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VwGH vom 23.05.2012, 2008/22/0689

VwGH vom 23.05.2012, 2008/22/0689

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger, den Hofrat Dr. Robl und die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der M, vormals vertreten durch DDr. Wolfgang Schulter, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 151.174/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) den am bei der österreichischen Botschaft in Manila eingebrachten Antrag der Beschwerdeführerin, einer philippinischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als "Angehörige" gemäß § 47 Abs. 3 Z 3, § 47 Abs. 3 letzter Satz, § 11 Abs. 2 Z 2, § 11 Abs. 2 Z 3 und § 11 Abs. 2 Z 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid zwar entsprechend der Klarstellung der Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren davon aus, dass als Zusammenführende im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG die Tante der Beschwerdeführerin, eine österreichische Staatsbürgerin, anzusehen sei, führte aber dennoch in ihrer Begründung im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei als volljährige Tochter keine Familienangehörige iSd § 2 Abs. 1 Z 9 NAG, erfülle aber mangels Erbringung eines Nachweises auch keine der Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG im Hinblick auf ihre die österreichische Staatsbürgerschaft besitzende Mutter. Die von ihrer Mutter vorgelegte Haftungserklärung sei nicht tragfähig, weil das Einkommen der Mutter nicht ausreichend sei. Betreffend die Tante verwies die belangte Behörde darauf, dass die Beschwerdeführerin weder das Verwandtschaftsverhältnis noch die Erfüllung der Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG nachgewiesen habe, deshalb "wären (…) auch bezogen auf (ihre) angebliche Tante als Zusammenführende" die besonderen Voraussetzungen gemäß § 47 Abs. 3 Z 3 NAG "nicht als erfüllt nachgewiesen worden". Schließlich habe sie keinen Rechtsanspruch auf eine ortsübliche Unterkunft im Sinn des § 11 Abs. 2 Z 2 NAG und kein festes und regelmäßiges Einkommen nachgewiesen, die Unterhaltsmittel ihrer Mutter - "monatsdurchschnittlich ... EUR 1.303,75" - würden nicht für den Lebensunterhalt beider reichen. Zur Aufrechterhaltung des Privat- oder Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK sei in ihrem Fall die Erteilung eines Aufenthaltstitels auch nicht geboten, weil sie volljährig sei und anders als ihre Mutter oder ihre Tante in ihrem Herkunftssstaat lebe und damit noch kein Privat- oder Familienleben mit ihrer in Österreich lebenden Mutter oder Tante geführt habe. Nach der Judikatur des EGMR stehe einer "Ausländerfamilie" auch nicht das unbedingte Recht auf ein gemeinsames Familienleben bzw. die Herstellung eines solchen in einem Vertragsstaat ihrer Wahl zu.

Ein "Freizügigkeitssachverhalt" im Sinne der §§ 51 ff NAG sei nicht erkennbar und auch nicht behauptet worden.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerde moniert unter anderem, dass die Beschwerdeführerin erstmals im angefochtenen Bescheid mit den Zweifeln der belangten Behörde an dem von ihr vorgebrachten Verwandtschaftsverhältnis als Nichte der M.P. konfrontiert worden sei. Allfällig erst im Berufungsverfahren gehegte Zweifel hinsichtlich des Verwandtschaftsverhältnisses aber hätte die belangte Behörde durch geeignete Erhebungen ausräumen müssen. Indem sie ihre Zweifel erstmals im angefochtenen Bescheid ohne nähere Begründung äußerte, verstieß sie gegen das Überraschungsverbot und hat den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel behaftet (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/22/0168, mwH).

Ungeachtet dessen hat die belangte Behörde jedoch auch eine Prüfung von Erteilungsvoraussetzungen im Hinblick auf die Tante als Zusammenführende im Sinn des § 47 Abs. 3 NAG vorgenommen. Ausgehend davon gleicht der gegenständliche Fall vor dem Hintergrund der Ausführungen des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) im Urteil vom , C-256/11, darin, dass die belangte Behörde in Verkennung der durch den EuGH nunmehr klargestellten Rechtslage nicht anhand des unionsrechtlich vorgegebenen Maßstabes geprüft hat, ob der vorliegende Fall einen solchen Ausnahmefall, wonach es das Unionsrecht gebietet, dem Drittstaatsangehörigen den Aufenthalt zu gewähren, darstellt, jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/22/0312, zu Grunde lag. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin insoweit auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

Auch im vorliegenden Fall wird die belangte Behörde dazu im fortzusetzenden Verfahren nach Einräumung von Parteiengehör - diese Frage ist nicht mit der Beurteilung nach Art. 8 EMRK gleichzusetzen und war bisher nicht Gegenstand des behördlichen Verfahrens - entsprechende Feststellungen zu treffen haben.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deswegen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008. Das auf Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil diese im vorgesehenen Pauschalsatz bereits enthalten ist.

Wien, am

Fundstelle(n):
SAAAE-85186