VwGH vom 07.10.2020, Ra 2019/20/0358
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W234 1241101-7/24E, betreffend Angelegenheit nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: I M in S), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte in den Jahren 2003, 2005 und 2010 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Diese Anträge wurden jeweils rechtskräftig ab- beziehungsweise zurückgewiesen.
2Zwischen 2004 und 2013 wurde der Mitbeteiligte mehrmals strafgerichtlich verurteilt.
3Am wurde der Mitbeteiligte von der Landespolizeidirektion Steiermark - Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung einer Vernehmung als Verdächtiger unterzogen.
4Am stellte der Mitbeteiligte erneut einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Er werde - so sein Vorbringen - nunmehr aufgrund der Teilnahme an regimekritischen Aktivitäten in Österreich von der tschetschenischen Regierung bedroht.
5Der Antrag des Mitbeteiligten auf internationalen Schutz wurde vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom stattgegeben und der Bescheid behoben.
6Im zweiten Rechtsgang wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Mitbeteiligten keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Die Behörde stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
7Das Bundesverwaltungsgericht gab der dagegen erhobenen Beschwerde mit dem nun angefochtenen Erkenntnis statt, erkannte dem Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 den Status eines Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 fest, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
8Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - aus, der Mitbeteiligte habe in Österreich an mehreren regimekritischen Kundgebungen teilgenommen, bei denen er teilweise auch selbst Reden mit regimekritischem Inhalt gehalten habe. Die Kundgebungen und die daran teilnehmenden Personen seien gefilmt und das Material verbreitet worden. Dieses Material sei auch in Tschetschenien bekannt, weshalb die Tochter des Mitbeteiligten in Tschetschenien mehrmals von der Polizei aufgesucht und vorgeladen worden sei. Dem Mitbeteiligten drohten in der gesamten Russischen Föderation Übergriffe durch die Behörden, weshalb auch keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe.
9Weder aus den strafgerichtlichen Verurteilungen des Mitbeteiligten noch aus den Angaben der Vernehmung durch die Landespolizeidirektion Steiermark, Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, lasse sich ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG 2005 ableiten. Letztere enthielte keinen näheren Hinweis auf einen Ausschlussgrund, weil darin letztlich nur von bloßen Bekanntschaften des Mitbeteiligten zu namentlich bezeichneten Personen, welche in Österreich die gleiche Moschee besucht und sich später dem Islamischen Staat angeschlossen hätten, berichtet werde.
10Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision, die zur Begründung der Zulässigkeit unter anderem vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zur Begründungspflicht deshalb ab, weil es lediglich ausgeführt habe, dass aus den bloßen Bekanntschaften des Mitbeteiligten kein Hinweis auf einen Asylausschlussgrund gemäß § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zu entnehmen sei, obwohl der Mitbeteiligte im „D-C“ als „Imam des Gebets“ tätig gewesen sei. Zudem sei der ehemalige Imam dieser Moschee, der mittlerweile strafgerichtlich verurteilt worden sei, weil er aufgefordert habe, sich am Krieg in Syrien auf Seiten des Islamischen Staats zu beteiligen, der Lehrer des Mitbeteiligten gewesen. Der Mitbeteiligte habe sowohl in der Moschee als auch im familiären Umfeld mit Personen verkehrt, die sich am Kampf in Syrien beteiligt hätten. Darüber hinaus habe der Mitbeteiligte angegeben, aktiv im Tschetschenienkrieg gekämpft zu haben, und dass die Scharia über anderen Gesetzen stehe. Eine gesamthafte Betrachtung all dieser Umstände zeige, dass der Mitbeteiligte ein orthodoxes Verständnis des Islam habe, mit radikalen „Syrien-Kämpfern“ im privaten und familiären Umfeld bekannt sei, bereit sei, für seine Überzeugungen an einem bewaffneten Kampf mitzuwirken und auch, wie sich aus den strafgerichtlichen Verurteilungen ergebe, grundsätzlich zu Gewalttätigkeit neige. Vor diesem Hintergrund greife die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts zu kurz.
11Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene Amtsrevision nach Einleitung des Vorverfahrens - der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
12Die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet.
13Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG bereits wiederholt ausgesprochen, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in seiner Rechtsprechung zu den § 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert dies in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidungen tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen selbst ergeben (vgl. etwa , mwN).
14Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Pflicht zur ausreichenden Begründung der Entscheidung in Bezug auf die Gefährdungsprognose im Sinn des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 verletzt.
15§ 6 AsylG 2005 (samt Überschrift) lautet:
„Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§ 6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1.und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2.einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3.aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder
4.er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.
(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt.“
16Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erfordert die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 die Beurteilung, ob der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, im jeweiligen Einzelfall eine Gefährdungsprognose, wie sie in ähnlicher Weise auch in anderen asyl- und fremdenrechtlichen Vorschriften zugrunde gelegt ist (vgl. § 9 Abs. 2 Z 2 und 57 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005;§ 53 und 66 Abs. 1 FPG). Bei dieser Einzelfallprüfung ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar (vgl. ; , Ra 2018/20/0387, jeweils mwN).
17Eine solche, auf konkreten Feststellungen beruhende Gefährdungsprognose enthält das angefochtene Erkenntnis nicht.
18Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht, disloziert in der Beweiswürdigung, festgestellt, dass aus der Vernehmung des Mitbeteiligten durch die Landespolizeidirektion Steiermark, Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, vom ein Ausschlussgrund nicht abzuleiten sei. Diese enthalte keinen näheren Hinweis auf einen solchen, weil darin letztlich nur von bloßen Bekanntschaften des Mitbeteiligten zu namentlich bezeichneten Personen, die in Österreich die gleiche Moschee besucht und sich später dem Islamischen Staat angeschlossen hätten, berichtet werde.
19Wie die Revision zutreffend aufzeigt, wurden in dieser Einvernahme vor der Landespolizeidirektion Steiermark weitere Themen (wie etwa bisheriger Lebensweg, religiöse Einstellung, Tätigkeit in der Moschee, Verhältnis zur Scharia) angesprochen, zu denen sich der Mitbeteiligte äußerte.
20Das Bundesverwaltungsgericht ist mit seinen Ausführungen von der dargestellten Rechtsprechung insofern abgewichen, als es lediglich einzelne, sich aus der Vernehmung des Mitbeteiligten ergebende Aspekte berücksichtigt und keine ausreichenden Feststellungen zu seinem Gesamtverhalten getroffen hat, anhand derer eine Prognose dahingehend gestellt werden könnte, ob aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Mitbeteiligte eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Die Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichts, ein Ausschlussgrund nach § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ließe sich aus Angaben zu „bloßen Bekanntschaften zu namentlich bezeichneten Personen, die in Österreich die gleiche Moschee besucht und sich später dem Islamischen Staat angeschlossen hätten“ nicht ableiten, wird von den dort gesamt getätigten Aussagen des Mitbeteiligten im Zusammenhalt mit seinem Gesamtverhalten jedenfalls nicht ohne Weiteres getragen. Daran ändert auch der Hinweis auf die eingeholte Nachfrage bei der Landespolizeidirektion Steiermark, Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung, aus dem Jahr 2018 nichts, weil es sich dabei ebenfalls nur um einen weiteren, wenn auch zu berücksichtigenden, Aspekt handelt, der die Gesamtschau nicht entbehrlich macht.
21Die Revision zeigt jedoch noch einen weiteren relevanten Begründungsmangel auf.
22Der Verwaltungsgerichtshof hat mehrmals festgehalten, dass eine exilpolitische Betätigung im Ausland einen asylrelevanten Nachfluchtgrund gemäß § 3 Abs. 2 zweiter Satz AsylG 2005 bilden kann (vgl. ; , Ra 2015/01/0070, mwN sowie zu den Nachfluchtgründen auch Art. 5 der Richtlinie 2011/95/EU - Statusrichtlinie). Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG 2005 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.
23Im vorliegenden Fall nimmt das Gericht zwar eine solche exilpolitische Tätigkeit des Mitbeteiligten durch Teilnahme an Demonstrationen an, ohne jedoch ansatzweise Feststellungen dazu zu treffen, die die Beurteilung erlaubt hätten, dass die in Österreich vorgenommenen Aktivitäten nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung wären. Auch damit belastet das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung mit Rechtswidrigkeit.
24Das angefochtene Erkenntnis war somit schon im Hinblick auf die aufgezeigten wesentlichen Begründungsmängel wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben, weshalb sich ein Eingehen auf das weitere Revisionsvorbringen erübrigt.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019200358.L00 |
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