VwGH vom 19.09.2019, Ra 2019/21/0100
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des S R in W, geboren am , vertreten durch Mag. Dr. Esther Lenzinger, Rechtsanwältin in 1120 Wien, Meidlinger Hauptstraße 15/1 1, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , L508 1316743-4/6E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung sowie Ausspruch nach § 13 Abs. 2 AsylG 2005 und Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
1. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 sowie gegen den Ausspruch nach § 13 Abs. 2 AsylG 2005 richtet, zurückgewiesen.
2. zu Recht erkannt:
Im Übrigen, betreffend Rückkehrentscheidung samt Festsetzung einer Ausreisefrist und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung des Revisionswerbers sowie Einreiseverbot, wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber ist pakistanischer Staatsangehöriger. Er reiste im März 2007 in das Bundesgebiet ein und stellte hier einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser wurde letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom - in Verbindung mit einer Ausweisung des Revisionswerbers nach Pakistan - vollinhaltlich abgewiesen. Die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , U 606/08-4, ab, (auch) ein Wiederaufnahmeantrag blieb erfolglos (Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom ).
2 Der Revisionswerber verblieb in Österreich. Er stellte am neuerlich einen Antrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom (ebenfalls) zur Gänze abwies. Außerdem sprach das BFA aus, dass ein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde und erließ eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG samt Nebenaussprüchen. Eine dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) in den Punkten Asyl und subsidiärer Schutz mit Erkenntnis vom als unbegründet ab, mit unter einem ausgefertigten Beschluss vom selben Tag hob es allerdings (insbesondere) die Rückkehrentscheidung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auf und verwies die Angelegenheit insoweit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurück.
3 Nach der Aktenlage beschäftigte sich das BFA mit dem Fall des Revisionswerbers daraufhin erst wieder in der zweiten Jahreshälfte 2018; mit Bescheid vom sprach es erneut aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde und erließ - neuerlich - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sowie - erstmals - ein zweijähriges Einreiseverbot. Wiederum stellte es zudem gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei. Schließlich sprach es noch aus, dass einer Beschwerde "gegen diese Entscheidung über Ihren Antrag auf internationalen Schutz" die aufschiebende Wirkung aberkannt werde, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und dass der Revisionswerber gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem verloren habe.
4 Mit "Beschluss" vom erkannte das BVwG der dagegen erhobenen Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu. Mit Erkenntnis vom wies es die Beschwerde dann aber - mit der Ausnahme, dass nunmehr gemäß § 55 Abs. 2 FPG die Frist für eine freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt wurde - als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 2 VwGG sprach das BVwG zudem aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5 Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:
6 Hat das Verwaltungsgericht - so wie hier das BVwG - in seinem Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist, hat die Revision zufolge § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision). Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof dann im Rahmen dieser vorgebrachten Gründe zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
7 In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 sowie in Bezug auf den Ausspruch nach § 13 Abs. 2 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision. Insoweit war sie daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG als unzulässig zurückzuweisen.
8 Im Übrigen, die Rückkehrentscheidung samt die damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche sowie das Einreiseverbot betreffend, erweist sich die Revision aber als zulässig und berechtigt, weil die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG - wie die Revision im Ergebnis zutreffend geltend macht - auf einer nicht ausreichenden Tatsachengrundlage beruht. 9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG zur Beurteilung der Frage, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung (samt Einreiseverbot) einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte darstellt, unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Dabei geht der Verwaltungsgerichtshof in gefestigter Judikatur davon aus, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen ist. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurde eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels) ausnahmsweise nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. 10 Allerdings ist auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend vom einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. zum Ganzen grundlegend , Rn. 11 bis 16, und darauf verweisend zuletzt, mwN, , 0135, Rn. 20).
11 Der Revisionswerber befindet sich seit März 2007 im Bundesgebiet und kann daher - bezogen auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - auf einen rund zwölfjährigen Inlandsaufenthalt verweisen. Dessen ungeachtet hat sich das BVwG nicht mit der dargestellten Judikaturlinie des Verwaltungsgerichtshofes auseinandergesetzt und ohne darauf einzugehen die Auffassung vertreten, die Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet hätten nur geringes Gewicht und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus dem Blickwinkel des Schutzes der öffentlichen Ordnung in den Hintergrund zu treten; die Erlassung einer Rückkehrentscheidung erscheine daher dringend geboten und nicht unverhältnismäßig.
12 Soweit erkennbar ging das BVwG allerdings nicht davon aus, dass beim Revisionswerber überhaupt keine Integration vorliege. Es räumte ein, dass er "zweifelsfrei alltagstaugliche Deutschkenntnisse" habe, wenngleich es dann in diesem Zusammenhang auch, nur auf vom Revisionswerber vorgelegte Urkunden Bezug nehmend, anmerkte, er habe sich "tatsächlich nur relativ geringe Deutschkenntnisse angeeignet". Eine Beurteilung aufgrund eigener Wahrnehmung - die beantragte Beschwerdeverhandlung wurde nicht durchgeführt - liegt dieser einschränkenden Einschätzung nicht zu Grunde.
13 Das BVwG ging dann aber noch davon aus, dass der Revisionswerber über einen "gewissen Freundes- und Bekanntenkreis im Inland" verfüge und dass er in der Vergangenheit gelegentlich als Zeitungszusteller tätig gewesen sei. Dies habe er für den Zeitraum Februar und März 2016 durch Vorlage von Unterlagen belegen können, ob diese Tätigkeit legal ausgeübt worden sei, habe aber nicht festgestellt werden können.
14 Damit wurde aber auch nicht zum Ausdruck gebracht, dass die - offenkundig selbständig ausgeübte - Tätigkeit des Revisionswerbers rechtswidrig war, und das ist aus rein fremdenrechtlicher Sicht für die Dauer der Asylverfahren auch zu verneinen (siehe dazu abermals , 0135, Rn. 27 f). Insoweit ist von einer (ersten) beruflichen Integration des Revisionswerbers im Bundesgebiet auszugehen, was gleichfalls dem Schluss entgegensteht, es liege beim Revisionswerber überhaupt keine Integration vor. 15 Damit kommt es nach dem Vorgesagten darauf an, ob Umstände vorliegen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Inland relativieren. Das könnte im Sinn der oben dargestellten Judikatur (siehe Rn. 10) insbesondere das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung sein.
16 Derartige strafgerichtliche Verurteilungen liegen vor. Sie stammen vom und vom , stehen allerdings zueinander im Verhältnis der § 31 und 40 StGB und sind daher als Einheit zu werten (so schon , Punkt II. 2.3. der Entscheidungsgründe, sowie zum FPG ). Dazu kommt, dass insgesamt nur - wegen des Vergehens nach § 223 Abs. 2 StGB - eine zur Gänze bedingt nachgesehene einmonatige Freiheitsstrafe verhängt bzw. dann wegen § 223 Abs. 1 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe überhaupt abgesehen wurde. Die strafgerichtlichen Verfehlungen des Revisionswerbers fallen daher - jedenfalls ohne nähere Feststellungen zu den Straftaten, die vom BVwG nicht getroffen wurden - nicht maßgeblich ins Gewicht.
17 Das BVwG hat dann noch als die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung verstärkende Umstände, auch im Zusammenhang mit dem verhängten zweijährigen Einreiseverbot, ins Treffen geführt, dass der Revisionswerber zwei erfolglose Asylanträge gestellt hat, wobei der zweite Asylantrag einen "Missbrauch des Asylsystems" dargestellt habe, und dass er als mittellos anzusehen sei.
18 Unter Bezug auf Letzteres und damit auch unter dem Aspekt des der Sache nach vom BVwG herangezogenen Einreiseverbotstatbestandes der Mittellosigkeit nach § 53 Abs. 2 Z 6 FPG sowie der aus der Mittellosigkeit resultierenden Gefahr der Unterhaltsbeschaffung aus illegalen Quellen ist allerdings anzumerken, dass es für den Fall der Feststellung der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 zu kommen hätte, der die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit erlaubt (§ 54 Abs. 1 AsylG 2005). Von daher würde sich die Problematik der Mittellosigkeit bzw. die daraus ableitbare Gefährdung - Weiterführung der selbständigen Tätigkeit des Revisionswerbers und Erzielung eines ausreichenden Einkommens daraus unterstellt - nicht realisieren (siehe nochmals , 0135, Rn. 30).
19 Das BVwG geht zwar von einer (weiteren) Ausübung der selbständigen Tätigkeit des Revisionswerbers aus; es vermochte jedoch nicht festzustellen, dass daraus ein ausreichendes Einkommen erzielt werde, um die Selbsterhaltungsfähigkeit zu gewährleisten. (Auch) das wäre allerdings mit dem Revisionswerber zu erörtern gewesen.
20 Damit verbleibt die zweimalige Asylantragstellung, wozu allerdings anzumerken ist, dass auch in Bezug auf den zweiten Antrag auf internationalen Schutz eine meritorische Entscheidung - und nicht etwa eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache - erging und das darüber geführte Verfahren bis zur Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses letztlich fast fünf Jahre dauerte. Insgesamt kann dann aber nicht gesagt werden, es liege ein eindeutiger Fall vor, weshalb sich das BVwG auch - im Zuge der beantragten Beschwerdeverhandlung - einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber hätte verschaffen müssen, ehe es zu der Beurteilung gelangen durfte, die gebotene Interessenabwägung habe zu Lasten des Revisionswerber auszugehen (siehe zur ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach der Verschaffung eines persönlichen Eindruckes im Rahmen einer mündlichen Verhandlung bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen besondere Bedeutung zukommt etwa , Rn. 12, mwN, und aus jüngerer Zeit , Rn. 21).
21 Zusammenfassend ist das angefochtene Erkenntnis damit im aus dem Spruch zu Punkt 2. ersichtlichen Umfang mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet. Es war daher insoweit - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
22 Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff, insbesondere § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210100.L00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete Parteiengehör |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.