VwGH vom 10.11.2009, 2008/22/0687

VwGH vom 10.11.2009, 2008/22/0687

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2008/21/0216 E

2007/21/0398 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des I, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20/1/6b, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 150.662/2-III/4/07, betreffend Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, Verlängerung einer Niederlassungsbewilligung gemäß den §§ 21 Abs. 1 und 24 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.

Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer - nach seinen Angaben - seit dem Jahr 2000 im Bundesgebiet aufhältig sei und hier eine österreichische Staatsangehörige geheiratet habe. Diese Ehe sei im Jahr 2006 geschieden worden.

Die letzte Aufenthaltsberechtigung habe mit geendet. Gemäß § 24 Abs. 2 NAG wäre ein Verlängerungsantrag spätestens sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeit des letzten Aufenthaltstitels einzubringen gewesen. Diese Frist habe der Beschwerdeführer versäumt. Sein Antrag sei somit als Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zu werten.

Gemäß § 21 Abs. 1 NAG seien Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen und es sei die Entscheidung im Ausland abzuwarten. Dem entgegen sei der Beschwerdeführer in Österreich aufhältig geblieben.

Die Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger allein bewirke noch kein Aufenthaltsrecht. Wegen der Scheidung dürfe sich der Beschwerdeführers jedenfalls nicht auf diese Ehe berufen.

In der Folge führte die belangte Behörde aus, dass humanitäre Gründe im Sinn der §§ 72 und 74 NAG nicht vorlägen und dass der Beschwerdeführer die in der (Freizügigkeits-)Richtlinie 2004/38/EG vom festgelegten Voraussetzungen nicht erfülle und daher auch kein Recht auf Freizügigkeit gemäß den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften in Anspruch nehmen könne.

Der Verfassungsgerichtshof hat die gegen diesen Bescheid an ihn erhobene Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 968/08-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten, der über die ergänzte Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

Eingangs ist festzuhalten, dass unter Berücksichtigung des maßgeblichen Zeitpunktes der Bescheiderlassung die Rechtslage nach dem NAG vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2009 anzuwenden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das NAG auch auf Sachverhalte anzuwenden, die sich vor dessen In-Kraft-Treten ereignet haben (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0863). Es darf zwar die Nichterfüllung von Formalerfordernissen nach dem NAG bei einem vor In-Kraft-Treten des NAG gestellten Antrags nicht zu dessen Zurückweisung führen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0002). Entgegen der Beschwerdeansicht handelt es sich aber bei der Einhaltung der Frist des § 24 Abs. 2 NAG nicht um eine bloße Formalvoraussetzung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0348, 0349). Somit durfte die belangte Behörde den gegenständlichen Antrag als Erstantrag werten, auf den § 21 Abs. 1 NAG anzuwenden ist.

Dennoch hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet. Sie hat nämlich - offenbar in der Ansicht, eine solche Berechtigung nicht prüfen zu müssen - jegliche Auseinandersetzung mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers unterlassen, wonach er Rechte aus dem Beschluss des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom , Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB), besitze.

Sollte der Beschwerdeführer tatsächlich aufgrund eines legalen Aufenthaltes und einer entsprechenden (bewilligten) Beschäftigung eine Berechtigung nach Art. 6 ARB erlangt haben, war er im Sinn des § 21 Abs. 2 Z 2 NAG ("Fremde, die bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen waren, auch wenn sie zu dieser Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben") bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen (vgl. zur Qualifizierung eines assoziationsberechtigten Aufenthalts als "rechtmäßiger Aufenthalt ohne Bewilligung" bereits das zu § 1 AufG ergangene hg. Erkenntnis vom , 2002/12/0048). Auf die bloß deklaratorische Bedeutung einer Aufenthaltsberechtigung im Fall des Bestehens einer aus Art. 6 oder Art. 7 ARB erfließenden Rechtsposition hat der Europäische Gerichtshof in seinen Urteilen vom , Rs. C-242/06, "T. Sahin", Rnr. 59, und vom , Rs. C-329/97, "Ergat", Rnr. 62, hingewiesen. In letzterem hat der EuGH auch ausdrücklich festgehalten (Rnr. 58), dass die Mitgliedstaaten nicht befugt sind, das einem türkischen Staatsangehörigen unmittelbar durch das Gemeinschaftsrecht verliehene Recht auf freien Zugang zu jeder beruflichen Tätigkeit und das entsprechende Recht, sich zu diesem Zweck im Aufnahmemitgliedstaat aufzuhalten, dadurch zu beschränken, dass sie die Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis mit der Begründung ablehnen, er habe sie verspätet beantragt.

Nach dem Gesagt wäre der Beschwerdeführer zur Antragstellung im Inland berechtigt gewesen und die belangte Behörde hätte nicht mit der Begründung einer unzulässigen Inlandsantragstellung den Antrag abweisen dürfen.

Demnach war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am