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VwGH vom 07.04.2011, 2008/22/0816

VwGH vom 07.04.2011, 2008/22/0816

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 49, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 304.838/27- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Niederlassungsbewilligung - beschränkt" gemäß § 21 Abs. 1 und § 19 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Der Aktenlage zufolge sei die Beschwerdeführerin erstmals am illegal in das Bundesgebiet eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der mit rechtskräftig abgewiesen worden sei. Sie sei seit mit einem serbischen Staatsangehörigen, der über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" in Österreich verfüge, verheiratet.

Nach rechtskräftiger Abweisung ihres Asylantrages sei die Beschwerdeführerin weiterhin im Bundesgebiet geblieben und habe den gegenständlichen Antrag per Post durch ihren Rechtsvertreter im Inland gestellt. Dadurch sei dem Erfordernis der persönlichen Antragstellung gemäß § 19 Abs. 1 NAG nicht entsprochen worden. Weiters stehe auch § 21 Abs. 1 NAG der Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen, weil sich die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe.

Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin sei - auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK - entbehrlich. Das "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und "die Integration in Österreich" könnten keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn des § 74 iVm § 72 NAG darstellen. Im vorliegenden Fall sei daher kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt gegeben. Die gewählte Vorgangsweise stelle vielmehr eine Umgehung der Einwanderungsbestimmungen dar. Der Beschwerdeführerin könne daher der Zuzug nach Österreich unter Einhaltung der üblichen gesetzlichen Bestimmungen zugemutet werden. Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass der gegenständliche Antrag einerseits nicht persönlich und andererseits im Bundesgebiet gestellt und die Entscheidung darüber hier abgewartet wurde.

Die Beschwerdeführerin wies bereits in ihrer Stellungnahme vom unter Zitierung der Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom , B 328/07 und 1150/07, auf die im Rahmen der Beurteilung gemäß Art. 8 EMRK zu berücksichtigenden Kriterien hin.

Den Verwaltungsakten ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin Mutter von drei minderjährigen Kindern im Alter von (zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides) etwa sechs, vier und zwei Jahren ist, für deren Pflege, Erziehung, Vermögensverwaltung und Vertretung sie gemeinsam mit ihrem Ehemann zuständig ist. Dennoch ist die Behörde erster Instanz mit keinem Wort auf die familiären Bindungen der Beschwerdeführerin eingegangen. In der Berufung wurde nochmals - u.a. unter Hinweis auf die bereits zitierten Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes und die drei minderjährigen Kinder - das Unterbleiben einer entsprechenden Prüfung nach Art. 8 EMRK gerügt. Auch die Beschwerde weist auf die Familiengemeinschaft der Beschwerdeführerin mit ihrem zum Daueraufenthalt in Österreich berechtigten Ehemann und den drei minderjährigen Kindern, von denen zwei in Österreich geboren wurden, hin. Sie wirft der belangten Behörde vor, die familiären Bindungen nicht einmal festgestellt und sich mit den übrigen relevanten Kriterien wie etwa dem tatsächlichen Bestehen und der Schutzwürdigkeit des Familienlebens, dem Umstand, dass keine Bindungen zum Heimatstaat mehr bestünden und die Beschwerdeführerin unbescholten sei, nicht auseinandergesetzt zu haben.

Dieses Vorbringen verhilft der Beschwerde zum Erfolg.

Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist die in § 74 NAG (jeweils in der Stammfassung) ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0721, mwN).

Soweit die belangte Behörde ein "weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse" der Beschwerdeführerin auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK als entbehrlich ansieht und das "Fehlen von Anknüpfungspunkten im Heimatland" und "die Integration in Österreich" als keine Grundlage für einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall ansieht, gleicht die zu beantwortende Rechtsfrage jener, die den Erkenntnissen vom , 2009/22/0347, mwN, und vom , 2008/22/0408, mwN, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird diesbezüglich auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse verwiesen. Bei der Ehe der Beschwerdeführerin mit ihrem zum Daueraufenthalt in Österreich berechtigten Ehemann, der Familiengemeinschaft mit diesem und ihren drei minderjährigen Kindern und dem Umstand, dass keine Bindungen zum Heimatstaat mehr bestehen, handelt es sich um Gesichtspunkte, die bei der Beurteilung, ob ein aus Art. 8 EMRK resultierender Anspruch - hier: auf Familiennachzug - besteht, im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung nicht ausgeklammert bleiben dürfen. Infolge ihrer diesbezüglich schon - vom Ansatz her - verfehlten Rechtsansicht hat es die belangte Behörde unterlassen, den relevanten Sachverhalt festzustellen und im Einzelfall zu prüfen, ob ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall vorliegt, weshalb aus humanitären Gründen die Inlandsantragstellung zuzulassen gewesen wäre.

Soweit die belangte Behörde die Abweisung des Antrags auf § 19 Abs. 1 NAG stützt, ist dies deswegen verfehlt, weil in diesem Fall eine fristwahrende Verbesserung - entgegen der von der belangten Behörde in ihrem Auftrag zur Behebung von Verfahrensmängeln vom vertretenen Ansicht - nicht nur durch eine persönliche Antragstellung bei der Botschaft, sondern auch in einer persönlichen Bestätigung der Antragstellung bei der erstinstanzlichen Behörde bestehen kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0842, mwN).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Wien, am

Fundstelle(n):
GAAAE-85446