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VwGH vom 21.06.2011, 2008/22/0744

VwGH vom 21.06.2011, 2008/22/0744

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Merl und Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 149.145/2- III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, beantragte mit per Post übermittelter Eingabe vom eine Erstniederlassungsbewilligung zwecks Familienzusammenführung mit seinem die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Vater. Dieser Antrag wurde vom Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG mangels ausreichender Unterhaltsmittel abgewiesen.

In der dagegen erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer insbesondere vor, dass seinem Antrag bereits im Jahr 2004 stattgegeben worden sei, die österreichische Botschaft in New Delhi aber die Ausfolgung der Vignette grundlos verweigert habe. Die zum gleichen Zeitpunkt seiner Mutter und seinem jüngeren Bruder erteilten Aufenthaltstitel seien hingegen ausgefolgt worden, und beide seien nach Österreich gereist. Somit sei auch klar, dass die nunmehrige Entscheidung das durch Art. 8 EMRK geschützte Zusammenleben auch mit diesen Familienangehörigen berühre.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres (der belangten Behörde) wurde die Berufung gemäß § 21 Abs. 1 und § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, aus dem Verwaltungsakt gehe hervor, dass der Beschwerdeführer seinen Erstantrag im Inland gestellt habe. Er sei aber gemäß § 21 NAG nicht zur Inlandsantragstellung berechtigt. Diese offenkundige Tatsache werde durch den entsprechenden behördlichen Vermerk auf seinem Antrag dokumentiert. Eine neuerliche Befassung im Rahmen des Parteiengehörs sei daher entbehrlich. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer den Antrag entgegen § 19 Abs. 1 NAG auf dem Postweg und nicht persönlich bei der Behörde gestellt.

Weiters sei in seinem Fall nicht nachgewiesen, dass die Unterhaltsmittel gedeckt seien, und es sei sehr wahrscheinlich, dass sein Aufenthalt in Österreich zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führe. Der Vater des Beschwerdeführers beziehe monatliche Nettoeinkünfte in Höhe von EUR 1.283,33. Das pfändungsfreie Existenzminimum für die Berechnung der Leistungsfähigkeit betrage mit Unterhaltsverpflichtungen für seine Ehefrau und einen minderjährigen Sohn EUR 1.148,--. Da er sich nur für Beträge, die über dem eigenen Existenzminimum lägen, für einen Dritten verpflichten könne, verbleibe ein Betrag in Höhe von EUR 135,33. Mit diesem verbliebenden Betrag könne der Unterhalt des Beschwerdeführers (EUR 726,-- laut Richtsatz gemäß § 293 ASVG) nicht finanziert werden.

Ein nicht gemäß § 21 Abs. 1 NAG gestellter Antrag sei zwingend abzuweisen, wenn nicht "besonders berücksichtigungswürdige Fälle aus humanitären Gründen" im Sine des § 72 NAG vorlägen. Solche Gründe könnten seitens der belangten Behörde nicht erkannt werden, weil weder eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts behauptet würden noch stichhaltige Gründe für die Annahme bestünden, dass das Leben des Beschwerdeführers oder seine Freiheit aus Gründen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Ansichten bedroht wäre. Hinsichtlich des Vorbringens betreffend das Familienleben mit seiner Mutter und seinem Bruder werde darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber bereits bei Erlassung des § 21 Abs. 1 NAG auf die persönlichen Verhältnisse der Antragsteller Rücksicht genommen habe und die Regelung eines geordneten Zuwanderungswesens über die persönlichen Verhältnisse gestellt habe.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 2017/07-6, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene und auftragsgemäß ergänzte Beschwerde hat dieser nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die belangte Behörde hat die Antragsabweisung im Spruch auf § 21 Abs. 1 und § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 NAG gestützt, sich in der Begründung aber auch auf § 19 Abs. 1 NAG bezogen.

Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung wurde noch während der Geltung des Fremdengesetzes 1997 (FrG) gestellt und unbestritten nicht persönlich, sondern per Post eingebracht. Dem (am außer Kraft getretenen) FrG war das Erfordernis der persönlichen Antragstellung fremd. Eine solche Verpflichtung wurde erst durch § 19 Abs. 1 NAG als eine vom AVG abweichende Verfahrensbestimmung eingeführt.

§ 81 Abs. 1 NAG sieht vor, dass Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes (dies war der ) anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sind. Nach den Erläuterungen zu dieser Bestimmung (RV 952 BlgNR 22. GP, 149) dürfen aber jedenfalls von der nunmehr zuständigen Behörde zusätzliche Formalvoraussetzungen, deren Erfüllung im Falle eines Antrags nach den Bestimmungen des NAG erforderlich wäre, die aber zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrags nach den Bestimmungen des FrG für dessen Gültigkeit nicht vorgesehen waren, nicht zu Ungunsten des Antragstellers zu einer Zurückweisung seines Antrages aus diesen formalen Gründen führen. Daraus ergibt sich, dass das Nichterfüllen des Formalerfordernisses des § 19 Abs. 1 erster Satz NAG im Falle eines vor Inkrafttreten des NAG gestellten Antrages nicht zur Zurückweisung (bzw., wie im Beschwerdefall, zu einer fälschlicherweise auf § 21 Abs. 1 NAG gestützten Abweisung) führen darf (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0820, mwN).

Bei dem Erfordernis nach § 21 Abs. 1 NAG, den Antrag im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten, handelt es sich hingegen nicht um ein bloßes Formalerfordernis, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0202, mwN). Die Feststellung der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe seinen Erstantrag im Inland gestellt, was durch den entsprechenden behördlichen Vermerk auf seinem Antrag dokumentiert werde, erweist sich aber als aktenwidrig. In der Beschwerde bestreitet der Beschwerdeführer ausdrücklich, sich bei der Antragstellung in Österreich aufgehalten zu haben oder - worauf es fallbezogen angekommen wäre -

die Entscheidung nicht im Ausland abgewartet zu haben, und auch aus den Verwaltungsakten ergibt sich keinerlei Hinweis darauf. Soweit die belangte Behörde die Antragsabweisung auf § 21 Abs. 1 NAG gestützt hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid daher mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Bei der Beurteilung der Tragfähigkeit der vom Vater des Beschwerdeführers vorzulegenden Haftungserklärung liegt ein Rechtsirrtum der belangten Behörde darin, dass sie nicht auf die in § 293 Abs. 1 ASVG enthaltenen Richtsätze abgestellt hat (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0637, auf dessen Entscheidungsgründe insoweit gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird). Auch der demnach zugrunde zu legende Bedarf in der Höhe von EUR 1.893,23 (EUR 1.091,14 Ausgleichszulagenrichtsatz für die im gemeinsamen Haushalt lebenden Eltern zuzüglich EUR 76,09 für das minderjährige Kind und EUR 726,-- für den Beschwerdeführer) wäre allerdings durch das von der belangten Behörde festgestellte und vom Beschwerdeführer nicht bestrittene Einkommen des Zusammenführenden in der Höhe von EUR 1.283,33 nicht gedeckt gewesen, sodass die belangte Behörde im Ergebnis zu Recht die Tragfähigkeit der Haftungserklärung verneint hat.

In einem weiteren Schritt hätte sie aber eine Beurteilung nach § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmen gehabt, hat sie doch die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf § 11 Abs. 2 Z 4 iVm Abs. 5 NAG - danach bestimmt sich die Tragfähigkeit der Haftungserklärung - gestützt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0354, mwN). Gemäß § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz des Fehlens (u.a.) der Voraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten ist. Zur Beurteilung dieser Frage ist - an Hand der Umstände des jeweiligen Einzelfalles - eine gewichtende Gegenüberstellung des Interesses des Fremden an der Erteilung eines Aufenthaltstitels und dem öffentlichen Interesse an der Versagung vorzunehmen. Art 8 EMRK enthält zwar kein Recht von Ausländern auf Entfaltung des Familienlebens in einem bestimmten Staat. Dennoch kann sich aus dieser Bestimmung der EMRK unter besonderen Umständen eine Verpflichtung des Staates ergeben, die Einreise und Niederlassung von Familienangehörigen zu ermöglichen, mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens bildet (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/21/0165, mwN).

Die demnach gebotene Interessenabwägung hat die belangte Behörde - in Verkennung der Rechtslage - unterlassen. Dabei wäre insbesondere zu berücksichtigen gewesen, dass nicht nur der österreichische Vater des Beschwerdeführers, sondern seit 2004 auch dessen Mutter und Bruder in Österreich leben und dem Beschwerdeführer damals - nach seinem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen und der Aktenlage - die Einreise gemeinsam mit seinen Angehörigen nur deswegen versagt wurde, weil der von der (nach dem FrG zuständigen) Bundespolizeidirektion Wien intern bereits genehmigte Aufenthaltstitel von der österreichischen Botschaft in New Delhi nicht (durch Anbringung der Vignette im Reisepass und Ausfolgung an den Beschwerdeführer) zugestellt wurde, was letztlich dazu führte, dass über seinen Antrag erst nach fast drei Jahren eine erstinstanzliche Entscheidung erging.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit aufzuheben, ohne dass es auf die dem hg. Beschluss vom , Zlen. EU 2011/0004 bis 0008-1, zugrundeliegenden unionsrechtlichen Fragen angekommen wäre.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am

Fundstelle(n):
ZAAAE-85295