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VwGH vom 26.02.2020, Ra 2019/20/0523

VwGH vom 26.02.2020, Ra 2019/20/0523

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des F O in L, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I413 2174022-4/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit das Verwaltungsgericht die Beschwerde hinsichtlich der Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung, der Entscheidung über die Frist zur freiwilligen Ausreise und des Einreiseverbots abgewiesen hat, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, beantragte am erstmals internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Dieser Antrag wurde rechtskräftig abgewiesen.

2 Am stellte der Revisionswerber einen (Folge-)Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde (Spruchpunkte I. und II.). Das BFA erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiters sprach das BFA aus, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.), und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).

3 Gegen diesen Bescheid erhob der Revisionswerber Beschwerde, in der er - bezugnehmend auf sein im Akt einliegendes Schreiben an das BFA vom , mit dem er Bescheinigungen für eine Berufstätigkeit seiner österreichischen Ehegattin in Deutschland vorlegte - ausführte, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn unzulässig sei. Seine Ehegattin habe von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht, weshalb der Revisionswerber als Angehöriger im Sinne der § 54 bis 57 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) zum Aufenthalt in Österreich berechtigt sei. Außerdem stehe Art. 20 AEUV einer Maßnahme entgegen, die bewirke, dass seiner Ehegattin als Unionsbürgerin der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die ihr der Unionsbürgerstatus verleihe - hier der Aufenthalt in der EU - verwehrt werde.

4 In der Folge erließ das BFA eine Beschwerdevorentscheidung mit einem dem Bescheid vom gleichlautenden Spruchinhalt. Zum Vorbringen des Revisionswerbers führte es - soweit für den Revisionsfall von Interesse - in der Beweiswürdigung aus, die Abteilung Migration der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land habe gegenüber dem BFA telefonisch angegeben, dass der Revisionswerber keinen Reisepass im Original habe vorlegen können, weshalb die Voraussetzungen für die Erteilung eines "Aufenthaltstitels als begünstigter Drittstaatsangehöriger" nicht vorlägen, so dass der darauf abzielende Antrag abzulehnen sein werde. Zum Verweis des Revisionswerbers auf Art. 20 AEUV führte das BFA aus, dass in dieses Recht nicht eingegriffen werde, weil die Ehegattin des Revisionswerbers - unabhängig von seinem Aufenthaltsort - weiterhin die freie Wahl ihres Wohnortes habe. Zudem habe ihr bereits vor der Entscheidung im vorliegenden (Folge-)Asylverfahren bewusst sein müssen, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich ungewiss sei, und sie sei dennoch die Ehe mit ihm eingegangen.

5 Nach Einbringung eines Vorlageantrages wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde des Revisionswerbers mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

6 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der ausdrücklich erklärt wird, dass gegen die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz nicht Revision erhoben wird. In der Zulässigkeitsbegründung bringt der Revisionswerber vor, das BVwG habe sein Vorbringen zur "Freizügigkeitsberechtigung" seiner Ehegattin ignoriert und die gegen ihn erlassene Rückkehrentscheidung zu Unrecht bestätigt. Beim Revisionswerber handle es sich um einen begünstigten Drittstaatsangehörigen, für den die Rückführungsrichtlinie nicht gelte. Hätte sich das BVwG mit diesem Umstand auseinandergesetzt, hätte es die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot beheben müssen.

7 Über diese Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - erwogen:

8 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

9 Nach § 2 Abs. 4 Z 11 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) ist begünstigter Drittstaatsangehöriger u.a. der Ehegatte eines Österreichers, der sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat.

10 Sowohl bei Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz als auch im - hier vorliegenden - Fall der Zurückweisung eines Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG (vgl. bis 0087) hat das BFA gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen. Dies gilt nach § 52 Abs. 2 letzter Satz FPG jedoch nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 FPG gegen begünstigte Drittstaatsangehörige von vornherein nicht in Betracht kommt (vgl. ausführlich ). Auch ein Einreiseverbot nach dem 1. Abschnitt des 8. Hauptstücks des FPG darf über begünstigte Drittstaatsangehörige nicht verhängt werden, weil auf sie die aufenthaltsbeendende Maßnahmen (unter anderem) gegen begünstigte Drittstaatsangehörige regelnden Bestimmungen des 4. Abschnitts des genannten Hauptstücks anzuwenden sind (vgl. ). Die generelle Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen begünstigte Drittstaatsangehörige ergibt sich schon daraus, dass die mit § 52 FPG umgesetzte Rückführungsrichtlinie (2008/115/EG) auf begünstigte Drittstaatsangehörige nach ihrem Art. 2 Abs. 3 nicht anzuwenden ist (vgl. , mwN). 12 Nach den im angefochtenen Erkenntnis getroffenen Feststellungen ist der Revisionswerber mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Im Laufe des Verfahrens brachte der Revisionswerber vor, seine Ehegattin sei in Deutschland erwerbstätig und habe damit von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht Gebrauch gemacht. In diesem Zusammenhang legte der Revisionswerber auch eine Bescheinigung des Arbeitgebers seiner Ehegattin vor, wonach diese seit mehreren Monaten mit einer Wochenarbeitszeit von 20 Stunden bei einem näher bezeichneten Unternehmen in Deutschland beschäftigt sei.

13 Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hat das BVwG dieses Vorbringen übergangen. Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage hätte es einer Auseinandersetzung mit der Frage bedurft, ob der Revisionswerber begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ist (vgl. zu den Voraussetzungen , mwN). Im Fall der Bejahung dieser Frage hätte gegen den Revisionswerber keine Rückkehrentscheidung erlassen und über ihn kein Einreiseverbot verhängt werden dürfen.

14 Anzumerken ist der Vollständigkeit halber, dass die in der Beschwerdevorentscheidung des BFA enthaltene Auseinandersetzung mit dem auf das Freizügigkeitsrecht gestützten Vorbringen des Revisionswerbers die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbots nicht zu stützen vermochte. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner Rechtsprechung dargelegt hat, ergibt sich das einem begünstigten Drittstaatsangehörigen bei Erfüllung der relevanten Voraussetzungen zukommende Aufenthalts- und Niederlassungsrecht nicht aus einer nationalen gesetzlichen Berechtigung, sondern kraft unmittelbar anwendbaren Unionsrechts. Eine Bescheinigung durch eine Aufenthaltskarte nach § 54 NAG hätte bloß deklaratorische Wirkung, ein das Aufenthaltsrecht konstitutiv begründender "Aufenthaltstitel" liegt mit der Aufenthaltskarte nicht vor (vgl. ; , Ra 2016/21/0264; , Ro 2019/21/0004). Die Verkennung dieser Umstände belastet das angefochtene Erkenntnis mit einem sekundären Feststellungsmangel.

15 Ausgehend davon war das Erkenntnis, soweit damit die Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. der Beschwerdevorentscheidung) und die darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte bestätigt wurden, wegen prävalierender Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

16 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200523.L00
Schlagworte:
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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