VwGH vom 10.11.2010, 2008/22/0779
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Mekis, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Gumpendorfer Straße 5, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 150.775/2- III/4/08, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck "Familiengemeinschaft" mit seiner österreichischen Ehefrau gerichteten Antrag des Beschwerdeführers, eines ägyptischen Staatsangehörigen, vom gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Dazu führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass sich der Beschwerdeführer seit im Bundesgebiet befinde und seine letzte Aufenthaltserlaubnis bis befristet gewesen sei. Am habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und den gegenständlichen Antrag gestellt. Da sich der Beschwerdeführer seit Ablauf seiner Aufenthaltserlaubnis (unerlaubt) im Bundesgebiet aufhalte, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen, weil Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet einzubringen seien und die Entscheidung im Ausland abzuwarten sei. Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger allein "stellt noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".
Gemäß § 74 NAG könne die Behörde von Amts wegen die Inlandsantragstellung zulassen, wenn die Voraussetzungen des § 72 NAG erfüllt würden. Als besonders berücksichtigungswürdige Gründe habe der Beschwerdeführer in seiner Berufung angegeben, dass seine Ehefrau auf Grund ihrer Gallenerkrankung auf seinen Beistand und seine Hilfe angewiesen wäre. Dem werde entgegengehalten, dass die Ehefrau im Zuge von Erhebungen wegen des Verdachts der Scheinehe am angegeben habe, dass es sich bei der Ehe um eine sogenannte Scheinehe handelte und insgesamt S 40.000,-- für die Eheschließung bezahlt worden wären. Einen gemeinsamen Wohnsitz habe es niemals gegeben. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers könne somit kein Glaube geschenkt werden. Von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei wegen des langjährigen Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Bundesgebiet Abstand genommen worden.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn gerichtete Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 690/08-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass er auch nach Inkrafttreten des NAG mit im Inland geblieben ist.
Somit bestehen keine Bedenken gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass § 21 Abs. 1 NAG anwendbar sei.
Das Recht, die Entscheidung über den vor dem gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung einschließlich des Abwartens der Entscheidung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0265 bis 0267, mwN).
Auch wenn die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag nicht unter Hinweis auf § 11 Abs. 1 Z 4 NAG (Vorliegen einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG) abgewiesen hat, bestehen keine Bedenken gegen ihre Ansicht, dass das Vorliegen einer Aufenthaltsehe in die Interessenabwägung nach § 72 NAG Eingang zu finden hat.
Diesbezüglich hat sie jedoch den angefochtenen Bescheid mit einem Verfahrensmangel belastet. Sie hat nämlich allein auf die erste Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers verwiesen, ohne die weiteren Beweisergebnisse des Verfahrens zu berücksichtigen und nachvollziehbar zu würdigen. Im Verwaltungsakt erliegt die zweite Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers, in der sie angab, dass der Beschwerdeführer (lediglich) einen Kredit zurückgezahlt habe. Weiters gab die Staatsanwaltschaft Wien mit Note vom unter Hinweis auf eine weitere Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers vom selben Tag bekannt, dass "im Hinblick auf die unsichere Beweislage keine Ehenichtigkeitsklage gemäß § 23 Ehegesetz erhoben wird". Dies würde zwar die Feststellung einer Aufenthaltsehe nicht hindern. Dazu wäre aber eine Auseinandersetzung mit sämtlichen Beweisergebnissen zu fordern, zumal die erstinstanzliche Behörde im Gegensatz dazu dem Beschwerdeführer sogar familiäre Bindungen "zweifelsohne" zugestanden hat.
Dieser Verfahrensmangel ist wesentlich. Im Blick auf den langen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers und die im Akt erliegenden Hinweise auf eine Berufstätigkeit ist nämlich nicht auszuschließen, dass im Fall des Bestandes eines Familienlebens mit einer österreichischen Staatsbürgerin seine persönlichen Interessen stärker wögen als die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an der Einhaltung eines geordneten Fremdenwesens.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
JAAAE-85377