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VwGH vom 19.09.2019, Ra 2019/21/0097

VwGH vom 19.09.2019, Ra 2019/21/0097

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision der G O in G, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom , LVwG 30.8-169/2018-11, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Steiermark), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Steiermark vom wurde der Revisionswerberin, einer nigerianischen Staatsangehörigen, zur Last gelegt, sie habe mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, dem Fremden K.O.I., geboren am , Staatsangehörigkeit Nigeria, den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union erleichtert. K.O.I. habe sich (nämlich) vom bis an einer näher angeführten Adresse in Graz aufgehalten; die Revisionswerberin habe ihm (dort) Unterkunft gewährt. Wegen Verletzung der Rechtsvorschrift des § 120 Abs. 3 Z 2 FPG wurde über die Revisionswerberin eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000,-- EUR (im Falle der Uneinbringlichkeit sechs Tage Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Des Weiteren wurde ihr die Zahlung eines Beitrags zu den Verfahrenskosten auferlegt. 2 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte die Revisionswerberin insbesondere vor, sie habe nie mit dem Vorsatz gehandelt, den ihr zur Last gelegten Straftatbestand zu erfüllen. K.O.I. sei der Vater ihrer beiden Kinder und er habe im angeführten Zeitraum mit ihr zusammengelebt. Als alleinerziehende Mutter habe sie "ihren Mann" bei sich haben und Zeit mit ihm "und den Kindern" gemeinsam verbringen wollen. Der Revisionswerberin sei nicht bewusst gewesen, dass sie dadurch "gegen das Gesetz verstoßen könnte". Im Übrigen wandte sich die Revisionswerberin noch gegen die ihrer Ansicht nach unverhältnismäßige Höhe der Strafe.

3 Dieser Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark

(LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom dahin Folge, dass es die verhängte Geldstrafe auf 500,-- EUR und die Ersatzfreiheitsstrafe auf drei Tage herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass in den (wörtlich wiederholten) Spruch vor dem letzten Wort des ersten Satzes "erleichtert" das Wort "wissentlich" eingefügt wurde. Im Hinblick auf die Reduktion der Strafe nahm das LVwG noch eine darauf Bedacht nehmende Abänderung der behördlichen Kostenentscheidung vor. Schließlich sprach das LVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass eine ordentliche Revision nicht zulässig sei.

4 Das LVwG stellte fest, die Revisionswerberin, die sich als Asylwerberin - ihr Verfahren sei im Beschwerdestadium anhängig - in Österreich aufhalte, sei die Lebensgefährtin des K.O.I.; die beiden gemeinsamen Söhne seien am und am geboren. K.O.I. sei erstmals im Jahr 2013 nach Österreich gekommen, aber nach Ungarn "zurückgeschickt" worden. Im Jahr 2015 sei er in Klagenfurt "im Gefängnis" gewesen. Nach der Haftentlassung, bei der ihm "von Seiten der Polizei" mitgeteilt worden sei, nicht in Österreich bleiben zu dürfen, habe er die Revisionswerberin ein paar Tage in ihrer Wohnung in Graz besucht; danach habe er sich nach Italien begeben. Im Jahr 2016 sei K.O.I. wieder nach Österreich gekommen und habe vom bis gemeinsam mit der Revisionswerberin und "den gemeinsamen Kindern" (richtig: dem gemeinsamen Kind; das zweite Kind war damals noch nicht geboren) in Graz gewohnt. Die Revisionswerberin habe gewusst, dass sich K.O.I. unrechtmäßig in Österreich aufhalte. Trotzdem "versteckte" sie ihn in ihrer Wohnung in Graz, damit er nicht abgeschoben werde.

5 Dazu hielt das LVwG in der Beweiswürdigung fest, die Revisionswerberin habe nicht bestritten, K.O.I. im angeführten Zeitraum in ihrer Wohnung in Graz Unterkunft gewährt zu haben, obwohl ihr bewusst gewesen sei, dass er sich unrechtmäßig in Österreich aufgehalten habe. Sie habe in ihren Befragungen "offen geschildert", ihr sei bekannt gewesen, dass sich K.O.I. nicht habe in Österreich aufhalten dürfen. Sie habe eingeräumt, dass sich K.O.I. nach seiner Wiedereinreise im Jahr 2016 "bei ihr in der Wohnung versteckt habe, da er keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich gehabt habe". Da bereits über einen "Asylantrag" des K.O.I. "negativ" entschieden worden sei, hätten sich die Revisionswerberin und er dazu entschieden, keinen weiteren Antrag (für ihn) zu stellen und "einfach zusammenzuleben, da sie gemeinsame Kinder hätten" und sie mit ihm die "Obsorge und Pflege habe teilen wollen".

6 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wiederholte das LVwG, der Revisionswerberin sei bewusst gewesen, dass sich ihr Lebensgefährte zur Tatzeit illegal in Österreich aufgehalten habe, und - so wurde ergänzend festgestellt - sie habe auch gewusst, dass der illegale Aufenthalt eine aufenthaltsbeendende Maßnahme nach sich ziehe, nachdem - so das LVwG dazu beweiswürdigend - ihr Lebensgefährte "schon vorher" aufgrund einer "negativen Asylentscheidung" das Bundesgebiet habe verlassen müssen und er nach Verbüßung einer Haftstrafe aufgefordert worden sei, Österreich zu verlassen. Dadurch, dass die Revisionswerberin, obwohl sie Kenntnis vom illegalen Aufenthalt ihres Lebensgefährten gehabt habe, ihm Unterkunft gewährt und ihn "vor den Behörden - nach ihren eigenen Angaben - versteckt" habe, habe sie "das Ziel verfolgt, polizeiliche Maßnahmen gegenüber K.O.I. hintanzuhalten, um dessen Abschiebung zu verhindern". Auch wenn im Spruch des Straferkenntnisses das Tatbestandsmerkmal der Wissentlichkeit nicht ausdrücklich angeführt worden sei, so ergebe sich aus der Begründung zweifelsfrei, dass der Revisionswerberin "sowohl vorsätzliches als auch wissentliches Handeln" angelastet worden sei, weshalb der Spruch insoweit zu ergänzen gewesen sei. 7 Des Weiteren begründete das LVwG, dass das in § 120 Abs. 9 FPG für bestimmte nahe Angehörige, unter anderem für Ehegatten, nicht jedoch für Lebensgefährten, verankerte "Privileg" auf die Revisionswerberin nicht anwendbar sei, weil sie "zur Tatzeit" mit K.O.I. nicht verheiratet gewesen sei. Der Gesetzgeber habe bewusst nur jene Angehörigen erfassen wollen, bei denen typischerweise die engste Verbundenheit und größte

Beistandspflicht angenommen werde. Nur dieser Personenkreis - Ehegatten, eingetragene Partner, Eltern und Kinder - solle in diesem Fall keiner Strafsanktion ausgesetzt sein.

8 Schließlich legte das LVwG im Rahmen der Strafbemessung noch dar, weshalb es die Strafe herabsetzte. Im vorliegenden Fall lägen nämlich keine Erschwerungsgründe vor. Als Milderungsgründe seien aber "jedenfalls" das Geständnis, die lange Verfahrensdauer und der Umstand zu werten, dass die Revisionswerberin die ihr zur Last gelegte Verwaltungsübertretung aufgrund der engen Bindung zu ihrem Lebensgefährten und Vater "ihrer beiden Söhne" begangen habe. Angesichts dessen seien die Voraussetzungen nach § 20 VStG gegeben, sodass die Mindeststrafe um die Hälfte unterschritten werden könne.

9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen die Landespolizeidirektion St eiermark eine Revisionsbeantwortung erstattete, erwogen hat:

10 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig, weil sich der Verwaltungsgerichtshof zum Straftatbestand nach § 120 Abs. 3 Z 2 FPG noch nicht geäußert hat. Die Revision ist - wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt - auch berechtigt. 11 Der durch das FrÄG 2009 mit Wirksamkeit ab in den § 120 FPG aufgenommene Abs. 3 Z 2 lautet (seither unverändert):

"(3) Wer

  1. (...)

  2. mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wissentlich erleichtert,

  3. begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen."

  4. 12 Zum Verständnis des Inhalts des in § 120 Abs. 3 Z 2 FPG normierten Straftatbestandes ist eine historische Betrachtung unter Einbeziehung der jeweiligen Gesetzesmaterialien anzustellen. 13 Erstmals war eine inhaltlich ähnliche, jedoch auf Entgeltlichkeit abstellende, am in Kraft getretene Strafnorm im Abs. 1 des mit BGBl. I Nr. 34/2000 eingefügten § 107a FrG 1997 zu finden. Sie lautete unter der Überschrift "Entgeltliche Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt" wie folgt:

"§ 107a. (1) Wer vorsätzlich einem Fremden gegen einen Vermögensvorteil den unbefugten Aufenthalt im Bundesgebiet verschafft oder sonst erleichtert, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen."

Diese Bestimmung galt bis , wobei der Strafrahmen ab mit "bis zu 3.600,-- EUR" festgesetzt wurde. Daneben war in§ 107 Abs. 1 Z 4 FrG 1997 noch vorgesehen, dass eine Verwaltungsübertretung begeht und (nur) mit Geldstrafe bis zu 10.000,-- S bzw. bis zu 726,-- EUR zu bestrafen ist, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.

14 Zu § 107a FrG wurde in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 110 BlgNR 21. GP) zunächst im Allgemeinen Teil (Seite 7) Folgendes festgehalten:

"(...) als Schlepperei definiert und mit gerichtlicher Strafe bedroht.

Daneben sollen durch die Einfügung des § 107a FrG auch jene Fälle einer qualifizierten verwaltungsstrafrechtlichen Sanktion mit Geldstrafe bis zu 50.000 Schilling unterliegen, in denen der Täter einem Fremden gegen Leistung eines Vermögensvorteiles Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt im Bundesgebiet leistet. Diese Norm geht über den Bereich der Schlepperei hinaus und erfasst auch jene Fälle, in denen der Täter den Fremden zB etwa nach einem rechtskräftig verhängten und durchsetzbaren Aufenthaltsverbot oder einer Ausweisung gegen Zuwendung eines Vermögensvorteil versteckt.

Soweit nicht diese beiden erstgenannten Regelungen greifen, bleibt die Strafbarkeit wegen ‚bloßer' (ohne Zuwendung eines Vermögensvorteiles) Beihilfe (§ 7 VStG) zu unbefugtem Aufenthalt nach § 107 FrG bestehen. Hiebei ist an jenen Fall zu denken, bei dem zB der aufenthaltsberechtigte Vater seinen nicht aufenthaltsberechtigten Sohn (sofern dies ohne einen Vermögensvorteil geschieht) in das Bundesgebiet mitnimmt."

15 Im Besonderen Teil der genannten ErläutRV (Seite 11 f) wurde die Einfügung des § 107a Abs. 1 FrG 1997 dann wie folgt begründet:

"(...) Um den Anforderungen der Praxis gerecht zu werden, bedürfen die Verwaltungsstraftatbestände des FrG einer differenzierenden Betrachtung. Es wird nunmehr unter den Verwaltungsübertretungen des FrG insofern differenziert, als die Beihilfe (§ 7 VStG) zu unbefugtem Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Leistung eines Vermögensvorteiles weiterhin durch § 107 Abs. 1 Z 4 FrG als Verwaltungsübertretung strafbar bleibt.

In den Fällen der Leistung eines Vermögensvorteiles wird dieser gesamte Bereich nunmehr nach § 107a qualifiziert strafbar und geht zudem über die Schlepperei insofern hinaus, als auch jene Fälle erfasst sind, in denen der Täter zB den Fremden im Bundesgebiet etwa auch nach einer rechtskräftig verhängten und durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen Leistung eines Vermögensvorteiles versteckt.

Der Fremde, dem der unbefugte Aufenthalt verschafft wird, ist nicht wegen Beihilfe oder Anstiftung strafbar (Abs. 3), die Strafbarkeit wegen unbefugten Aufenthaltes nach § 107 Abs. 1 FrG bleibt jedoch bestehen."

16 Mit Inkrafttreten des Fremdenrechtspaketes 2005 am wurde der Inhalt des § 107a Abs. 1 FrG 1997, leicht abgeändert, in den Abs. 2 des § 115 FPG transferiert. Unter einem wurde im Abs. 1 ein weiterer - ebenfalls wie der neue Abs. 2 in die Zuständigkeit der Gerichte (nach Abs. 5: der Gerichtshöfe erster Instanz) fallender - Straftatbestand eingeführt. Dabei handelt es sich um die unmittelbare Vorgängerregelung des geltenden § 120 Abs. 3 Z 2 FPG. Gleichzeitig war weiterhin, nunmehr in § 120 Abs. 1 Z 2 FPG, die Bestrafung mit Geldstrafe bis zu 2.180,- EUR wegen Begehung einer Verwaltungsübertretung vorgesehen, wenn sich ein Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Die Abs. 1 und 2 des in dieser Form bis geltenden § 115 FPG lauteten unter der Überschrift "Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt" wie folgt:

"§ 115. (1) Wer mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union erleichtert, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Jedenfalls nicht rechtswidrig handelt, wer ausschließlich Tätigkeiten im Rahmen seiner Berufspflichten als Rechtsanwalt ausübt. Gleiches gilt für andere in die Verteidigerliste eingetragene Personen.

(2) Wer mit dem Vorsatz, sich oder einen Dritten durch ein dafür geleistetes, nicht bloß geringfügiges Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union erleichtert, ist vom Gericht mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen."

17 Zu § 115 Abs. 1 FPG wurde in den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 952 BlgNR 22. GP) zunächst im Allgemeinen Teil (Seite 9) unter der Überschrift "Überarbeitung, Anpassung und Neuschaffung gerichtlicher Straftatbestände" Folgendes festgehalten:

"Die Vereinheitlichung der Zuständigkeit zur Führung der Strafverfahren wegen Schlepperei durch die Zuweisung der Begehung des Grundtatbestandes an die Gerichtshöfe erster Instanz trägt den grundsätzlichen Intentionen des Entwurfes zur Schaffung eines effizienten Maßnahmenpakets gegen das Schlepperunwesen Rechnung.

Aus denselben Erwägungen wird vorgeschlagen, den Tatbestand der entgeltlichen Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt nunmehr gerichtlich strafbar zu machen, wobei die Beihilfe (§ 7 VStG) zu unbefugten Aufenthalt im Bundesgebiet ohne Leistung eines Vermögensvorteils weiterhin durch § 120 als Verwaltungsübertretung strafbar bleiben soll. Gerichtlich strafbar soll allerdings sein, wenn ein Fremder dem Zugriff der Behörden entzogen wird."

18 Im Besonderen Teil der genannten ErläutRV zum Fremdenrechtspaket 2005 (Seite 112) heißt es dann:

"§ 115 entstand aus § 107a Fremdengesetz 1997.

Abs. 1 stellt unter Strafe, wer einem Fremden den unbefugten Aufenthalt erleichtert, um ein behördliches Verfahren - also Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung, eines Aufenthalts- oder eines Rückkehrverbotes - zu erschweren oder recht(s)widrig eine faktische, behördliche angeordnete Maßnahme - also eine Zurückschiebung, Abschiebung oder Durchbeförderung - hintanzuhalten. Im Gegensatz zu Erschweren ist Hintanhalten eine zumindest über längere Zeit anhaltende Vereitelung. Nicht rechtswidrig sind humanitäre Zuwendungen an einen Fremden oder Rechtshilfe. Hingegen ist etwa das Verstecken eines Fremden in einer Wohnung, wenn es mit dem Ziel verfolgt wird, die polizeiliche Maßnahme hintanzuhalten oder ein behördliches Verfahren zu verhindern, mit Strafe bedroht."

19 Dazu ist anzumerken, dass in den zitierten Materialien noch auf die Vorsatzform der Absicht ("um") abgestellt wurde, weil dies im Gesetzestext in der Fassung der Regierungsvorlage noch so vorgesehen war. Nach der endgültigen, oben wiedergegebenen Fassung genügt ein beim Täter vorliegender (bedingter) Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen oder deren Durchsetzung hintanzuhalten. Soweit die Materialien in Bezug auf die Verfahrensverzögerung im Übrigen auf ein bloßes "Erschweren", statt auf "Hintanhalten" abstellen, widerspricht dies im Übrigen dem Gesetzestext.

20 Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass damals gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG wegen einer Verwaltungsübertretung (nur) mit Geldstrafe bis zu 2.180,- EUR zu bestrafen war, wer es einem Fremden im Sinne des § 7 VStG vorsätzlich erleichterte, sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufzuhalten. Mit (primärer) Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen war gemäß § 115 Abs. 1 FPG vom Gericht zu bestrafen, wer mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den "unbefugten" Aufenthalt insbesondere in Österreich erleichterte. Der größere Unrechtsgehalt und die demzufolge strengere Sanktion dieses gerichtlich strafbaren Deliktes gegenüber der zuvor genannten Verwaltungsübertretung ergeben sich aus dem vom Vorsatz des Täters umfassten Umstand, dass der Fremde - wie es in den in Rn. 17 (am Ende) zitierten ErläutRV in Verbindung mit der aus Rn. 19 ersichtlichen Einschränkung heißt - "dem Zugriff der Behörden entzogen wird", womit gemeint ist, dass "das", somit ein bestimmtes, Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, wie insbesondere (damals) einer Ausweisung, eines Aufenthaltsverbotes oder eines Rückkehrverbotes, oder "rechtswidrig eine faktische, behördliche angeordnete Maßnahme", wie etwa eine Zurückschiebung, Abschiebung oder Durchbeförderung, "hintangehalten", also "über längere Zeit vereitelt" werden. Noch strenger, nämlich mit (primärer) Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen, war vom Gericht nach § 115 Abs. 2 FPG zu bestrafen, wer mit Bereicherungsvorsatz gegen ein nicht bloß geringfügiges Entgelt einem Fremden den "unbefugten" Aufenthalt insbesondere in Österreich erleichterte.

21 Mit dem FrÄG 2009 wurde der Abs. 1 des § 115 FPG - abgesehen von der nun geforderten Wissentlichkeit in Bezug auf die Erleichterung des unbefugten Aufenthalts - inhaltsgleich als (bloße) Verwaltungsübertretung in den § 120 Abs. 3 Z 2 FPG aufgenommen. Insoweit sind die unten zitierten ErläutRV missverständlich, wo von einer Umwandlung in einen gerichtlichen Straftatbestand die Rede ist. Der bisherige Abs. 2 des § 115 FPG wurde - ebenfalls mit Wirksamkeit ab - zu dessen Abs. 1; insoweit blieb es bei der Gerichtszuständigkeit. 22 Zu § 120 Abs. 3 Z 2 FPG führten die ErläutRV zum FrÄG 2009 (330 BlgNR 24. GP 37) Folgendes aus:

"Der neue Abs. 3 bildet in Z 1 den bisherigen § 114 Abs. 1 und in Z 2 den bisherigen § 115 Abs. 1 inhaltlich ab. Wie im neuen Abs. 2 werden auch hier zwei verwaltungsrechtliche

Straftatbestände in gerichtliche Straftatbestände umgewandelt, was aus dem Blickwinkel des Rechtsgüterschutzes und des Prinzips, Kriminalstrafrecht als ‚ultima ratio' einzusetzen, sachgerecht ist (vgl. dazu wiederum Reindl-Krauskopf/Grafl, Kriminalität nicht integrierter Ausländer, 17. ÖJT Band IV/1 (S. 60 und 74)). In der Z 2 wird nunmehr im Hinblick auf die Erleichterung des unbefugten Aufenthalts Wissentlichkeit gefordert. Der Strafrahmen des neuen Abs. 3 orientiert sich an der neuen Systematik der Verwaltungsstrafen im Fremdenrecht und wird mit Geldstrafe von 1.000 Euro bis zu 5.000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, angesetzt."

23 Aus den sich auf § 115 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) beziehenden Gesetzesmaterialien ergibt sich, dass von diesem Straftatbestand, wie erwähnt, nur Fälle erfasst werden sollten, in denen der Vorsatz des Täters darauf gerichtet ist, den Fremden dem Zugriff der Behörden zu entziehen und dadurch entweder ein bestimmtes behördliches Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder eine "faktische behördliche angeordnete Maßnahme", wie etwa eine Abschiebung, hintanzuhalten. Nur dann wird mit dem "Verstecken" in einer Wohnung der Straftatbestand erfüllt. Da sich der nunmehrige Verwaltungsstraftatbestand des § 120 Abs. 3 Z 2 FPG (idF des FrÄG 2009) im Wesentlichen inhaltlich mit § 115 Abs. 1 FPG (in der Stammfassung) deckt, gelten die diesbezüglichen Ausführungen in den ErläutRV auch für die Nachfolgeregelung.

24 Davon ausgehend ist im vorliegenden Fall zunächst zu kritisieren, dass im Spruch weder von der Behörde noch vom LVwG eine Subsumtion dahin erfolgte, ob die Revisionswerberin den Vorsatz hatte, ein Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, oder den Vorsatz hatte, die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten. Das rügt die Revision zu Recht. Aus der Begründung ergibt sich jedoch, dass gegenständlich nur Letzteres zur Debatte stand, zumal das LVwG an zwei Stellen seines Erkenntnisses davon ausging, die Revisionswerberin habe ihren Lebensgefährten in ihrer Wohnung versteckt, "damit er nicht abgeschoben wurde" (Seite 4) bzw. "um dessen Abschiebung zu verhindern" (Seite 8). Das wird auch in der Revisionsbeantwortung so gesehen (siehe Seite 9, vorletzter Absatz).

25 Allerdings bemängelt die Revision in diesem Zusammenhang des Weiteren zutreffend, dass sich dem angefochtenen Erkenntnis keine konkreten Feststellungen zum Vorliegen eines die Abschiebung des K.O.I. rechtfertigenden wirksamen Titels, also das Vorliegen einer (damals) durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme, entnehmen lassen. Es wurde zwar rudimentär festgestellt, nach der erstmaligen Einreise des K.O.I. nach Österreich "im Jahr 2013" sei er aufgrund einer "negativen Asylentscheidung" nach Ungarn "zurückgeschickt" worden. Das könnte indizieren, dass ein von K.O.I. im Laufe des Jahres 2013 in Österreich gestellter Antrag auf internationalen Schutz wegen der Zuständigkeit Ungarns gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurückgewiesen und damit eine Ausweisung nach Ungarn verbunden worden sei. Mangels Feststellung des Zeitpunkts der Ausreise des K.O.I nach Ungarn lässt sich aber nicht sagen, dass diese aufenthaltsbeendende Maßnahme während des angelasteten Tatzeitraums vom bis noch wirksam war, weil sie gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 (nur) "binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht" blieb. Das hätte somit vorausgesetzt, dass einer solchen Ausweisung (bezogen auf den Beginn des Tatzeitraums) erst nach dem bzw. (bezogen auf das Ende des Tatzeitraums) am oder später durch Ausreise nach Ungarn entsprochen worden wäre. Das kann aber nicht unterstellt werden, weil das LVwG für das Jahr 2015 - allerdings wieder ohne Anführung näherer Daten - feststellte, K.O.I. habe sich in Klagenfurt "im Gefängnis" befunden und er sei nach der Haftentlassung nach Italien ausgereist. Für die der Revisionswerberin zur Last gelegte Vollendung des Tatbestandes nach § 120 Abs. 3 Z 2 FPG reichte es aber jedenfalls nicht aus, dass sie allenfalls den Vorsatz hatte, eine Abschiebung hintanzuhalten, für die es damals aber tatsächlich gar keinen durchsetzbaren Titel gab (siehe in diesem Sinn auch Tipold in Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum StGB, Rz. 29 zu § 115 FPG).

26 Auf Basis der getroffenen Feststellungen wurde der Revisionswerberin somit zu Unrecht die Verwirklichung des Tatbestandes des § 120 Abs. 3 Z 2 FPG in Form der Vollendung dieses Deliktes angelastet. Schon deshalb war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Im vorliegenden Fall stellt sich daher nicht die in der Revision des Weiteren relevierte Frage, ob § 120 Abs. 9 FPG gleichheitswidrig ist, weil diese Bestimmung zwar eine Ausnahme von der Strafbarkeit nach Abs. 3 für bestimmte nahe Angehörige des begünstigten Fremden, insbesondere für dessen Ehegatten oder eingetragenen Partner, nicht jedoch für deren Lebensgefährten normiert. Bei diesem Ergebnis braucht im Übrigen auch nicht weiter geprüft werden, ob im Hinblick auf die fallbezogen vorliegenden konkreten familiären Verhältnisse, unter denen die Revisionswerberin ihrem Lebensgefährten den Aufenthalt in ihrer Wohnung hätte untersagen müssen, schon wegen der dadurch bestehenden emotionalen Zwangslage nach allgemeinen Gesichtspunkten vom Vorliegen eines Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG hätte ausgegangen und von einer Bestrafung abgesehen werden müssen.

27 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019210097.L00
Schlagworte:
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete

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