VwGH vom 24.10.2019, Ra 2019/21/0148
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W137 2217156-1/14E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: F S, zuletzt in W, vertreten durch die Diakonie Flüchtlingsdienst gem. GmbH ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, Wattgasse 48/3. Stock), zu Recht erkannt:
Spruch
Das bekämpfte Erkenntnis wird im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkte A.II. und A.IV., letzterer insoweit, als damit der Antrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl auf Aufwandersatz abgewiesen wurde) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Der von ihm nach seiner Einreise nach Österreich gestellte Antrag auf internationalen Schutz wurde - in Verbindung mit (insbesondere) einer Rückkehrentscheidung - vollinhaltlich abgewiesen, einer dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom keine Folge. 2 Ab war der Mitbeteiligte nicht mehr behördlich gemeldet. Am wurde er aber aus Anlass einer fremdenpolizeilichen Kontrolle festgenommen.
3 Mit Mandatsbescheid vom verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sodann über den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung. Mit diesem Schubhaftbescheid wurde dem Mitbeteiligten auch eine Verfahrensanordnung gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG vom ausgefolgt, in der festgehalten ist, dass ihm als Rechtsberater für ein etwaiges Beschwerdeverfahren vor dem BVwG die "ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe" (u.a. mit näher angeführter Anschrift und Telefonnummer) amtswegig zur Seite gestellt werde. Die genannte Rechtsberatungsorganisation wurde vom BFA darüber nicht in Kenntnis gesetzt.
4 Der Mitbeteiligte erhob Beschwerde nach § 22a BFA-VG. Mit Erkenntnis vom wies das BVwG diese Beschwerde, soweit sie sich gegen den Schubhaftbescheid vom richtete, gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). "Gleichzeitig" wurde die Anhaltung in Schubhaft seit für rechtswidrig erklärt (Spruchpunkt A.II.) und schließlich gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen (Spruchpunkt A.III.). Schließlich wurden die Anträge des Mitbeteiligten und des BFA auf Aufwandersatz gemäß § 35 VwGVG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.IV.).
5 Über die außerordentliche Amtsrevision des BFA - das BVwG hatte eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig erklärt - gegen die Spruchpunkte A.II. und A.IV. dieses Erkenntnisses (hinsichtlich Spruchpunkt A.IV. erkennbar nur insoweit, als der Antrag des BFA auf Aufwandersatz abgewiesen wurde) hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
6 Die Revision ist zulässig und berechtigt.
7 Das BVwG begründete die Rechtswidrigerklärung der Anhaltung
des Mitbeteiligten in Schubhaft ab unter Spruchpunkt A.II. seines Erkenntnisses damit, dass es das BFA verabsäumt habe, die dem Mitbeteiligten von Amts wegen zur Seite gestellte Rechtsberatungsorganisation davon in Kenntnis zu setzen; diese sei daher nicht über die Inschubhaftnahme des Mitbeteiligten informiert worden. Insoweit sei der gesetzlich garantierte Schutz der persönlichen Freiheit des Mitbeteiligten verletzt worden, weil dessen Dispositionsfreiheit zum Aufsuchen des Rechtsberaters bei aufrechter Haft "schlicht nicht besteht oder zumindest massiv eingeschränkt ist."
8 Die Amtsrevision hält dem entgegen, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sogar das vollständige Unterbleiben einer Bereitstellung eines Rechtsberaters nicht automatisch die Unrechtmäßigkeit der Anhaltung zur Folge habe. Im Detail verweist das BFA in seiner Amtsrevision diesbezüglich auf .
9 In diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof, auf Basis der Rechtslage vor dem , ausgesprochen, dass eine Schubhaftbeschwerde von der Anfechtung bestimmter Vorkommnisse - oder Unterlassungen - während des Schubhaftvollzugs zu trennen sei; bezüglich dieser seien Beschwerden im Sinn des § 67a Z 2 AVG bzw. nach § 88 SPG statthaft, die auch nicht als Unterfall der Schubhaftbeschwerde angesehen werden könnten. Eine zu Unrecht erfolgte Unterlassung der Zur- Seite-Stellung eines Rechtsberaters, die sich naturgemäß nicht notwendig auf die Rechtmäßigkeit des Fortdauerns der Haft auswirken müsse, stelle bloß eine derartige Unterlassung während des Schubhaftvollzugs dar, die ausschließlich mit Beschwerden der genannten Art bekämpft werden könne. Schon daraus ergebe sich, dass das Aufgreifen dieses Umstandes im Verfahren zur Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Anhaltung in Schubhaft und die allein darauf gestützte Erklärung der Anhaltung als rechtswidrig mit der Rechtslage nicht in Einklang zu bringen sei.
10 Auf dieses Erkenntnis ist das BVwG nicht eingegangen. Es verwies aber auf die im § 52 Abs. 1 BFA-VG "verpflichtend und konkret vorgeschriebene - und vom Unionsrecht unter dem Aspekt eines effektiven Rechtsschutzes zumindest mittelbar geforderte - (unverzügliche) Verständigung eines Rechtsberaters", die fallbezogen unterblieben sei.
11 Der genannte § 52 Abs. 1 BFA-VG lautet wie folgt:
"Rechtsberatung vor dem Bundesverwaltungsgericht
§ 52. (1) Das Bundesamt hat den Fremden oder Asylwerber bei Erlassung einer Entscheidung, ausgenommen Entscheidungen nach § 53 BFA-VG und § 76 bis 78 AVG, oder einer Aktenvorlage gemäß § 16 Abs. 2 VwGVG, mittels Verfahrensanordnung darüber zu informieren, dass ihm kostenlos ein Rechtsberater amstwegig zur Seite gestellt wird. Zugleich hat das Bundesamt den bestellten Rechtsberater oder die betraute juristische Person davon in Kenntnis zu setzen."
12 An unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen führte das BVwG Art. 16 Abs. 2 und 5 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungs-RL) sowie Art. 9 Abs. 4 der Richtlinie 2013/33/EU (Aufnahme-RL) ins Treffen. Dort heißt es unter der Überschrift "Haftbedingungen" (Art. 16 Rückführungs-RL) bzw. unter der Überschrift "Garantien für in Haft befindliche Antragsteller" (Art. 9 Aufnahme-RL):
"Art. 16
...
(2) In Haft genommenen Drittstaatsangehörigen wird auf Wunsch gestattet, zu gegebener Zeit mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen.
...
(5) In Haft genommene Drittstaatsangehörige müssen systematisch Informationen erhalten, in denen die in der (Haft)Einrichtung geltenden Regeln erläutert und ihre Rechte und Pflichten dargelegt werden. Diese Information schließt eine Unterrichtung über ihren nach einzelstaatlichem Recht geltenden Anspruch auf Kontaktaufnahme mit den in Abs. 4 genannten Organisationen und Stellen (einschlägig tätige zuständige nationale und internationale Organisationen sowie nicht-staatliche Organisationen) ein.
Art. 9
...
(4) In Haft befindliche Antragsteller werden unverzüglich schriftlich und in einer Sprache, die sie verstehen, oder von der vernünftigerweise angenommen werden darf, dass sie sie verstehen, über die Gründe für die Haft und die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren für die Anfechtung der Haftanordnung sowie über die Möglichkeit informiert, unentgeltlich Rechtsberatung und - vertretung in Anspruch zu nehmen."
13 § 52 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG legt dem BFA die eindeutige - im vorliegenden Fall unstrittig verletzte - Verpflichtung auf, den amtswegig zur Seite gestellten Rechtsberater von seiner Bestellung in Kenntnis zu setzen.
14 Die im vorliegenden Fall aus unionsrechtlichem Blickwinkel einschlägige - der Mitbeteiligte war bei Schubhaftverhängung nicht mehr Asylwerber, die Schubhaft wurde demzufolge auf § 76 Abs. 2 Z 2 FPG gestützt - Rückführungs-RL, insbesondere die zitierten Abs. 2 und 5 von deren Art. 16, enthalten eine korrespondierende Anordnung nicht, zumal schon die kostenlose Beigabe eines Rechtsbeistandes darin nicht vorgesehen ist.
15 Letzteres ist aber für den Bereich der Aufnahme-RL in Bezug auf gerichtliche Haftprüfungsverfahren der Fall (Art. 9 Abs. 6) und der zitierte vierte Absatz von Art. 9 ordnet an, dass in Haft befindliche Asylwerber (u.a.) über die Möglichkeit informiert werden, diese unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung in Anspruch zu nehmen.
16 Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, ist davon auszugehen, dass die im Rahmen von Art. 9 Aufnahme-RL zu gewährleistenden Garantien nach aktueller Sichtweise typischerweise dem entsprechen, was einem Schubhäftling zur Sicherstellung eines effektiven Rechtsschutzes im Sinn von Art. 47 Abs. 3 GRC anzugedeihen lassen ist (, Punkt 3.4. der Entscheidungsgründe). Insoweit sind die angesprochenen Garantien des Art. 9 Aufnahme-RL auch im vorliegenden Fall - ungeachtet dessen, dass der Mitbeteiligte bei Schubhaftverhängung kein Asylwerber mehr war - von Bedeutung. 17 Auch Art. 9 der Aufnahme-RL, insbesondere dessen Abs. 4, lässt sich indes keine behördliche Verpflichtung entnehmen, einen für ein Haftprüfungsverfahren von Amts wegen zur Seite gestellten Rechtsberater von seiner Bestellung in Kenntnis zu setzen. Es muss bloß - andernfalls würde der Anspruch auf unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung leer laufen - gewährleistet sein, dass dem Häftling eine Kontaktaufnahme mit dem unentgeltlich zur Verfügung stehenden Rechtsbeistand möglich ist. Das ist, wie in der Amtsrevision zutreffend vorgebracht wird, in Österreich unabhängig von der Anordnung des § 52 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG in Anbetracht der Regelungen des § 19 Anhalteordnung (nach deren Abs. 2 ist mittellosen Häftlingen das Führen von Telefongesprächen zur Aufnahme des Kontaktes mit (insbesondere) Rechtsvertretern sobald wie möglich unentgeltlich zu gestatten) der Fall. 18 Jedenfalls vor dem dargestellten unionsrechtlichen Hintergrund bleibt es dabei, dass - ähnlich wie nach der Rechtslage vor dem , zu der das Erkenntnis , erging - die Verletzung der Verpflichtung nach § 52 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG nicht schon für sich betrachtet eine Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig macht. Daran ändert es auch nichts, dass die Verletzung dieser Verpflichtung nunmehr nicht mehr im Wege einer Beschwerde nach § 88 SPG - Schubhaft unterfällt nicht mehr der Sicherheitsverwaltung (, Rn. 10) - wahrgenommen werden kann. Denn es bleibt die allgemeine Beschwerdemöglichkeit nach Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, die auch für rechtswidrige Unterlassungen im Rahmen des Vollzugs einer Haft offen steht (vgl. in diesem Sinn das noch auf Basis des Art. 129a B-VG ergangene, im vorliegenden Zusammenhang aber weiter maßgebliche Erkenntnis , Punkt II.2.2. der Entscheidungsgründe).
19 Nach dem Gesagten erfolgte die allein auf die Verletzung der Verpflichtung nach § 52 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG gegründete Rechtswidrigerklärung der Anhaltung des Mitbeteiligten in Schubhaft ab zu Unrecht. Der dies aussprechende Spruchpunkt A.II. des angefochtenen Erkenntnisses - und damit der insoweit auch noch angefochtene Spruchpunkt A.IV., soweit damit der Antrag des BFA auf Aufwandersatz abgewiesen wurde - waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210148.L00 |
Schlagworte: | Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 |
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