VwGH vom 11.05.2010, 2008/22/0662
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl, die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der F, vertreten durch Dr. Thomas G. Eustacchio, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währingerstraße 26, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 150.637/2- III/4/2007, betreffend Niederlassungsbewiligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Verlängerung der "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 21 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Beschwerdeführerin seit in Wien gemeldet sei und eine Familienzusammenführung mit ihrem österreichischen Ehemann beabsichtige. Es seien auch die drei volljährigen Kinder der Beschwerdeführerin in Österreich aufhältig. Ihre letzte Niederlassungsbewilligung sei bis gültig gewesen. Sie sei zweimal rechtskräftig wegen unrechtmäßigen Aufenthalts bestraft worden und es habe die Bundespolizeidirektion Wien am einen Ausweisungsbescheid erlassen. Der "Verlängerungsantrag" sei um mehr als drei Jahre verspätet gestellt worden, weshalb er als Erstantrag zu werten sei. Bei Erstanträgen sei § 21 Abs. 1 NAG (Gebot der Auslandsantragstellung) zu beachten. Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. "Im Übrigen wird von der Berufungsbehörde auch auf die gegen Sie verfügte Ausweisung verwiesen, welche seit rechtskräftig ist." Der Verlängerungsantrag sowie die Berufung würden keine Behauptung humanitärer Gründe im Sinn des § 72 NAG enthalten. Es liege kein besonders berücksichtigungswürdiger humanitärer Aspekt vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, dass dem NAG weder ein Rückwirkungsverbot noch eine Regelung zu entnehmen ist, der zufolge auf vor dessen Inkrafttreten verwirklichte Sachverhalte die Bestimmungen des mit Ablauf des außer Kraft getretenen Fremdengesetzes 1997 anzuwenden wären (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0202).
§ 21 Abs. 1 und 2 sowie § 24 Abs. 1 und 2 NAG lauten in der hier maßgeblichen Stammfassung:
"§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
(2) Abweichend von Abs. 1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:
1. Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und denen das Recht auf Freizügigkeit nicht zukommt, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;
2. Fremde, die bisher rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen waren, auch wenn sie zu dieser Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;
3. Fremde, die bisher österreichische Staatsbürger oder EWR-Bürger waren;
4. Kinder im Fall des § 23 Abs. 4 binnen sechs Monaten nach der Geburt;
5. Fremde, die an sich zur sichtvermerksfreien Einreise berechtigt sind, während ihres erlaubten sichtvermerksfreien Aufenthalts, und
6. Fremde, die eine Aufenthaltsbewilligung als Forscher (§ 67) beantragen, und deren Familienangehörige."
§ 24. (1) Anträge auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels (Verlängerungsanträge) sind vor Ablauf der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen; § 23 gilt. Über die rechtzeitige Antragstellung kann dem Fremden auf begründeten Antrag eine einmalige Bestätigung im Reisedokument angebracht werden, die keine längere Gültigkeitsdauer als drei Monate aufweisen darf. Diese Bestätigung berechtigt zur sichtvermerksfreien Einreise in das Bundesgebiet. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, Form und Inhalt der Bestätigung durch Verordnung zu regeln.
(2) Anträge, die nach Ablauf des Aufenthaltstitels gestellt werden, gelten nur dann als Verlängerungsanträge, wenn der Antrag spätestens sechs Monate nach dem Ende der Gültigkeitsdauer des letzten Aufenthaltstitels gestellt wurde. Danach gelten Anträge als Erstanträge. Nach Stellung eines Verlängerungsantrages ist der Antragsteller, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig."
Der bereits im zeitlichen Geltungsbereich des NAG gestellte Antrag wurde als Verlängerungsantrag verspätet gestellt und gilt demnach als Erstantrag, was zur grundsätzlichen Anwendung des § 21 NAG führt.
Entgegen der Beschwerdeansicht kommt der Ausnahmetatbestand des § 21 Abs. 2 Z 2 NAG nicht zur Anwendung, auch wenn die Beschwerdeführerin über eine Niederlassungsbewilligung als begünstigte Drittstaatsangehörige bis zuletzt verfügt hat.
Nach den ErläutRV (952 BlgNR 22 GP 129) regelt nämlich § 21 Abs. 2 NAG, welcher Fremde entgegen der generellen Vorschrift des Abs. 1 zur Antragstellung im Inland berechtigt sei. Es handle sich hierbei um Fremde, die sich entweder bisher oder auch weiterhin sichtvermerksfrei und rechtmäßig im Inland aufhalten dürften; eine verpflichtende Auslandsantragsstellung wäre daher unsachlich.
Dem entgegen kam der Beschwerdeführerin auch schon im Geltungsbereich des Fremdengesetzes 1997 keine Sichtvermerksfreiheit zu, sondern sie bedurfte einer konstitutiv wirkenden Niederlassungsbewilligung (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/18/0490), über die sie aber seit nicht mehr verfügte. Der Aufenthalt der Beschwerdeführerin ist sohin jedenfalls ab dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des NAG als unrechtmäßig zu qualifizieren.
Ausgehend von der zutreffenden Ansicht, dass das Erfordernis der Auslandsantragstellung nach § 21 Abs. 1 NAG einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegensteht, eine Inlandsantragstellung aber ausnahmsweise nach den §§ 72 ff NAG zu bewilligen wäre, hat die belangte Behörde das Vorliegen eines humanitären Grundes im Sinn des § 72 NAG geprüft.
Liegen nämlich die Voraussetzungen des § 72 NAG vor, ist ungeachtet des Wortlautes des Gesetzes ("kann") die in § 74 NAG ausnahmsweise vorgesehene Antragstellung im Inland zuzulassen, wobei die Zulassung im Rechtsweg erzwungen werden kann. § 72 NAG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltsbewilligung zukommen zu lassen. Weiters liegen besonders berücksichtigungswürdige Fälle im Sinn dieser Bestimmung dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch (etwa auf Familienzusammenführung) besteht (vgl. auch dazu das zitierte Erkenntnis 2008/22/0202, mwN).
Diesbezüglich verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftige Ausweisung der Beschwerdeführerin.
Diese Vorgangsweise ist insofern richtig, als aus dem engen Zusammenhang der Berücksichtigung humanitärer Gründe im Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung und im Niederlassungsverfahren eine Verknüpfung folgt, die das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK im Ausweisungsverfahren auch für die auf Art. 8 EMRK gestützte Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung jedenfalls bei gleichgebliebenen Umständen als relevant erscheinen lässt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0256).
Im vorliegenden Fall wurde allerdings der zweitinstanzliche rechtskräftige Ausweisungsbescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , B 2369/07-14, mit der Begründung aufgehoben, dass die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK verletzt worden sei. Mit Ersatzbescheid vom "" gab daraufhin die zweitinstanzliche Behörde der Berufung Folge und behob den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid. Die mit rückwirkender Kraft ausgestattete Gestaltungswirkung des aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bedeutet, dass allen Rechts- und Vollzugsakten, die während der Geltung des danach aufgehobenen Bescheides auf dessen Grundlage gesetzt worden sind, im Nachhinein die Rechtsgrundlage entzogen worden ist (vgl. Mayer , B-VG4, § 87 VfGG/II. mit dem Verweis auf § 63 Abs. 1 VwGG und demzufolge das hg. Erkenntnis vom , 2002/21/0062). Somit ist auch dem angefochtenen Bescheid über die Verweigerung der Niederlassungsbewilligung die als relevant erachtete Grundlage, nämlich die rechtskräftig ausgesprochene Ausweisung der Beschwerdeführerin, entzogen worden, weshalb der angefochtene Bescheid schon deswegen mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet ist.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht - im Umfang des Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
ZAAAE-85136