbotes war das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Insoweit konnte von der in der Revision beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 und 6 VwGG abgesehen werden. Im Übrigen war die Revision mangels Vorliegens einer grundsätzlichen Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
27Der Kostenzuspruch gründet sich auf die § 47 ff VwGG, insbesondere auf § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019210244.L00 |
Schlagworte: | Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 |
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