VwGH vom 26.02.2015, 2013/15/0154

VwGH vom 26.02.2015, 2013/15/0154

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer-Jenkins, über die Beschwerde des Finanzamtes Amstetten Melk Scheibbs in 3300 Amstetten, Graben 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/0492- W/12, betreffend Einkommensteuer 2010 (mitbeteiligte Partei: M F in M), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die im Jahr 1918 geborene Mitbeteiligte ist Pensionistin mit einem vom Bundessozialamt bescheinigten Behinderungsgrad von 100%. Sie bezieht Pflegegeld der Stufe 7 und wird durch zwei (selbständige) Pflegerinnen häuslich betreut.

In ihrer Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2010 beantragte die Mitbeteiligte den Abzug von behinderungsbedingten Kosten als außergewöhnliche Belastungen. Sie legte hiezu eine Aufstellung samt Belegen vor, wonach sie pflegebedingte Geldleistungen (Pflegegeld sowie Zuschuss des Landes Niederösterreich) in Höhe von 26.469,60 EUR beziehe. Diesen Einnahmen stünden Ausgaben für Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung von insgesamt 46.145,74 EUR gegenüber, sodass sich außergewöhnliche Belastungen von 19.676,14 EUR ergäben. In den Ausgaben für Hilfsmittel und Kosten der Heilbehandlung waren insbesondere auch folgende Beträge enthalten: "Betreuung (durch die Tochter) kostenlos - Kilometergeldersatz": 52 x 160 km zu je 0,42 EUR: 3.494,40 EUR; Weihnachtsgeld (zweimal zu je 250 EUR, daher 500 EUR).

Über Vorhalt des Finanzamtes führte die Tochter der Mitbeteiligten (in Vertretung der Mitbeteiligten) aus, die Mitbeteiligte sei seit Frühjahr 2008 bettlägerig und seit Winter 2009/2010 komplett bewegungsunfähig. Da sie nicht einmal ihre Hände und Finger bewegen könne, benötige sie Betreuung rund um die Uhr und habe seit dieser Zeit auch die höchste Pflegestufe zuerkannt bekommen. Die selbständigen Betreuerinnen hätten Anspruch auf täglich zwei Stunden Freizeit. Mit ihnen sei eine Vereinbarung getroffen worden, dass sie täglich lediglich eine Stunde Freizeit beanspruchen und dafür die Tochter der Mitbeteiligten einmal pro Woche für etwa sieben Stunden die Vertretung übernehme. Dazu sei der zweifache "Dekubitus" der Mitbeteiligten gekommen, der die tägliche Wundpflege durch die Caritas und die Betreuung durch einen Wundtherapeuten erfordert habe. Dies alles sei mit dem Hausarzt zu koordinieren und vor Ort zu kontrollieren gewesen. Außerdem müssten die Betreuerinnen mit ausreichend Wirtschaftsgeld ausgestattet und bezahlt, weiters ihre Arbeit und die Abrechnungen kontrolliert werden. Ganz wesentlich sei auch die psychische Betreuung der Mitbeteiligten durch ihre Tochter. Die Tochter habe diese Aufgaben "vollkommen unentgeltlich" übernommen und lediglich das amtliche Kilometergeld als Kostenersatz erhalten. Sie sei im Jahr 2010 insgesamt 56mal bei der Mitbeteiligten gewesen. Davon seien 52 Besuche auf diese Tätigkeiten entfallen. Der Besuchstermin sei - in Absprache mit den Betreuerinnen - hauptsächlich am Mittwoch gewesen. Der Schwiegersohn der Mitbeteiligten sei von dieser mit der Verwaltung ihrer Finanzen und ihrer steuerlichen Angelegenheiten betraut. Dieser habe der Tochter der Mitbeteiligten (also seiner Ehefrau) den angeführten Kostenersatz bar ausbezahlt.

Das Finanzamt setzte die Einkommensteuer für das Jahr 2010 mit Bescheid vom fest, wobei die behinderungsbedingten Kosten nur in Höhe von 15.681,74 EUR als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt wurden. Begründend führte das Finanzamt aus, die Kosten für die Betreuung der Mitbeteiligten durch ihre Tochter seien gestrichen worden, weil die Betreuung im Familienverband durch nahe Angehörige erfolge. Es sei daher davon auszugehen, dass die Betreuung durch die persönliche Nahebeziehung sowie sittliche Verpflichtung veranlasst sei. Ebenso sei das Weihnachtsgeld für die Pflegerinnen gestrichen worden, da dieser Aufwand nicht zwangsläufig erwachsen und somit keine außergewöhnliche Belastung sei.

Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Sie machte geltend, es sei richtig, dass die zusätzlich zur 24-Stunden-Betreuung notwendige Betreuung durch ihre Tochter tatsächlich "aus persönlichen und moralischen Gründen unentgeltlich" erfolgt sei. Allerdings sei ihrer Tochter mit deren geringen Pension nicht zuzumuten, dafür auch die Fahrtkosten selbst zu tragen, welche die bettlägerige Mutter aus ihrem Einkommen "zu tragen gewillt und imstande" sei. Ebenso seien die äußerst gering gehaltenen Weihnachtsaufwendungen für die Pflegerinnen zwangsläufig erwachsen.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge und änderte den bekämpften Bescheid ab.

Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Aufwendungen für die häusliche Pflege eines Steuerpflichtigen könnten - wie bei einer Heimbetreuung - ab dem Verlust der Fähigkeit zur eigenen Haushaltsführung bzw. dem Bezug von Pflegegeld als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Dies gelte bei einer Pflege im Familienverband in gleicher Weise wie bei einer gewerblichen oder nichtselbständigen Pflege durch Fremde. Dabei könnten alle im Zusammenhang mit der Betreuung anfallenden Geld- und Sachaufwendungen (wie z.B. Kosten für das Pflegepersonal) geltend gemacht werden. Sie seien jedoch um die erhaltenen steuerfreien Zuschüsse (etwa Pflegegeld) zu kürzen.

Die Mitbeteiligte benötige Betreuung rund um die Uhr. Da die Pflegerinnen vertraglich Anspruch auf täglich zwei Stunden Freizeit hätten, sei mit ihnen vereinbart worden, dass sie täglich nur eine Stunde Freizeit beanspruchten und die Tochter der Mitbeteiligten einmal pro Woche für etwa sieben Stunden die Betreuung der Mitbeteiligten übernehme. Die Tochter der Mitbeteiligten habe weiter die ärztliche Versorgung koordiniert, die Pflegerinnen mit Wirtschaftsgeld ausgestattet und bezahlt, die Abrechnungen der Pflegerinnen kontrolliert sowie ihre Mutter psychisch betreut. Für diese Tätigkeiten sei sie einmal pro Woche zur Mitbeteiligten gefahren.

Der von der Mitbeteiligten an ihre Tochter hiefür bezahlte Fahrtkostenersatz stehe in gleicher Weise im Zusammenhang mit ihrer Betreuung wie die an die fremden Pflegerinnen bezahlten Beträge und sei daher als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig. In diesem Punkt werde der Berufung stattgegeben.

Mangels Zwangsläufigkeit der Aufwendungen betreffend Weihnachtsgelder für die Pflegerinnen seien insoweit die Voraussetzungen für den Abzug als außergewöhnliche Belastungen nicht erfüllt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde des Finanzamtes. Das Finanzamt macht geltend, die Voraussetzung der Außergewöhnlichkeit sei nicht gegeben: Die Betreuung von Eltern durch ihre Kinder sei der "Standardfall". Ein Großteil der in Österreich pflegebedürftigen älteren Menschen werde von deren Kindern betreut bzw. gepflegt. Fahrtkosten, die Kindern durch regelmäßige Besuche und verschiedene Besorgungen für betreuungsbedürftige Eltern erwüchsen, seien nicht als außergewöhnlich anzusehen, wenn die Betreuung durch das Kind keine außergewöhnlichen Kosten erforderlich mache. Die Tochter habe die Betreuungsleistung im vorliegenden Fall unentgeltlich erbracht. Daraus ergebe sich, dass dies aus dem familienhaften Verhältnis heraus erfolgt sei. Demnach seien auch die gewährten Kilometergelder als freiwillige Zuwendung innerhalb des Familienverbandes einzustufen. Nicht zuletzt sei im Verfahren kein fremdüblicher Nachweis darüber erbracht worden, dass Beträge überhaupt geflossen seien. Rechtsbeziehungen zwischen nahen Angehörigen seien nur dann anzuerkennen, wenn diese einem Fremdvergleich standhielten. Es müsse eine Verlagerung privat motivierter Geldflüsse in einen steuerlich relevanten Bereich und somit eine sich zu Lasten der Gleichmäßigkeit der Besteuerung auswirkende willkürliche Herbeiführung oder Vortäuschung abgabenrechtlicher Wirkungen vermieden werden. Die Zahlung von Kilometergeldern für aus moralischen und persönlichen Gründen kostenlos erbrachte Leistungen sei nicht fremdüblich.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde - die Mitbeteiligte hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt - erwogen:

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss insbesondere außergewöhnlich sein (Z 1) und zwangsläufig erwachsen (Z 2). Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst. Die Belastung erwächst nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Ausgehend vom Vorbringen der Mitbeteiligten im Verwaltungsverfahren kann nicht abgeleitet werden, dass die geltend gemachten Aufwendungen betreffend die Betreuung durch ihre Tochter zwangsläufig erwachsen sind. Demnach erfolgt die Betreuung "kostenlos" bzw. "vollkommen unentgeltlich"; dies aus "persönlichen und moralischen Gründen". Dass die Mitbeteiligte insoweit "gewillt und imstande" war, die Fahrtkosten zu tragen, begründet keine Zwangsläufigkeit dieser Aufwendungen der Mitbeteiligten.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am