VwGH vom 18.06.2009, 2008/22/0628
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl, Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des W, vertreten durch Mag. Christian Steurer, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Rathausstraße 37, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom , Zl. Fr-4250a-251/04, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen der Dominikanischen Republik, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 iVm den §§ 63 Abs. 1, 66 Abs. 1 und 2, 86 und 87 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies die belangte Behörde auf die rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers und die diesen Verurteilungen zu Grunde liegenden strafbaren Handlungen. Der Beschwerdeführer sei am wegen teils versuchten, teils vollendeten Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Z 1 und 2 sowie 15 StGB, unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB und schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 1 StGB zu einer zum Teil bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt worden.
Am sei der Beschwerdeführer wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach § 269 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Er sei gegen einen Gendarmeriebeamten mit erhobenen Händen losgegangen und habe ihn mehrmals heftig gegen die Brust geschlagen.
Mit Rücksicht auf das letztgenannte Urteil sei er mit weiterem Urteil vom zu einer Zusatzgeldstrafe verurteilt worden. Dieser Verurteilung seien teils vollendete, teils versuchte schwere Einbruchsdiebstähle im Zeitraum 29. März bis zu Grunde gelegen, weiters aber auch eine schwere Körperverletzung vom , indem der Beschwerdeführer mit Mittätern einer Person mehrere Faustschläge gegen das Gesicht versetzt habe.
Eine weitere Verurteilung sei am zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von vier Monaten erfolgt, weil der Beschwerdeführer wiederum einen Einbruchsdiebstahl sowie eine Körperverletzung begangen habe.
Mit Urteil vom sei er wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB sowie Unterschlagung nach § 134 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden und es sei eine Schreckschusspistole eingezogen worden. Demnach habe er am eine Person unter besonders gefährlichen Verhältnissen dadurch fahrlässig am Körper verletzt, dass er gegen diese eine Schreckschusspistole abgefeuert habe.
Am sei er wegen Einbruchsdiebstahls nach den §§ 127, 129 Z 1 und 2 sowie 12 StGB, schwerer Körperverletzung nach den §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB und gefährlicher Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden. Dabei seien auch die am ausgesprochene bedingte Strafnachsicht und bedingte Entlassungen widerrufen worden. Der Beschwerdeführer habe am in eine Volksschule, am in ein Geschäftsgebäude und am in einen Frisiersalon eingebrochen. Weiters habe er am einer Person einen Stein auf den Kopf geschlagen, was eine Platzwunde zur Folge gehabt habe, wobei die Tat mit einem solchen Mittel und auf eine solche Weise erfolgt sei, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden sei. Außerdem habe er am 26. und jeweils als Mittäter Personen mit Schüssen aus einer Schreckschusspistole gefährlich bedroht.
Am sei eine Verurteilung nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz zu einer Geldstrafe erfolgt, weil der Beschwerdeführer von Februar 2005 bis August 2005 geringe Mengen Cannabisprodukte konsumiert und weiters geringe Mengen Cannabisprodukte unentgeltlich an verschiedene Drogenkonsumenten übergeben habe.
Letztlich sei er mit Urteil vom nach § 125 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Aus diesem Sachverhalt schloss die belangte Behörde auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG und auf die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme. Der Beschwerdeführer habe durch die Vielzahl der Taten in kurzer Zeit und die raschen Rückfälle schwer gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit verstoßen und es hätte ihn selbst die Erlassung eines erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes am nicht von weiteren Straftaten abhalten können. Es könne daher für den Beschwerdeführer keine positive Zukunftsprognose gestellt werden und es sei das Aufenthaltsverbot auch im Grunde der §§ 86 und 87 FPG zulässig. Der Beschwerdeführer sei auch nach seiner bedingten Entlassung mehrfach wieder straffällig geworden. Weder durch Geld und Freiheitsstrafen noch durch die Unterbringung in einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft sowie durch spezielle Begleitmaßnahmen hätte der Beschwerdeführer zu einem rechtstreuen Verhalten gebracht werden können.
Der im Jahr 1988 geborene Beschwerdeführer sei erstmals im April 1996 eingereist und habe sich bis zum - nach Ablauf eines Touristensichtvermerks unrechtmäßig - in Österreich aufgehalten. Nach einem Heimataufenthalt bis Oktober 2000 sei er im Rahmen eines Familiennachzuges zu seiner Mutter und seinem österreichischen Adoptivvater gezogen. Seither halte er sich ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Er habe größtenteils im gemeinsamen Haushalt mit seiner Mutter und seinem Adoptivvater gewohnt, zeitweise aber in einer sozial betreuten Wohngemeinschaft gelebt. Sein Bruder befinde sich wiederum in der Dominikanischen Republik. Der Beschwerdeführer sei bislang keiner fixen Beschäftigung nachgegangen, sondern nur in sozial betreuten Projekten tätig gewesen.
Die Aufenthaltsverfestigung nach § 61 Z 3 FPG komme für ihn nicht zum Tragen, weil er vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes mit Anfang April 2003 nicht die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft erfüllt habe.
Mit der fremdenpolizeilichen Maßnahme werde in einem relevanten Maß in sein Privat- und Familienleben eingegriffen. Auf Grund des hohen kriminellen Potenzials, seiner Uneinsichtigkeit und der negativen Zukunftsprognose sei das Aufenthaltsverbot nicht nur wegen der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, sondern auch zum Schutz der Gesundheit anderer und zur Verhinderung strafbarer Handlungen dringend notwendig. Das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu untersagen, dränge seine persönlichen und familiären Interessen in den Hintergrund. Im Alter von nunmehr 18 Jahren sei er nicht mehr auf den direkten Kontakt mit seinen Eltern angewiesen. Weiters habe er Verwandte in seiner früheren Heimat und er habe bislang keine Integration in den österreichischen Arbeitsmarkt geschafft.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die Feststellung der belangten Behörde, dass sein österreichischer Adoptivvater sein Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe. Der Vorwurf, die belangte Behörde habe diesbezüglich keine Erhebungen vorgenommen, reicht nicht für eine konkrete Bestreitung. Davon ausgehend hat die belangte Behörde ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde zu Recht in Anspruch genommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/21/0474, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Weiters irrt der Beschwerdeführer, wenn er meint, dass ihm vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhalts (dieser Zeitpunkt ist hier mit Erreichen der Strafmündigkeit im Jahr 2002 anzunehmen) die Staatsbürgerschaft hätte verliehen werden können.
§ 10 Staatsbürgerschaftsgesetz (idF BGBl. I Nr. 124/1998) lautet auszugsweise:
"§ 10. (1) Die Staatsbürgerschaft kann einem Fremden verliehen werden, wenn
1. er seit mindestens zehn Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat; ...
(4) Von der Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 kann abgesehen werden
1. aus besonders berücksichtigungswürdigem Grund, sofern es sich um einen Minderjährigen, der seit mindestens vier Jahren, oder um einen Fremden handelt, der seit mindestens sechs Jahren seinen Hauptwohnsitz ununterbrochen im Bundesgebiet hat, es sei denn, es wäre in Abs. 5 hinsichtlich dieser Wohnsitzdauer anderes vorgesehen;
2. bei einem Fremden, der vor dem die Staatsangehörigkeit eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie hatte oder staatenlos war, seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hatte und sich damals deshalb in das Ausland begeben hat, weil er Verfolgung durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Einsatzes für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche mit Grund zu befürchten hatte.
(5) Als besonders berücksichtigungswürdiger Grund (Abs. 4 Z 1) gilt insbesondere
1. der Verlust der Staatsbürgerschaft anders als durch Entziehung (§§ 33 und 34) oder
2. bereits erbrachte und zu erwartende besondere Leistungen auf wissenschaftlichem, wirtschaftlichem, künstlerischem oder sportlichem Gebiet oder
3. der Nachweis nachhaltiger persönlicher und beruflicher Integration oder
4. die Gewährung von Asyl nach dem Asylgesetz 1997, BGBl. I Nr. 76, einschließlich der Asylberechtigung (§ 44 Abs. 6 AsylG) nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder
5. der Besitz der Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen), BGBl. Nr. 909/1993, nach einer Wohnsitzdauer von vier Jahren oder
6. die Geburt im Bundesgebiet."
Der Beschwerdeführer stellt zwar nicht in Abrede, dass die 10- Jahres-Frist des § 10 Abs. 1 Z 1 Staatsbürgerschaftsgesetz nicht erfüllt wurde, meint aber, dass seine Adoption einen "begünstigten Verleihungstatbestand" darstelle. Damit bezieht sich der Beschwerdeführer offenkundig auf die zitierte Bestimmung des § 10 Abs. 4 leg. cit. Er erfüllt aber keine der Voraussetzungen des § 10 Abs. 5 leg. cit. Auch wenn somit - wie die Beschwerde argumentiert - im Fall des Beschwerdeführers keine missbräuchliche "Aufenthaltsadoption" gegeben ist, kommt ihm ein Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestand im Sinn des § 61 FPG nicht zu Gute.
Die Beschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, dass die Gefährlichkeitsprognose nach § 86 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer zu treffen sei. Eingangs sei dazu angemerkt, dass - weil die belangte Behörde ohnedies die Gefährlichkeitsprognose nach § 86 Abs. 1 FPG gegen den bereits volljährigen Beschwerdeführer geprüft hat - die gleichheitsrechtlichen Bedenken im Beschluss vom , 2008/21/0405, vorliegend nicht präjudiziell sind.
In der Sache kann der belangten Behörde nicht entgegengetreten werden, wenn sie aus dem Verhalten des Beschwerdeführers auf eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr schloss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Zu Recht verwies die belangte Behörde nämlich auf die Vielzahl der strafbaren Handlungen des Beschwerdeführers, auf die zahlreichen Rückfälle und die weitere Begehung von Straftaten trotz eines in erster Instanz bereits erlassenen Aufenthaltsverbotes. Der Beschwerdeführer missachtete dabei nicht nur fremdes Vermögen, sondern auch die körperliche Integrität anderer und ging mit Gewalt und mit Schreckschusspistolen gegen andere Personen vor. So scheute er nicht davor zurück, einer Person eine geladene Schreckschusspistole in einem Abstand von ca. 40 cm an die rechte Wange zu halten, wodurch in fahrlässiger Betätigung ein Loch im Bereich der rechten Wange, eine massive Schwellung im Bereich der rechten Gesichtshälfte und ein Bluterguss am rechten Auge aufgetreten sind. Aus einem derart rücksichtslosen gewalttätigen Verhalten verbunden mit Einbruchsdiebstählen und Suchtmitteldelikten muss auf eine ganz erhebliche Gefährdung im Sinn der genannten Bestimmung geschlossen werden.
Da der Beschwerdeführer auf keine inländische Integration verweisen kann, ist auch die weitere Beurteilung der belangten Behörde nicht zu beanstanden, dass das Aufenthaltsverbot dringend geboten und zulässig im Sinn des § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG sei.
In der Beschwerde wird zwar darauf verwiesen, dass der Beschwerdeführer keine Bindungen und Beziehungen mehr zu seinem Heimatland habe. Ausgehend von seinem Heimataufenthalt in den Jahren 1999 und 2000 und von dem Aufenthalt seines Bruders im Heimatland ist jedoch eine völlige Entwurzelung von seinem Heimatland auszuschließen.
Die Beurteilung der belangten Behörde widerspricht auch nicht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. So hat der EGMR im Urteil der großen Kammer vom , Maslov gegen Österreich, NL 2008, 157, darauf Bedacht genommen, dass der dortige Beschwerdeführer zwischen 14 und 15 Jahre alt war, als er die strafbaren Handlungen verübt hat, und diese mit einer Ausnahme nicht gewalttätiger Natur gewesen sind. Somit konnte er diese strafbaren Handlungen noch als Beispiele für Jugenddelinquenz betrachten. Dem gegenüber verübte jedoch der Beschwerdeführer die Straftaten noch im August 2005, somit in einem Alter von 17 Jahren. Darüber hinaus wendete er auch in verschiedener Weise Gewalt an und war bei Erlassung des Aufenthaltsverbotes (im Gegensatz zum Fall Maslov) bereits volljährig. Weiters ist er erst im Alter von bereits 12 Jahren endgültig nach Österreich gekommen, Maslov hingegen schon im Alter von 6 Jahren.
Da somit dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am