VwGH vom 09.09.2010, 2008/22/0757
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher u.a., Rechtsanwälte in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 149.562/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines Staatsangehörigen von Bangladesch, vom auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung im Rahmen der Familienzusammenführung mit seiner österreichischen Ehefrau gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer am eingereist sei und am einen Asylantrag eingebracht habe. Dieser sei mit Bescheid vom rechtskräftig "negativ" entschieden worden. Sein weiterer Asylantrag vom sei am gemäß § 68 AVG rechtskräftig zurückgewiesen worden.
Am habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet und am den gegenständlichen Antrag eingebracht.
Da sich der Beschwerdeführer seit Inkrafttreten des NAG am und somit auch zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag nicht rechtmäßig im Inland aufgehalten habe, stehe § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen. Die Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen allein "stellt noch kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsrecht dar".
Die Behörde habe einen nicht gemäß § 21 Abs. 1 NAG gestellten Antrag zwingend abzuweisen, wenn nicht besonders berücksichtigungswürdige Fälle aus humanitären Gründen vorlägen. "Besonders in Hinblick auf eine Antragstellung im Ausland" könnten seitens der erkennenden Behörde keine humanitären Gründe im Sinn des § 72 NAG erkannt werden, weil weder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts behauptet worden sei bzw. keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass sein Leben oder seine Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Ansichten bedroht wäre. Eine Inlandsantragstellung werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen. Ein weiteres Eingehen auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, sei entbehrlich.
Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 2131/07-6, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Zunächst ist dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen zu entgegnen, dass es sich beim Erfordernis der Auslandsantragstellung und des Abwartens der Entscheidung im Ausland nicht um eine bloße Formalvoraussetzung, sondern um eine materielle Voraussetzung für die Bewilligung des angestrebten Aufenthaltstitels handelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2009/22/0022). Zutreffend beurteilte die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag nach den Bestimmungen des am in Kraft getretenen NAG (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0257).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, den gegenständlichen Antrag, der als Erstantrag anzusehen war, entgegen § 21 Abs. 1 NAG im Inland gestellt zu haben. Das Recht, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland zu stellen und die Entscheidung darüber hier abzuwarten, kommt daher im vorliegenden Fall nur gemäß § 74 NAG (in der Stammfassung) in Betracht. Liegen die Voraussetzungen des § 72 NAG (ebenfalls in der Stammfassung) vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familiennachzug) besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0265 bis 0267).
Die Beschwerde ist somit im Recht, wenn sie meint, dass auch aus Gründen des Art. 8 EMRK die Zulassung einer Inlandsantragstellung gemäß § 74 NAG geboten sein könne. Diesbezüglich verweist sie darauf, dass der Beschwerdeführer seit über vier Jahren mit einer Österreicherin verheiratet sei, mit ihr ein gemeinsames Familienleben führe und unselbständig erwerbstätig sei. Es trifft auch zu, dass die Familiengemeinschaft zu einem Zeitpunkt entstanden ist, als im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 eine Legalisierung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Inland zulässig gewesen wäre. Dazu kommt, dass sich der Beschwerdeführer bereits seit dem Jahr 2000 in Österreich aufhält.
Aus der zitierten Bescheidbegründung ist ersichtlich, dass die belangte Behörde humanitäre Gründe lediglich in Richtung einer Verfolgung oder Gefährdung des Beschwerdeführers nach § 50 FPG geprüft hat. Mangels entsprechenden Vorbringens sei "daher" die Inlandsantragstellung nicht von Amts wegen zuzulassen. Im Zusammenhang mit der Prüfung nach §§ 72, 74 NAG vertritt die belangte Behörde dann auch die Auffassung, dass ein "weiteres Eingehen" auf die persönlichen Verhältnisse, auch im Hinblick auf Art. 8 EMRK, entbehrlich sei. Dass diese Ansicht nicht dem Gesetz entspricht, wurde bereits aufgezeigt.
Damit hat die belangte Behörde ihren Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet. Es ist angesichts des inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers seit dem Jahr 2000, seiner im maßgeblichen Zeitpunkt bereits dreijährigen Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und der behaupteten Berufstätigkeit nicht von vornherein auszuschließen, dass die nach Art. 8 EMRK geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung zu seinen Gunsten vorzunehmen wäre. Dann aber dürfte die Antragsabweisung nicht auf das Erfordernis der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG gestützt werden.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG Abstand genommen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Wien, am
Fundstelle(n):
KAAAE-85329