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VwGH vom 28.10.2008, 2006/15/0228

VwGH vom 28.10.2008, 2006/15/0228

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der MA in L, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , GZ. RV/0813- L/05, betreffend Familienbeihilfe für die Zeit vom bis , zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer afghanischen Staatsbürgerin, ihr für ihre vier Kinder Familienbeihilfe ab Juni 2000 bis März 2002 zu gewähren, abgewiesen. Die belangte Behörde führte dazu aus, die Beschwerdeführerin sei mit ihrem Ehemann und ihren vier Kindern im Juni 2000 nach Österreich eingereist. Am habe der Ehemann der Beschwerdeführerin einen Antrag auf Asyl gestellt. Mit der Entscheidung der zweiten Instanz vom sei dieser Antrag abgewiesen worden. Der von der Beschwerdeführerin gestellte Asylerstreckungsantrag sei ebenfalls abgewiesen worden. Am habe die Beschwerdeführerin selbst einen Antrag auf Asyl gestellt. Diesem Antrag sei mit dem im Rechtsmittelverfahren ergangenen Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates stattgegeben worden.

Das Finanzamt habe der Beschwerdeführerin ab April 2002 (Datum des Asylantrages der Beschwerdeführerin) die Familienbeihilfe gewährt. Für den Zeitraum von Juni 2000 bis März 2002 sei der Antrag abgewiesen worden.

Da der das Asylverfahren abschließende Bescheid am ergangen sei, sei § 3 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) in der bis geltenden Fassung anzuwenden. Danach knüpfe das Recht auf Familienbeihilfe an die Flüchtlingseigenschaft an. Strittig sei, ab welchem Zeitraum die Beschwerdeführerin als Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen sei.

Abs. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom , BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, sehe als Flüchtlinge Personen an, die sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befinden und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt seien, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Das Asylgesetz knüpfe an diese Begriffsbestimmung an und gewähre Personen, die glaubhaft machen könnten, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne dieser Konvention drohe, auf Antrag mit Bescheid Asyl. Gleichzeitig mit dem Bescheid über die Asylgewährung werde die Feststellung verbunden, dass die Personen damit Kraft Gesetzes Flüchtlinge seien.

Im vorliegenden Fall sei ein umfangreiches Asylverfahren betreffend die Familie der Beschwerdeführerin abgewickelt worden, in dem die Situation der Beschwerdeführerin und ihrer Familie eingehend durchleuchtet worden sei; unter anderem seien folgende Feststellungen getroffen worden:

Der Asylantrag des Ehemannes der Beschwerdeführerin vom sei mit der Berufungsentscheidung vom abgewiesen worden; gleichzeitig sei jedoch festgestellt worden, dass seine Zurückschiebung nicht zulässig sei, und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis erteilt worden. In diesem Bescheid sei festgestellt worden, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin keine aktuelle asylrelevante Verfolgungsgefahr habe glaubhaft machen können.

Die Beschwerdeführerin habe am gemäß § 10 i. V.m. § 11 Asylgesetz einen Asylerstreckungsantrag gestellt. Dieser sei mit Bescheid vom auf Grund der Abweisung des Antrages ihres Ehemannes ebenfalls abgewiesen worden. Nach der Begründung dieses Bescheides habe die Beschwerdeführerin im Rahmen dieses Antrages lediglich angegeben, dass sie nur deshalb aus Afghanistan geflohen sei, weil sich ihr Ehemann zur Flucht entschlossen habe und dies die einzige Möglichkeit gewesen sei, weiterhin mit ihm in Familiengemeinschaft zu leben.

Die Beschwerdeführerin habe am selbst einen Antrag auf Asyl gestellt, den sie darauf gestützt habe, dass sie auf Grund der Stellung der Frauen in Afghanistan einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Nachdem dieser Antrag in erster Instanz zunächst abgewiesen worden sei, sei mit Berufungsbescheid der Beschwerdeführerin Asyl gewährt worden. Der Unabhängige Bundesasylsenat habe grundsätzlich anerkannt, dass die Beschwerdeführerin als Frau im Falle einer Rückkehr nach wie vor massiven Einschränkungen ausgesetzt wäre und mit einem erheblichen Risiko für ihre persönliche Sicherheit und physische Integrität konfrontiert wäre. Erschwerend trete in ihrem Fall hinzu, dass die Familie der Beschwerdeführerin durch männliche Mitglieder den Erfordernissen der konservativen Gesellschaftsstruktur entsprechend nicht hinreichend geschützt werden könne, ferner dass ihr Gatte auf seine Familie besondere Rücksicht zu nehmen habe, und sie aus Angst vor dem Gerede der Bevölkerung ebenso einschränken müsse und auch nicht gegen seinen Vater Partei ergreifen könne. Bei einer Rückkehr hätte die Beschwerdeführerin jedoch keine Wahl und müsse wieder in das Haus der Eltern des Gatten ziehen, sodass damit ihre Position weiter beeinträchtigt wäre.

Auf Grund dieser Entscheidung sei hinsichtlich des Ehemannes der Beschwerdeführerin ein Familienverfahren gemäß § 10 Asylgesetz durchgeführt worden und ihm als Familienangehörigen der Asylberechtigten im Sinne des § 10 Abs. 2 Asylgesetz ebenfalls Asyl gewährt worden.

Die Flüchtlingseigenschaft sei nicht vom behördlichen Formalakt der Asylgewährung abhängig, sondern sei bei Vorliegen der Voraussetzungen auf Grund der Genfer Flüchtlingskonvention gegeben. Da die Asylgewährung jedoch eng mit dem Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft zusammenhänge, hätten die Ergebnisse des Asylverfahrens für die entscheidungswesentlichen Sachverhaltsfeststellungen herangezogen werden können. In diesem Sinne habe den Asylverfahren Folgendes entnommen werden können:

Der Ehemann der Beschwerdeführerin habe im gesamten ersten Asylverfahren die Behörden nicht überzeugen können, dass er aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht in der Lage sei, in sein Heimatland zurückzukehren. Im zweiten Asylverfahren sei ihm Asyl nur aus Gründen des § 10 Abs. 2 Asylgesetz gewährt worden.

Die Beschwerdeführerin selbst habe im ersten Verfahren ebenfalls nur einen Asylerstreckungsantrag gestellt, weshalb allfällige Gründe, die für die Flüchtlingseigenschaft sprechen könnten, nicht gesondert untersucht worden seien. Ausdrücklich sei von ihr im Rahmen dieses Verfahrens jedoch erklärt worden, dass sie nur deshalb geflüchtet sei, weil sich ihr Mann zur Flucht entschlossen habe. Dies lasse den Schluss zu, dass für die Beschwerdeführerin zu dieser Zeit keinesfalls bereits Gründe vorgelegen seien, die sie veranlasst hätten, aus begründeter Furcht vor Verfolgung aus in ihrer Person gelegenen Gründen ihr Heimatland zu verlassen oder nicht mehr dorthin zurückzukehren, zumal sie sich auch ausdrücklich einverstanden erklärt habe, im Asylverfahren wie ihr Ehegatte behandelt zu werden.

Wenn die Asylgewährung im weiteren Verfahren schließlich insbesondere mit der sozialen Stellung der Frau in Afghanistan begründet worden sei, so könne dies im Zusammenhang mit der Tatsache, dass diese spezielle Problematik zunächst weder Anlass für eine Flucht noch Grund für einen Verbleib in Österreich gewesen sei, nur so verstanden werden, dass die Flucht und der längere Aufenthalt in einem westlichen Land die Situation für die Beschwerdeführerin soweit verschärft hätten, dass sie im Fall einer Rückkehr wesentlich stärkere Beeinträchtigungen erfahren würde als zuvor. Diesen Schluss lasse auch die Begründung des Bundesasylsenates zu, wenn auf die erschwerenden familiären Verhältnisse für die Beschwerdeführerin nach der Rückkehr hingewiesen werde.

Da bei dem vorliegenden Sachverhalt der konkrete Zeitpunkt, ab dem die Beschwerdeführerin als Flüchtling im Sinn des Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, angesehen werden könne, nicht eindeutig abgrenzbar sei, sei der Zeitpunkt der Asylantragstellung durch die Beschwerdeführerin zumindest ein logischer Anknüpfungspunkt hiefür.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Frage, ob für einen bestimmten Zeitraum Familienbeihilfe zusteht, an Hand der rechtlichen und tatsächlichen Gegebenheiten im Anspruchszeitraum zu beantworten. Der gesetzlich festgelegte Anspruchszeitraum für die Familienbeihilfe ist, wie sich dies den Regelungen des § 10 Abs. 2 und 4 FLAG entnehmen lässt, der Monat. Das Bestehen des Familienbeihilfenanspruches für ein Kind kann somit je nach dem Eintritt von Änderungen der Sach- und/oder Rechtslage von Monat zu Monat anders zu beurteilen sein (vgl. etwa das Erkenntnis vom , 2006/15/0098).

§ 3 Abs. 2 FLAG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung stellt auf die Eigenschaft als Flüchtling im Sinne des Art. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom , BGBl Nr. 55/1955, und des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974, ab. Nicht entscheidend ist das Vorliegen eines Bescheides über die Zuerkennung von Asyl. Die Abgabenbehörde hat somit das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 2 FLAG selbständig materiell zu prüfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2001/15/0051).

Die belangte Behörde ist zutreffend von dieser Rechtsansicht ausgegangen. Sie hat an Hand der Ergebnisse des Asylverfahrens die Feststellung getroffen, dass der Beschwerdeführerin auf Grund der sozialen Stellung der Frauen in Afghanistan Flüchtlingseigenschaft zukommt. Sie hat den Zeitpunkt, auf dem diese Beurteilung zutrifft, als nicht eindeutig abgrenzbar bezeichnet und daher den Zeitpunkt der Asylantragstellung als "logischen Anknüpfungspunkt" ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt und daraus geschlossen, dass erst ab diesem Zeitpunkt der Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe zu Recht bestehe, sohin ab April 2002.

Die Beschwerdeführerin bekämpft diese Auffassung - wie bereits im Verwaltungsverfahren - mit der wesentlichen Behauptung, die Voraussetzungen, die zur Asylgewährung geführt hätten, seien bereits im Zeitpunkt ihrer Einreise nach Österreich vorgelegen.

Die Frage, ab welchem Zeitpunkt der Beschwerdeführerin die Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 Abs. 2 FLAG zukommt, ist auf der Basis von Sachverhaltsfeststellungen, die die belangte Behörde im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen hat, zu beantworten.

Die Beweiswürdigung ist nur insofern der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle zugänglich, als es sich um die Beurteilung handelt, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung angenommenen Erwägungen schlüssig sind, also ob sie den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut und den Erfahrungen des täglichen Lebens entsprechen (vgl. Ritz, BAO3, § 167, Tz. 10 mit Hinweisen auf die hg. Judikatur).

Die Beweiswürdigung der belangten Behörde, die Asylantragstellung sei als "zumindest logischer Anknüpfungspunkt" heranzuziehen, entspricht diesen Anforderungen nicht. Die Annahme der belangten Behörde, die soziale Stellung der Frauen in Afghanistan habe der Beschwerdeführerin ab dem Zeitpunkt der Asylantragstellung die Flüchtlingseigenschaft vermittelt, findet im Feststellungsteil des angefochtenen Bescheides keine Deckung. Feststellungen dazu, dass die soziale Stellung der Frauen in Afghanistan vor diesem Zeitpunkt - bereits ab Einreise der Beschwerdeführerin nach Österreich - anders zu beurteilen wäre, fehlen. Entscheidungswesentlich ist aber, ob im Streitzeitraum, also ab dem Zeitpunkt der Einreise der Beschwerdeführerin, die soziale Stellung der Frauen in Afghanistan ihr die Rechtsstellung eines Flüchtlings zu vermitteln vermochte, und nicht, wann die Beschwerdeführerin diesen Umstand im Asylverfahren als subjektiv empfundene Bedrohung geltend machte.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am