VwGH vom 15.01.2008, 2006/15/0219
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kinsky, über die Beschwerde des Dr. H M in K, vertreten durch Dr. Franz Klein, Wirtschaftsprüfer in 1080 Wien, Pfeilgasse 16/23, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0222- W/06, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1989 bis 2000, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer übte bis Ende des Jahres 1975 eine nicht selbständige Tätigkeit aus. Seit Jänner 1976 war er selbständig tätig, und zwar als Journalist und als Herausgeber einer Zeitschrift im Selbstverlag.
Beginnend mit dem Jahr 1976 leistete der Beschwerdeführer "Beiträge zur freiwilligen Weiterversicherung" an die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. Diese Beiträge machte er bis einschließlich 2000 als Sonderausgaben geltend.
Im Jahr 2001 teilte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten dem Beschwerdeführer mit, dass er seit nach dem gewerblichen Sozialversicherungsgesetz (GSVG) pflichtversichert gewesen sei, und verständigte ihn von der rückwirkenden Einbeziehung in die GSVG-Pflichtversicherung ab . Mit Schreiben vom teilte die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) mit, dass die von Jänner 1976 bis Oktober 2000 entrichteten Beiträge zur Weiterversicherung im Gesamtbetrag von 1.787.650,90 S dem bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten für die SVA geführten Verrechnungskonto gutgeschrieben würden. Mit Schreiben vom informierte die SVA den Beschwerdeführer über die Berechnung der Pflichtbeiträge für die Jahre ab 1976, die Verrechnung mit dem Guthaben aus den Einzahlungen an die Sozialversicherungsanstalt der Angestellten und die Rückzahlung des Überschusses. Tatsächlich wurde das nach Verrechnung mit den für die Jahre 1976 bis 2001 angefallenen Pflichtbeiträgen verbleibende Guthaben in Höhe von 679.031,98 S im Jahr 2001 an den Beschwerdeführer ausbezahlt.
Gegen den Einkommensteuerbescheid 2001, mit welchem das Finanzamt den rückgezahlten Betrag der Besteuerung unterzog, erhob der Beschwerdeführer Berufung. Der unabhängige Finanzsenat gab der Berufung mit Berufungsentscheidung vom Folge. Dies mit der Begründung, dass das Einkommensteuergesetz für den vorliegenden Fall einer Rückzahlung von Beiträgen zu einer freiwilligen Weiterversicherung keinen Nachversteuerungstatbestand kenne. Die Berufungsentscheidung schied daher den rückgezahlten Betrag aus der Steuerbemessungsgrundlage aus und berücksichtigte gleichzeitig die Beitragsnachzahlung an die SVA in Höhe von 1.108.618,92 S als (zusätzliche) Betriebsausgabe im Rahmen der gemäß § 4 Abs 3 EStG ermittelten Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Gleichzeitig verwies der unabhängige Finanzsenat darauf, dass nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten die Veranlagung der Jahre, in denen die Zahlung der Versicherungsbeiträge jeweils erfolgt sei, zu korrigieren sei.
Gestützt auf § 295a BAO änderte das Finanzamt in der Folge die Einkommensteuerbescheide der Jahre 1989 bis 2000 und ließ die für diese Jahre unter dem Titel der freiwilligen Weiterversicherung als Sonderausgaben geltend gemachten Beträge nicht mehr zum Abzug zu.
In der gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide erhobenen Berufung wandte der Beschwerdeführer ein, dass eine Änderung gemäß § 295a BAO nach Eintritt der Verjährung nicht mehr zulässig sei. Die Verjährungsfrist betrage fünf Jahre und beginne mit Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden bzw. eine Unterbrechung eingetreten sei. Hinsichtlich der Einkommensteuer für die Jahre 1989 bis 1996 sei bereits Verjährung eingetreten. Zudem seien die Voraussetzungen des § 295a BAO auch dem Grund nach nicht erfüllt. Unter einem Ereignis im Sinne des § 295a BAO seien nur sachverhaltsändernde Geschehnisse zu verstehen. Es müsse sich um ein tatsächliches Ereignis handeln, welches ein anderes tatsächliches Ereignis verändere. Der Beschwerdeführer habe fälschlicherweise Beiträge für die freiwillige Weiterversicherung entrichtet. Die Tatsache, dass eine Pflichtversicherung bestehe, welche die freiwillige Weiterversicherung ex lege verdränge, sei immer gegeben gewesen. Geändert habe sich lediglich die rechtliche Beurteilung der vom Beschwerdeführer bezahlten Beträge. Die Berichtigung einer bisher falschen rechtlichen Beurteilung ein und derselben Tatsache stelle kein sachverhaltsänderndes Ereignis im Sinne der genannten Bestimmung dar.
Gesetzliche Grundlage für die Geltendmachung von Versicherungsbeiträgen sei § 18 EStG. Dieser Vorschrift müsse entnommen werden, ob ein Ereignis den Abgabenanspruch rückwirkend verändern könne. Eine rückwirkende Berücksichtigung von Ereignissen sei im § 18 EStG jedoch nicht vorgesehen. Die Vorschrift des § 295a BAO sei daher nicht anwendbar.
In der die Berufung abweisenden Berufungsvorentscheidung verwies das Finanzamt bezüglich der Verjährung auf die Bestimmung des § 208 Abs. 1 lit. e BAO, wonach die Verjährung mit Ablauf des Jahres beginne, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten sei. Dies sei konkret das Jahr 2001, in dem die Versicherung entschieden habe, dass der Beschwerdeführer seit 1976 pflichtversichert und deshalb die freiwillige Weiterversicherung zu stornieren sei. Somit sei noch keine Verjährung eingetreten. In der Stornierung der freiwilligen Weiterversicherung liege ein sachverhaltsänderndes Geschehen. Die Auflösung eines bestehenden Vertrages sei ein rechtlich relevanter Sachverhalt. Durch dieses rückwirkende Ereignis seien die Voraussetzungen des § 18 EStG nicht mehr gegeben gewesen.
Im Vorlageantrag brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass die Finanzbehörde die Zahlungen irrtümlich als Sonderausgaben gemäß § 18 EStG betrachtet habe. Der ursprüngliche Sachverhalt, nämlich die Zahlungen des Beschwerdeführers an die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, habe sich bis dato nicht geändert. Geändert habe sich nur die rechtliche Beurteilung dieser Zahlungen. Es sei erkannt worden, dass der Beschwerdeführer nach dem GSVG pflichtversichert sei. Daraus habe sich ergeben, dass die Zahlungen des Beschwerdeführers nicht unter § 17 ASVG fielen. Hätte das Finanzamt den ursprünglichen Sachverhalt richtig beurteilt, so wäre überhaupt keine Rückabwicklung erforderlich gewesen. Dass sich die Finanzbehörde auf die rechtliche Beurteilung einer anderen Behörde verlassen habe, enthebe sie nicht von ihrer Verantwortung der richtigen rechtlichen Beurteilung.
In der am abgehaltenen Berufungsverhandlung brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, dass die Weiterversicherung nicht "storniert" worden sei, sondern ohne Zutun des Beschwerdeführers ex lege weggefallen sei. Die Weiterversicherung habe nicht auf einem Vertrag beruht, sondern auf dem Gesetz. Der vorliegende Fall betreffe die Aufdeckung einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung und sei nicht vergleichbar mit der vom Schrifttum als Beispiel eines rückwirkenden Ereignisses genannten späteren Vergütung von als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Kosten. Der Vertreter des Finanzamtes führte u.a. aus, für das Finanzamt habe sich durch die abweichende Vorfragenbeurteilung eine konstitutiv andere Rechtslage ergeben. Durch die Änderung der gegenständlichen Bescheide sei die richtige Rechtslage hergestellt worden.
Die belangte Behörde wies die Berufung mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. Erhalte der Steuerpflichtige Sonderausgaben in einem späteren Jahr zurück, weil die Zahlung seinerzeit irrtümlich oder zu Unrecht erfolgt sei, habe bereits die Zahlung nicht die Voraussetzungen des entsprechenden Sonderausgabentatbestandes erfüllt. Die Sonderausgabe sei zu Unrecht geltend gemacht worden. Nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Möglichkeiten sei daher die Veranlagung des Jahres, in dem die Zahlung erfolgt sei, zu korrigieren.
Mit der Gutschrift bzw. Rückerstattung der von Jänner 1976 bis Oktober 2000 unter dem Titel der freiwilligen Weiterversicherung entrichteten Beiträge an den Beschwerdeführer sei ein Ereignis eingetreten, welches im Sinne des § 295a BAO abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit habe. Es gehe dabei nicht um eine Änderung der rechtlichen Beurteilung eines unverändert gebliebenen Sachverhaltes. Entscheidendes Ereignis sei vielmehr die Tatsache der Rückerstattung der in den Jahren 1976 bis 2000 geleisteten Beiträge. Mit dieser im Jahr 2001 erfolgten Rückerstattung sei das für die Berücksichtigung von Sonderausgaben im § 18 Abs 1 EStG normierte Tatbestandsmerkmal des Vorliegens von "Ausgaben" weggefallen. Dieses Ereignis habe abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit, weil sich auf Grund der Rückerstattung herausgestellt habe, dass es in den betreffenden Jahren hinsichtlich der jeweils geleisteten Beiträge an einer tatsächlichen und endgültigen wirtschaftlichen Belastung für den Beschwerdeführer fehle.
Für Abänderungen nach § 295a BAO sei in § 208 BAO ein spezieller Verjährungsbeginn vorgesehen. Da das konkret für eine Änderung nach § 295a BAO Anlass gebende Ereignis, nämlich die Rückerstattung der in Vorjahren als Sonderausgaben abgesetzten Beträge, im Jahr 2001 eingetreten sei, sei die Verjährungsfrist bei Erlassung der angefochtenen Bescheide im November 2004 noch nicht abgelaufen gewesen.
Gegen diesen Bescheid wendet sich die Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 18 Abs 1 Z 2 EStG 1988 zählen Beiträge zu einer freiwilligen Pensionsversicherung zu den Sonderausgaben.
§ 18 Abs 3 Z 2 EStG 1988 (Stammfassung) lautete auszugsweise:
"a) Für Ausgaben im Sinne des Abs 1 Z 2 bis 4 mit Ausnahme der Beiträge für eine freiwillige Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung (...) besteht ein einheitlicher Höchstbetrag von 40 000 S jährlich. ..."
Gemäß § 2 Abs 1 Z 1 des Bundesgesetzes vom über die Sozialversicherung der in der gewerblichen Wirtschaft selbständig Erwerbstätigen (Gewerbliches Sozialversicherungsgesetz - GSVG), BGBl. Nr. 560/1978, sind die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft in der Pensionsversicherung pflichtversichert. Gemäß § 3 Abs. 3 Z 3 legt cit (in der Stammfassung) erfasste die Pflichtversicherung auch "die freiberuflich tätigen Journalisten, wenn diese Erwerbstätigkeit ihren Hauptberuf und die Hauptquelle ihrer Einnahmen bildet".
Gemäß § 17 Abs 1 ASVG können sich Personen unter bestimmten Umständen, solange sie nicht in einer gesetzlichen Pensionsversicherung pflichtversichert sind, in der Pensionsversicherung (freiwillig) weiterversichern.
Strittig ist gegenständlich die Anwendung des durch das Abgabenänderungsgesetz 2003, BGBl. I Nr. 2003/124, in die BAO eingefügten § 295a BAO. Diese Bestimmung lautet:
"Ein Bescheid kann auf Antrag der Partei (§ 78) oder von Amts wegen insoweit abgeändert werden, als ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umfang eines Abgabenanspruches hat."
§ 295a BAO ist ein Verfahrenstitel zur Durchbrechung der (materiellen) Rechtskraft von Bescheiden. Diese Bestimmung stellt darauf ab, dass sich aus Abgabenvorschriften die rückwirkende Bedeutsamkeit von nach Bescheiderlassung verwirklichten Sachverhaltselementen ergibt. Es normieren also die materiellen Abgabenvorschriften, welchen Ereignissen Rückwirkung zukommt (vgl. Ritz, BAO3, § 295a Tz 3 f). Sehen Abgabenvorschriften eine Rückwirkung vor, ist nach § 295a BAO insoweit eine Änderung von Bescheiden möglich, als das nachträglich eingetretene Ereignis rückwirkend Auswirkungen auf Bestand und Umfang eines Abgabenanspruches zeitigt.
Eine Vorfrage ist eine Frage, deren Beantwortung ein unentbehrliches Tatbestandselement für die Entscheidung der Hauptfrage im konkreten Rechtsfall bildet, ein vorweg zu klärendes rechtliches Moment, das für sich allein Gegenstand einer bindenden Entscheidung einer anderen Behörde ist (vgl. Ritz, BAO3, Tz 1 zu § 116).
Die belangte Behörde führt im angefochtenen Bescheid aus, wenn der Steuerpflichtige die Sonderausgaben in einem späteren Veranlagungszeitraum zurückerhalte, weil die Zahlung irrtümlich oder zu Unrecht erfolgt sei, habe bereits die Zahlung nicht die Voraussetzungen der entsprechenden Sonderausgabe erfüllt. Die Sonderausgaben seien im gegenständlichen Fall zu Unrecht geltend gemacht worden. Als Ereignis, auf welches die Änderung nach § 295a BAO gestützt wird, führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Tatsache der Rückzahlung der Beiträge (im Jahr 2001) an. Im Hinblick auf die Rückzahlung sei ein Tatbestandsmerkmal des Sonderausgabenabzugs, nämlich das Vorliegen von "Ausgaben", nicht mehr erfüllt.
Im gegenständlichen Fall ist davon auszugehen, dass das Finanzamt bereits bei der ursprünglichen Veranlagung des Beschwerdeführers zur Einkommensteuer für die Streitjahre die Vorfrage zu beurteilen hatte, ob es sich bei den als Sonderausgaben geltend gemachten Zahlungen um Beiträge an eine freiwillige Pensionsversicherung gehandelt hat (enthält doch der angefochtene Bescheid keinen Hinweis darauf, dass die zuständige Behörde bescheidmäßig über das Vorliegen einer freiwilligen Weiterversicherung iSd § 17 ASVG abgesprochen hätte).
Die Pflichtversicherung nach dem GSVG schließt eine freiwillige Weiterversicherung nach § 17 ASVG aus. Im Beschwerdefall hat sich nachträglich herausgestellt, dass wegen des Vorliegens einer gesetzlichen Versicherungspflicht nach dem GSVG keine freiwillige Weiterversicherung iSd § 17 ASVG bestanden hat.
Vor diesem Hintergrund führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, die Zahlungen seien seinerzeit zu Unrecht als Sonderausgaben geltend gemacht worden. In der Tat ist die den seinerzeitigen Veranlagungen zu Grunde liegende Beurteilung der in Rede stehenden Zahlungen als Sonderausgaben iSd § 18 Abs 1 Z 2 EStG 1988 (Beiträge zu einer freiwilligen Pensionsversicherung) unrichtig gewesen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung nicht vorgelegen sind.
Sind die Zahlungen aber bereits seinerzeit zu Unrecht als Sonderausgaben abgezogen worden, hätten sie also bei richtiger rechtlicher Beurteilung niemals als Sonderausgaben Berücksichtigung finden dürfen, so ist es ausgeschlossen, dass die Unmöglichkeit einer Absetzung dieser Zahlungen als Sonderausgabe erst die Folge der nach Ablauf der Veranlagungsjahre erfolgten Rückzahlungen ist.
Die belangte Behörde hat daher, indem sie die Tatsache der Rückzahlung der Beträge als rückwirkendes Ereignis iSd § 295a BAO qualifiziert hat, die Rechtslage verkannt.
Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am