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VwGH vom 10.02.2016, 2013/15/0236

VwGH vom 10.02.2016, 2013/15/0236

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Tanzer, über die Beschwerde des R M in A, vertreten durch Mag. Gerd Weidacher, Rechtsanwalt in 8200 Gleisdorf, Business Park 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom , Zl. RV/0677-G/11, betreffend Einkommensteuer 2009, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer erzielte im streitgegenständlichen Jahr 2009 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Geschäftsführer. Sein Familienwohnsitz, an dem er seit rund 20 Jahren mit Ehefrau und behinderter Tochter lebt, befindet sich in K. Sein Beschäftigungsort liegt im 115 km vom Familienwohnsitz entfernten B, wo der Beschwerdeführer auch einen Zweitwohnsitz unterhält.

In seiner Einkommensteuererklärung für 2009 machte der Beschwerdeführer Werbungskosten für Familienheimfahrten in Höhe von 3.372 EUR und für doppelte Haushaltsführung in Höhe von

4.800 EUR (Miete, Betriebskosten) geltend.

Das Finanzamt anerkannte im Einkommensteuerbescheid 2009 die geltend gemachten Aufwendungen nicht, weil die tägliche Rückkehr vom Beschäftigungsort an den Familienwohnsitz bei einer Entfernung von weniger als 120 km zumutbar sei.

In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer vor, dass seine tägliche Arbeitszeit als Geschäftsführer ein Ausmaß von bis zu 12 Stunden erreiche und es unzumutbar sei, neben dieser Arbeitszeit täglich eine Strecke von rund 230 km zurückzulegen, da unter diesen Umständen eine sichere und konzentrierte Autofahrt über diese Entfernung nicht gewährleistet sei.

In einem Erörterungsgespräch vor der belangten Behörde führte der Beschwerdeführer aus, er habe im Streitjahr den Standort eines Konzerns mit über 30.000 Mitarbeitern weltweit in Österreich geleitet und sei für den Aufbau von Betriebsstätten in Osteuropa verantwortlich gewesen. Bezüglich seiner täglichen Arbeitszeit gab der Beschwerdeführer bekannt, dass er verpflichtet gewesen sei, Überstunden zu leisten, über die es aber, da sie pauschaliert abgegolten worden seien, keine Aufzeichnungen gebe. Seine Arbeitszeit habe üblicherweise von 7 Uhr in der Früh bis 19 oder 20 Uhr am Abend gedauert, an einzelnen Tagen auch bis 21 oder 22 Uhr. Die Wohnung sei auch deshalb notwendig gewesen, weil er nach diesen Arbeitstagen häufig noch Abendtermine mit Geschäftspartnern und Kunden habe absolvieren müssen, bei denen auch Alkoholika konsumiert worden seien. Ein weiterer Grund für die Wohnung in B sei, dass der Beschwerdeführer Dienstreisen mit dem Flugzeug unternommen habe und der Flughafen von seinem Familienwohnsitz nur schwer zu erreichen sei.

Die Fahrten zwischen der Familienwohnung und der Arbeitsstätte des Beschwerdeführers hätten am Abend eine Stunde gedauert. Am Morgen hätte die Fahrt bei sehr früher Abfahrt eine Stunde und fünfzehn Minuten, bei späterer Abfahrt zwei bis zweieinhalb Stunden in Anspruch genommen. Für die Fahrten zu seiner Familie sei ihm das Firmenauto zur Verfügung gestanden. Die Wohnung in B habe er selbst finanzieren müssen.

Im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit sei er rund 50.000 bis 60.000 km im Jahr mit dem Auto unterwegs gewesen. Die zusätzlichen Fahrten zwischen seinem Familienwohnsitz und dem Arbeitsort hätten eine große gesundheitliche Belastung dargestellt, zumal der Beschwerdeführer bereits einen Bandscheibenvorfall erlitten habe. Es sei ihm ein großes Anliegen, die eigene Gesundheit im Hinblick auf die Betreuung seiner behinderten Tochter möglichst lange zu erhalten. Mit der ganzen Familie umzuziehen, sei für den Beschwerdeführer schon deshalb nicht in Frage gekommen, weil seine berufliche Situation zu unsicher gewesen sei und er seine Familie nicht entwurzeln habe wollen. Zudem sei seine Ehefrau als Diplomkosmetikerin tätig und führe ihren Betrieb vom Familienwohnsitz aus.

Die belangte Behörde wies die Berufung ab und führte begründend aus, dass von einer beruflichen Veranlassung einer doppelten Haushaltsführung dem Grund nach nur dann auszugehen sei, wenn der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen so weit von seinem Beschäftigungsort entfernt sei, dass ihm die tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden könne bzw. die Wohnsitzverlegung nicht zumutbar sei. Entscheidend für die Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr sei nach der Rechtsprechung die Fahrzeit. Der Verwaltungsgerichtshof habe in Fällen, in denen die Entfernung zwischen Familienwohnsitz und Beschäftigungsort 78 km bzw. 83 km betragen habe, eine Fahrzeit von jeweils rund einer Stunde als zumutbar angesehen. Die gegenständliche Fahrzeit von einer Stunde bzw. einer Stunde und fünfzehn Minuten sei ebenfalls noch als zumutbar anzusehen. Da der Beschwerdeführer als leitender Angestellter seinen Dienstbeginn selbst habe festlegen können, sei es ihm zuzumuten gewesen, seine Abfahrtszeiten so zu wählen, dass er den Verkehrsspitzenzeiten ausweiche. Eine Entfernung von 115 km zwischen Familienwohnsitz und Beschäftigungsort und die aufgrund der gegebenen Verkehrsverhältnisse damit verbundenen Fahrzeiten von einer Stunde bzw. fünf Viertelstunden sprächen somit nicht gegen die Zumutbarkeit der täglichen Rückkehr des Beschwerdeführers an seinen Familienwohnsitz.

Der Einwand des Beschwerdeführers, wonach es ihm nicht zumutbar sei, nach elf- bis zwölfstündigen Arbeitstagen noch eine Stunde mit dem Auto nach Hause zu fahren, ändere an diesem Ergebnis nichts. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei die tägliche Rückkehr an den Familienwohnsitz zumutbar, wenn zumindest im Regelfall eine Ruhezeit von mehr als acht Stunden eingehalten werden könne. Diese Voraussetzung sei bei einem elf bis zwölf Stunden dauernden Arbeitstag unter Berücksichtigung der Fahrzeiten erfüllt. Dass seine Arbeitstage im Regelfall länger dauerten, habe der Beschwerdeführer nicht behauptet.

Dem Einwand, die täglichen Autofahrten seien dem Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar, stehe nach Ansicht der belangten Behörde entgegen, dass die berufliche Tätigkeit des Beschwerdeführers Autofahrten von jährlich rund 50.000 km erfordert habe. Es sei dem Beschwerdeführer zuzugestehen, dass zusätzliche Autofahrten eine Belastung sein könnten, sein gesundheitlicher Zustand habe langen Autofahrten jedoch offenbar nicht grundsätzlich entgegengestanden.

Bei dieser Sachlage komme es nicht mehr darauf an, ob die Ehefrau des Beschwerdeführers am Familienwohnsitz nennenswerte Einkünfte erzielt habe und sich die Tochter während der Woche an einem Betreuungsplatz am Familienwohnsitz aufgehalten habe und damit die Voraussetzungen der Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung erfüllt seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bringt vor, die von der belangten Behörde genannte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2008/15/0239, wonach die tägliche Rückkehr an den Familienwohnsitz zumutbar sei, wenn zumindest im Regelfall eine Ruhezeit von mehr als acht Stunden eingehalten werden könne, sei im gegenständlichen Fall nicht anwendbar. In der Regel habe der Beschwerdeführer zweimal wöchentlich an Abendterminen mit Geschäftspartnern und Kunden teilzunehmen gehabt, sodass seine Arbeitszeit an diesen Tagen bis 22.00 Uhr gereicht habe. Zudem sei es notwendig, dass der Beschwerdeführer, weil er vor mehreren Jahren einen Bandscheibenvorfall erlitten habe, täglich 30 bis 60 Minuten therapeutische Übungen durchführe, um die Belastungen seiner Lendenwirbelsäule durch die beruflichen Autofahrten auszugleichen. Berücksichtige man die längere Arbeitszeit an zwei von fünf Werktagen in der Woche und die Durchführung der gesundheitlich nötigen Übungen, komme man zum Ergebnis, dass dem Beschwerdeführer bei einer täglichen Fahrt zwischen Familienwohnsitz und Arbeitsplatz eine Schlafenszeit von lediglich 5 Stunden (normaler Arbeitstag) bzw. 2,75 Stunden (langer Arbeitstag) verbleiben würde. Dies sei nicht ausreichend, um die langen Arbeitstage zu bewältigen. Die tägliche Rückkehr an den Familienwohnsitz sei dem Beschwerdeführer daher nicht zumutbar.

Werbungskosten sind gemäß § 16 Abs. 1 erster Satz EStG 1988 die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Nach § 20 Abs. 1 Z 1 EStG 1988 dürfen die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden. Dies gilt gemäß § 20 Abs. 1 Z 2 lit. a EStG 1988 auch für Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen.

Aufwendungen des Steuerpflichtigen für eine doppelte Haushaltsführung (Familienwohnsitz, weiterer Wohnsitz am Beschäftigungsort) sind steuerlich nur zu berücksichtigen, wenn eine berufliche Veranlassung für die doppelte Haushaltsführung besteht. Von einer beruflichen Veranlassung ist dem Grunde nach auszugehen, wenn der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen so weit von seinem Beschäftigungsort entfernt ist, dass ihm die tägliche Rückkehr nicht zugemutet werden kann und die Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb des Beschäftigungsortes noch als durch die Einkunftserzielung veranlasst gilt (vgl. das Erkenntnis vom , 2008/15/0296).

Im gegenständlichen Fall hatte die belangte Behörde zu beurteilen, ob es für den Beschwerdeführer zumutbar war, täglich eine Strecke von insgesamt etwa 230 km bei einem Zeitaufwand von jeweils insgesamt etwa 135 Minuten zurückzulegen. Die belangte Behörde bejahte dies unter Verweis auf die Erkenntnisse vom , 91/14/0227, und vom , 99/14/0340, in denen der Verwaltungsgerichtshof die tägliche Rückkehr bei einer Entfernung von ungefähr 78 km bzw. 83 km (jeweils einfache Strecke) und einer Fahrzeit von maximal einer Stunde (einfache Strecke) für zumutbar erachtet hat.

Im Erkenntnis vom , 2009/13/0132, bestätigte der Verwaltungsgerichtshof mit näherer Begründung hingegen die Ansicht der belangten Behörde, wonach die tägliche Zurücklegung einer Strecke von insgesamt etwa 262 km bei einem Zeitaufwand von jeweils insgesamt ca. 140 Minuten nicht mehr zumutbar sei.

Der nun vorliegende Fall weicht nicht wesentlich von jenen Werten ab, zumal die belangte Behörde zu der Gesamtfahrzeit von rund 135 Minuten nur unter der Annahme gekommen ist, dass der Beschwerdeführer in Folge seiner flexiblen Arbeitszeiten die Möglichkeit habe, durch frühe morgendliche Anreisen seine Fahrzeiten zu optimieren. Diese Erwägung lässt aber - worauf in der Beschwerde zutreffend hingewiesen wird - das Vorbringen des Beschwerdeführers außer Acht, des Öfteren auch Abendtermine wahrnehmen zu müssen, wodurch sich die zur Verfügung stehende Ruhezeit bei frühmorgendlicher Anreise wesentlich verkürzt. Dass die Abendtermine ein vernachlässigbares Ausmaß erreicht hätten oder die vom Beschwerdeführer mitgeteilten Fahrzeiten bei späterer Anreise unzutreffend wären, hat die belangte Behörde nicht festgestellt. Bei den im Beschwerdefall angenommenen Fahrzeiten von mehr als zwei Stunden hätte es zudem einer eingehenderen Auseinandersetzung mit den vorgebrachten gesundheitlichen Einschränkungen bedurft, um die tägliche Rückkehr an den Familienwohnsitz als zumutbar beurteilen zu können.

Der angefochten Bescheid war daher wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am