VwGH vom 19.12.2019, Ra 2019/21/0185
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und den Hofrat Dr. Pelant sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des V G in B, vertreten durch Mag. Doris Einwallner, Rechtsanwältin in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 26/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , G314 1233371-2/4E, betreffend Ausweisung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo, reiste am in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 AsylG 1997 abgewiesen wurde; weiters wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat gemäß § 8 AsylG 1997 zulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom als unbegründet abgewiesen. Am kehrte der Revisionswerber nach einer Anhaltung in Schubhaft freiwillig in den Kosovo zurück.
2 Am heiratete er im Kosovo eine in Wien lebende slowakische Staatsangehörige und reiste daraufhin neuerlich nach Österreich, wo er seit August 2013 durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. Mit wurde ihm eine Aufenthaltskarte (mit Gültigkeit bis ) ausgestellt. Er war zunächst - unterbrochen durch Zeiten des Arbeitslosengeldbezugs - als Fassadenbauer unselbständig erwerbstätig und ist seit Juli 2017 als unbeschränkt haftender Gesellschafter der V. Fassaden OG selbständig erwerbstätig. Er beherrscht die deutsche Sprache und legte eine Prüfung für das Niveau A2 ab. Zwei seiner Brüder sowie Cousinen und Cousins halten sich ebenfalls in Österreich auf, seine Eltern und weitere Brüder leben im Kosovo.
3 Seit Jänner 2015 lebt der Revisionswerber getrennt von seiner slowakischen Ehefrau. Mit seit rechtskräftigem Urteil eines kosovarischen Gerichts wurde die Ehe geschieden. Davon setzte der Revisionswerber die Niederlassungsbehörde am in Kenntnis. Das am von der Niederlassungsbehörde informierte Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den Revisionswerber mit Bescheid vom gemäß § 66 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus und erteilte ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen einmonatigen Durchsetzungsaufschub. 4 Am hatte der Revisionswerber im Kosovo eine kosovarische Staatsangehörige geheiratet. Diese reist am hochschwanger in das Bundesgebiet ein. Sie beantragte internationalen Schutz, weil sie mit dem Revisionswerber zusammenleben wolle und ihr Kind nicht ohne seinen Vater aufwachsen solle. Der gemeinsame Sohn kam am zur Welt.
5 Mit Bescheiden vom wurden die Anträge der Ehefrau des Revisionswerbers und ihres Sohnes auf internationalen Schutz vom BFA vollinhaltlich abgewiesen; unter einem wurde ausgesprochen, dass Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt würden, und es wurden gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG Rückkehrentscheidungen sowie gemäß § 53 Abs. 1 und 2 FPG einjährige Einreiseverbote erlassen; gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung in den Kosovo zulässig sei; eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt und einer Beschwerde wurde jeweils die aufschiebende Wirkung aberkannt. Der nur gegen die Rückkehrentscheidungen und die damit verbundenen Aussprüche sowie die Einreiseverbote erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht insoweit statt, als es die Einreiseverbote ersatzlos behob; im Übrigen wurden die Beschwerden abgewiesen (vgl. dazu den Beschluss vom heutigen Tag, Ra 2019/21/0186, 0187).
6 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die gegen den Bescheid des BFA vom erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab.
7 Es stellte den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt fest. In rechtlicher Hinsicht führte es nach Darstellung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen aus, dass der Revisionswerber sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht verloren habe. Seine Ehe habe weniger als drei Jahre gedauert und sei kinderlos geblieben. Trotz der Behauptung des Revisionswerbers, dass seine Ehefrau das Alleinverschulden am Scheitern der Ehe treffe, gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Härtefall im Sinn des § 54 Abs. 5 Z 4 NAG vorliege.
8 In Bezug auf die bei der Prüfung der Zulässigkeit der Ausweisung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Kontinuität des Inlandsaufenthalts des Revisionswerbers durch seine Rückkehr in den Kosovo im Jahr 2013 unterbrochen worden sei. Nunmehr halte er sich seit August 2013 durchgehend und rechtmäßig in Österreich auf. Eine Trennung von seiner Ehefrau und seinem Sohn sei mit der Ausweisung nicht verbunden, weil gegen sie ebenfalls aufenthaltsbeendende Maßnahmen angeordnet worden seien. Die Ausweisung greife zwar in sein Privatleben ein, es werde ihm aber möglich sein, den Kontakt zu seinen in Österreich lebenden anderen Bezugspersonen über diverse Kommunikationsmittel und durch wechselseitige Besuche aufrechtzuerhalten. Er habe starke Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, wo er aufgewachsen sei, seine Eltern und mehrere Brüder lebten und eine Wohnmöglichkeit in seinem Elternhaus bestehe. Auf Grund seiner in Österreich gesammelten Berufserfahrung als Fassadenbauer werde er in der Lage sein, sich dort ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Das BFA sei zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts das persönliche Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege, zumal der Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet zum Teil auch darauf zurückzuführen sei, dass er der Behörde seine Ehescheidung erst mit geraumer Verspätung bekannt gegeben habe.
9 Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt werden habe können, unterbleibe die beantragte Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG.
10 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision wegen der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung, die keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG begründe, nicht zuzulassen sei. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
11 Der Revisionswerber bringt unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung insbesondere vor, dass das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, indem es dem (weit) mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Revisionswerbers nicht die gebotene Bedeutung zugemessen habe.
12 Die Revision erweist sich aus dem genannten Grund als zulässig und berechtigt.
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Grundsätze gelten auch für Fälle eines einmalig für wenige Monate unterbrochenen Inlandsaufenthaltes (vgl. ua; , Ro 2015/22/0016).
14 Im Licht dieser Rechtsprechung hätte das Bundesverwaltungsgericht seinen Überlegungen einen insgesamt mehr als sechzehnjährigen, nur für weniger als fünf Monate unterbrochenen Inlandsaufenthalt zugrunde legen müssen. Davon, dass der Revisionswerber sich in dieser Zeit sozial und beruflich überhaupt nicht integriert hat, kann schon angesichts seiner mehrjährigen und auch aktuell aufrechten Erwerbstätigkeit keine Rede sein. Sein Aufenthalt war auch weit überwiegend - zunächst während seines außerordentlich langen Asylverfahrens (dessen Dauer offenbar nicht ihm zuzurechnen war) und sodann auf Grund seines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts - rechtmäßig. Dabei fällt nicht entscheidend ins Gewicht, dass er seine Ehescheidung entgegen § 54 Abs. 6 NAG erst mit einer Verzögerung von einigen Monaten gemeldet hat, zumal das daran anschließende Verfahren vor dem BFA bis zur Erlassung der erstinstanzlichen Ausweisung nahezu zwei Jahre und das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht weitere (rund) neun Monate gedauert hat. Auf Basis des vom Bundesverwaltungsgericht festgestellten Sachverhalts wäre daher wegen des Überwiegens der durch Art. 8 EMRK geschützten privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich gemäß § 9 BFA-VG von einer Unzulässigkeit der Ausweisung auszugehen gewesen.
15 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 16 Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210185.L01 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete |
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