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VwGH vom 12.11.2019, Ra 2019/21/0236

VwGH vom 12.11.2019, Ra 2019/21/0236

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Pfiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des T C in W, vertreten durch Mag. Julia Fux, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, Triester Straße 11, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-051/073/7123/2019-6, betreffend Abweisung eines Antrages auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers nach § 40 VwGVG in einem Verwaltungsstrafverfahren wegen einer Übertretung des FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein auch nach den Annahmen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) nicht vor dem geborener afghanischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner Einreise nach Österreich im Jänner 2018 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des BFA vom gemäß § 5 AsylG 2005 zurückgewiesen und es wurde gleichzeitig eine Anordnung zur Außerlandesbringung in die Schweiz erlassen.

2 Dieser Bescheid blieb unbekämpft.

3 Am wurde der Revisionswerber im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle in einem Lokal gemäß § 40 Abs. 1 Z 3 BFA-VG festgenommen und dem BFA vorgeführt. Dort stellte er einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und wurde daraufhin in die Grundversorgung aufgenommen.

4 In der Folge erließ die Landespolizeidirektion Wien (LPD) gegen den Revisionswerber eine Strafverfügung, weil er nach der Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung nach Eintritt der Durchsetzbarkeit und Durchführbarkeit mit nicht rechtzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist sei und sich am um 12:00 Uhr an einer näher genannten Wiener Adresse noch unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten habe, obwohl er bereits zur freiwilligen Ausreise verpflichtet gewesen wäre. Er habe dadurch § 120 Abs. 1a FPG iVm § 31, 61 FPG iVm § 16, 17 BFA-VG verletzt, weshalb über ihn gemäß § 120 Abs. 1a FPG eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 500,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 4 Tage und 4 Stunden) verhängt werde.

5 In dem dagegen erhobenen Einspruch brachte der unvertretene, jedoch von einer sozialen Einrichtung unterstützte Revisionswerber insbesondere vor, er sei im Jänner 2018 gemeinsam mit seiner Familie nach Österreich eingereist. Im Herbst 2018 habe er jedoch seine Familie "verloren" und es sei ab diesem Zeitpunkt jeglicher Kontakt zu seinen Familienmitgliedern abgebrochen. Es sei (daher) zu berücksichtigen, dass er sich nunmehr unbegleitet in Österreich befinde, weshalb ihm die Verwaltungsübertretung "nicht zugerechnet werden" könne.

6 Die LPD erließ hierauf, datiert mit , ein hinsichtlich Tatanlastung und Bestrafung der vorangegangenen Strafverfügung entsprechendes Straferkenntnis, mit dem der Revisionswerber ergänzend verpflichtet wurde, weitere EUR 50,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu bezahlen. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Einspruchsvorbringen enthielt die Begründung dieses Straferkenntnisses nicht. 7 Innerhalb offener Beschwerdefrist stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers; das sei erforderlich, weil er zwar strafmündig, aber minderjährig und unbegleitet sei; der Verhandlungsgegenstand sei für ihn "sehr komplex" und er habe bislang nur "durch Unterstützung am bisherigen Verfahren partizipieren" können; es bestehe im gegenständlichen Beschwerdeverfahren aber kein gesetzlicher Anspruch auf Unterstützung und könne er sich nicht darauf verlassen, dass ihm diese weiterhin zuteil werde.

8 Mit dem angefochtenen Beschluss vom wies das Verwaltungsgericht Wien (VwG) diesen Antrag des Revisionswerbers gemäß § 40 Abs. 1 VwGVG ab. Der Revisionswerber sei zwar gemäß dem vorgelegten Vermögensbekenntnis mittellos, es mangle jedoch am weiteren Erfordernis für die Beigebung eines Verteidigers, dass das im Interesse der Rechtspflege erforderlich sei. Die Komplexität des gegenständlichen Strafverfahrens erschöpfe sich nämlich in dem gegen den Revisionswerber gerichteten Vorwurf, sich entgegen einer durchsetzbaren und durchführbaren Anordnung zur Außerlandesbringung unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, obwohl er zur Ausreise verpflichtet gewesen wäre. Darin sei aber weder eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung noch eine besonders schwierige Sach- oder Rechtslage zu erkennen. Zudem sei nicht ersichtlich, inwiefern dem Revisionswerber die Erstattung eines entsprechenden Vorbringens zur Sache selbst sowie hinsichtlich der Strafbemessung ohne Beigabe eines Verteidigers nicht möglich wäre. Seine Rechte würden durch den Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit und durch die Manuduktionspflicht des Gerichtes ausreichend geschützt. Das gelte auch für die von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensgarantien des Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. c EMRK sowie des Art. 47 GRC. Eine "eventuell mangelnde Sprachkenntnis" des Revisionswerbers schließlich sei zu relativieren, da - insbesondere im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - allenfalls ein Dolmetscher beizuziehen sei.

9 Über die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision - das VwG hatte gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei - hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:

10 Gemäß § 40 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag des Beschuldigten, wenn er außer Stande ist, die Kosten der Verteidigung ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, zu beschließen, dass diesem ein Verteidiger beigegeben wird, dessen Kosten der Beschuldigte nicht zu tragen hat, soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich und auf Grund des Art. 6 Abs. 1 und 3 lit. c EMRK oder des Art. 47 GRC geboten ist. 11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind als Gründe für die Beigebung eines Verteidigers besondere Schwierigkeiten der Sach- oder Rechtslage, besondere persönliche Umstände des Beschuldigten und die (allfällige) besondere Tragweite des Rechtsfalles für die Partei, wie etwa die Höhe der dem Beschuldigten drohende Strafe, zu berücksichtigen (siehe etwa , Rn.10, mwN).

12 Von diesen Kriterien stellte das VwG bei seiner Entscheidung im Wesentlichen nur auf "die Komplexität" des gegenständlichen Strafverfahrens ab, die es nicht für gegeben erachtete. Darüber hinaus sprach es dann zwar noch eine "eventuell mangelnde Sprachkenntnis" des Revisionswerbers an, ging dann aber weder auf seine im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses noch vorliegende Minderjährigkeit noch auf seine Behauptung ein, er habe im Herbst 2018 nach Zurückweisung des im Familienverband gestellten (ersten) Antrags auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 seine Familie "verloren". Diese (behauptete) besondere Situation als unbegleiteter Minderjähriger wäre indes mitzubedenken gewesen und es hätten die "besonderen persönlichen Umstände", auf die nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abzustellen ist, nicht auf "eventuell mangelnde Sprachkenntnis" reduziert werden dürfen.

13 Auch die zentrale Annahme des angefochtenen Beschlusses, es gehe nur um den Vorwurf, sich entgegen einer durchsetzbaren und durchführbaren Anordnung zur Außerlandesbringung unerlaubt im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, obwohl der Revisionswerber zur Ausreise verpflichtet gewesen wäre, greift zu kurz. Die in Verbindung mit der Zurückweisung des (ersten) Antrags auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 ergangene Anordnung zur Außerlandesbringung (in die Schweiz) ist nämlich Ausfluss des "Dublin-Systems", weshalb auch Regelungen der Dublin-III-Verordnung über die Überstellung eines Fremden in den zuständigen Mitgliedstaat, deren Bedeutung für das gegenständliche Strafverfahren nicht ausgeschlossen werden kann, in den Blick zu nehmen gewesen wären. Im Hinblick darauf kann dann aber nicht mehr ohne weiteres von einer im vorliegenden Fall gegebenen einfachen Sach- oder Rechtslage ausgegangen werden.

14 Gänzlich unberücksichtigt ließ das VwG die Frage, welche Bedeutung eine allfällige Beschwerdeabweisung und damit rechtskräftige Bestrafung des Revisionswerbers für diesen habe könnte. Diesbezüglich ist zunächst auf die - angesichts der finanziellen Verhältnisse des Revisionswerbers nicht bloß abstrakt drohende - Ersatzfreiheitsstrafe hinzuweisen, welcher Gesichtspunkt ungeachtet ihrer Dauer jedenfalls bei jugendlichen Beschuldigten nicht zu vernachlässigen ist (vgl. in diesem Sinn ). In diesem Zusammenhang ist dann aber noch zu beachten, dass die rechtskräftige Bestrafung wegen einer Übertretung des FPG den Einreiseverbotstatbestand nach § 53 Abs. 2 Z 3 FPG verwirklicht, sodass auch unter diesem Gesichtspunkt die Konsequenzen einer Bestrafung des Revisionswerbers nicht von vornherein als minder bedeutsam zu beurteilen waren.

15 All das hat das VwG nicht beachtet und es kann, soweit in den vorstehenden Ausführungen auf die Minderjährigkeit des Revisionswerbers Bezug genommen wird, bezogen auf den angefochtenen Beschluss auch nicht ohne weiteres damit argumentiert werden, die Minderjährigkeit ende ohnehin knapp zwei Monate nach Erlassung des angefochtenen Beschlusses. Von daher erweist sich die Revision, die insbesondere auf das - im angefochtenen Beschluss ausgeblendete - Alter des Revisionswerbers hinweist, als zulässig und berechtigt und es ist der angefochtene Beschluss demgemäß gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

16 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte schon gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

17 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210236.L00

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