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VwGH vom 15.09.2016, 2013/15/0136

VwGH vom 15.09.2016, 2013/15/0136

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Beschwerde der A GmbH in R, vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 22, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Graz, vom , Zl. RV/0798- G/07, betreffend Haftung gemäß § 99 EStG 1988 für die Jahre 2000 bis 2002, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Beschwerdeführerin, eine im Baugewerbe tätige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, machte in den Streitjahren u. a. Aufwendungen für Fremdleistungen zweier Unternehmen (X LDA und Y LDA) mit Sitz in Portugal geltend. Die diesen Aufwendungen zugrundeliegenden Arbeiten wurden von Arbeitskräften durchgeführt, die von den portugiesischen Unternehmen zur Arbeitsverrichtung nach Österreich entsandt worden waren.

2 Im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung stellte der Prüfer u.a. fest, dass die portugiesischen Arbeitskräfte in Wohnungen der Beschwerdeführerin bzw. deren Gesellschafter untergebracht worden seien. Sie seien organisatorisch in den Betrieb der Beschwerdeführerin eingegliedert und der Dienst- und Fachaufsicht des jeweiligen Vorarbeiters der Beschwerdeführerin unterstellt gewesen. Die Beschwerdeführerin habe auch alle notwendigen Materialien für die von den portugiesischen Arbeitskräften durchgeführten Trockenbauarbeiten beigestellt. Von den portugiesischen Unternehmen seien meist monatlich Rechnungen gelegt worden. "Die Bezahlung erfolgte jedoch in Österreich in bar jeweils an die portugiesischen Arbeitnehmer." Unter Bezugnahme auf die getroffenen Feststellungen stufte der Prüfer die Tätigkeit der ausländischen Arbeitskräfte als Arbeitskräftegestellung durch ausländische Unternehmen im Sinne des § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 ein, wobei er 20 % der von den portugiesischen Unternehmen verrechneten Beträge nicht als Betriebsausgabe anerkannte, weil "die tatsächliche Erbringung der Leistung bzw. der tatsächliche Abfluss der Gelder nicht ausreichend nachgewiesen und belegt" worden sei.

3 Das Finanzamt folgte dem Prüfer und unterwarf die der Beschwerdeführerin von den portugiesischen Unternehmen in Rechnung gestellten, als Betriebsausgabe anerkannten Beträge gemäß § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 der 20%igen Abzugsteuer. Die Abzugsteuer schrieb sie der Beschwerdeführerin mit Haftungsbescheiden vom vor.

4 Die Beschwerdeführerin berief gegen die Haftungsbescheide und brachte in der Berufung unter Hinweis auf das , FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH , u.a. vor, die Bemessungsgrundlage für die Abzugsteuer sei um die mit der Arbeitskräftegestellung unmittelbar zusammenhängenden Betriebsausgaben zu vermindern. Ausgehend von den vorliegenden Aufzeichnungen und abgewickelten Aufmaßen sei davon auszugehen, dass den Betriebseinnahmen der portugiesischen Unternehmen Betriebsausgaben (Lohnaufwendungen) von rund 90% gegenüberstünden.

5 Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung ab, woraufhin die Beschwerdeführerin die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragte.

6 Im Berufungsverfahren brachte die Beschwerdeführerin ergänzend u.a. vor, der Geschäftsführer der Beschwerdeführerin sei im Streitzeitraum auch Geschäftsführer der portugiesischen X LDA gewesen. Als solcher habe er die Personalaufwendungen der X LDA "abgesegnet", die dann unmittelbar von der Beschwerdeführerin ausbezahlt worden seien. Zudem legte sie Unterlagen betreffend die Lohnverrechnung der X LDA und die Anmeldung der portugiesischen Arbeitnehmer im Heimatstaat vor.

7 Die belangte Behörde gab der Berufung gegen die Haftungsbescheide insoweit teilweise Folge, als sie die der Abzugsteuer zu unterziehenden Beträge geringfügig niedriger annahm. Zur Begründung führte sie im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen aus, dass die Haftung der Beschwerdeführerin nach innerstaatlichem Recht aufgrund der Bestimmung des § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 und des § 100 Abs. 2 EStG 1988 jedenfalls feststehe, weil alle dort enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien. In einem weiteren Schritt sei zu untersuchen, ob die Einkünfte der portugiesischen Unternehmen aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens (im Folgenden nur: DBA) an der Quelle zu entlasten seien. Als Nachweis für die Anspruchsberechtigung aus einem DBA komme nur die Vorlage einer Ansässigkeitsbescheinigung der für die steuerliche Erfassung zuständigen ausländischen Abgabenbehörde in Betracht. Eine solche habe die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung hierzu nicht beigebracht, weshalb die in Rede stehenden Einkünfte nicht unter Berufung auf ein DBA an der Quelle entlastet werden könnten. Soweit sich die Beschwerdeführerin auf das EuGH Urteil FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH berufe, sei ihr zu erwidern, dass das Steuerabzugsverfahren und die seiner Durchsetzung dienende Haftungsregelung ein legitimes und geeignetes Mittel darstelle, die steuerliche Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person sicherzustellen. In Bezug auf die Betriebsausgaben sei davon auszugehen, dass die Dienstleistungsfreiheit einem generellen undifferenzierten innerstaatlichen Abzugsverbot entgegenstehe. Ein Anwendungsfall der Dienstleistungsfreiheit liege jedoch nur dann vor, wenn der Dienstleister die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitze und in einem Land der Union "ansässig" sei. Wie bereits ausgeführt, habe die Beschwerdeführerin der Aufforderung, eine Ansässigkeitsbescheinigung für die Streitjahre beizubringen, nicht Folge geleistet. Selbst für den Fall, dass man die gesellschaftsrechtliche Registrierung im Sitzstaat als ausreichend ansähe und von einem Anwendungsfall der Dienstleistungsfreiheit ausginge, sei die Rechtsprechung des EuGH zu berücksichtigen, wonach zur Herstellung der Unionskonformität nur die im unmittelbaren Zusammenhang mit der steuerpflichtigen Tätigkeit stehenden, vom Vergütungsgläubiger "mitgeteilten" Betriebsausgaben zu berücksichtigen seien. Auf die Frage, ob der Beschwerdeführerin von den portugiesischen Gesellschaften entsprechende Ausgaben "mitgeteilt" worden seien, müsse aber nicht näher eingegangen werden, weil die Beschwerdeführerin keine derartige Prozessbehauptung aufgestellt habe bzw. habe aufstellen können, zumal im Zeitpunkt der Auszahlung der Arbeitslöhne die darauf abzielende Judikatur noch nicht bekannt gewesen sei. Eine weitergehende Einschränkung dahin, dass auch vom Vergütungsgläubiger nicht mitgeteilte Betriebsausgaben zu schätzen und in Abzug zu bringen wären, erfordere der Anwendungsvorrang des Unionrechts nicht. Vielmehr könne der Steuerschuldner seine Erwerbsaufwendungen im Nachhinein im Rahmen des Erstattungsbegehrens geltend machen.

8 Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihrem einfach gesetzlich gewährleisteten Recht auf richtige Steuerfestsetzung insoweit verletzt, "als eine Abzugsteuer gemäß § 99 EStG vorgeschrieben wurde, obwohl eine Rechtsgrundlage hiefür nicht bzw. nicht in der berechneten Höhe bestand".

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10 Gemäß § 98 Abs. 1 Z 3 EStG 1988 unterliegen Einkünfte aus Gewerbebetrieb (§ 23) der beschränkten Einkommensteuerpflicht (§ 1 Abs. 3). Einkünfte aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung sind nach dieser Bestimmung auch dann steuerpflichtig, wenn vom Gesteller der Arbeitskräfte keine inländische Betriebsstätte unterhalten wird und kein ständiger Vertreter im Inland bestellt ist.

11 § 99 Abs. 1 Z 5 EStG 1988 normiert bei Einkünften aus der Gestellung von Arbeitskräften zur inländischen Arbeitsausübung eine Abzugsteuerpflicht, wobei der Schuldner dieser Einkünfte nach § 101 Abs. 2 EStG 1988 für die Einbehaltung und Abfuhr der Steuerabzugsbeträge haftet.

12 Dass sich im Beschwerdefall Beschränkungen des Besteuerungsanspruches Österreichs aus dem Doppelbesteuerungsabkommen Österreich - Portugal BGBl. 85/1972 ergäben, schloss die belangte Behörde mit der Begründung aus, dass die Beschwerdeführerin trotz Aufforderung keine Bescheinigungen der portugiesischen Abgabenbehörden betreffend die Ansässigkeit der Arbeitskräftegesteller (X LDA und Y LDA) in Portugal vorgelegt habe. In der Tat wurde im Verwaltungsverfahren der Nachweis, dass eine Ansässigkeit (im Sinne des Doppelbesteuerungsabkommens) in Portugal vorliege, nicht erbracht.

13 Im Beschwerdefall ist allerdings weiters zu prüfen, ob der Erhebung der Abzugssteuer im Ausmaß von 20 % der (als Betriebsausgabe anerkannten) Zahlungen der Beschwerdeführerin an die beiden Arbeitskräftegesteller (X LDA und Y LDA), also ohne Berücksichtigung von Betriebsausgaben der Arbeitskräftegesteller, die unionsrechtlichen Grundfreiheiten entgegenstehen.

14 Der EuGH hat im Urteil vom , C-290/04, FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH , ÖStZB 2003/569, ausgesprochen, die Dienstleistungsfreiheit stehe nationalen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen der Dienstleistungsempfänger, der Schuldner der an einen gebietsfremden Dienstleister zu zahlenden Vergütung ist, im Steuerabzugsverfahren die Betriebsausgaben, die der Dienstleister ihm mitgeteilt hat und die im unmittelbaren Zusammenhang mit dessen Tätigkeiten im Mitgliedstaat der Leistungserbringung stehen, nicht steuermindernd geltend machen kann, während bei einem gebietsansässigen Dienstleister nur die Nettoeinkünfte, d. h. die nach Abzug der Betriebsausgaben verbleibenden Einkünfte, der Steuer unterliegen. Die Dienstleistungsfreiheit verbiete u. a. Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs, die darauf beruhten, dass der Dienstleister in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen niedergelassen sei, in dem die Leistung erbracht werde. Zudem schütze sie nicht nur der Erbringer von Dienstleistungen selbst, sondern auch der Empfänger dieser Dienstleistungen.

15 Soweit die belangte Behörde das Vorliegen eines Anwendungsfalles der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49 EGV (nunmehr: Art. 56 AEUV) mit der Begründung ausschließt, dass die Beschwerdeführerin der Aufforderung nicht nachgekommen sei, eine Ansässigkeitsbescheinigung der für die steuerliche Erfassung der Dienstleister (Arbeitskräftegesteller X LDA und Y LDA) zuständigen ausländischen Abgabenbehörde für die Streitjahre beizubringen, ist sie nicht im Recht. Gemäß Art. 55 EGV (nunmehr: Art. 62 AEUV) iVm Art. 48 EGV (nunmehr: Art. 54 AEUV) erfasst die Dienstleistungsfreiheit auch die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben. Der satzungsmäßige Sitz der - nach portugiesischem Recht gegründeten - Gesellschaften X LDA und Y LDA befand sich im Streitzeitraum unstrittig in Portugal. Mit ihrer gewerblichen Tätigkeit (Arbeitskräftegestellung) in Österreich waren die Gesellschaften damit im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit tätig. Eine Ansässigkeitsbescheinigung der für die steuerliche Erfassung zuständigen portugiesischen Abgabenbehörde ist für das Vorliegen eines Anwendungsfalles der Dienstleistungsfreiheit nicht erforderlich.

16 Im Erkenntnis vom , 2006/14/0109, auf welches gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, aus einer Zusammenschau der Urteile Scorpio Konzertproduktionen GmbH einerseits und Gerritse (, ÖStZB 2003/569) andererseits ergibt sich das unionsrechtliche Gebot (Dienstleistungsfreiheit), dass der in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Dienstleister bei der Besteuerung im Steuerabzugsverfahren in Österreich keine höhere Besteuerung erfahren darf, als sie für den gebietsansässigen Dienstleister gegeben ist. Ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit ist aber bereits insoweit nicht mehr gegeben, als der Dienstleistungsempfänger, der Schuldner der an einen gebietsfremden Dienstleister zu zahlenden Vergütung ist, im Steuerabzugsverfahren Steuern lediglich in der Höhe einbehalten und an das Finanzamt abführen muss, die sich auch bei einem gebietsansässigen Dienstleister bei Besteuerung seiner Nettoeinkünfte im Veranlagungsverfahren ergibt.

17 Für den Beschwerdefall bedeutet dies, dass die belangte Behörde die Höhe der Steuer zu berechnen hat, die sich für die von den portugiesischen Arbeitskräftegestellern in den Jahren 2000 bis 2002 erzielten "Nettoeinkünfte" (bei Berücksichtigung - nur - der die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Arbeitskräftegestellung in Österreich stehenden und der Beschwerdeführerin bekannt gegebenen Betriebsausgaben) tarifmäßig nach § 22 Abs. 1 KStG 1988 in der für den Streitzeitraum maßgeblichen Fassung ergibt (maximal jedoch 20 % der Bruttozahlungen). Einer Besteuerung im Steuerabzugsverfahren mit einem darüber hinausgehenden Betrag steht die Dienstleistungsfreiheit entgegen.

18 Die belangte Behörde ging in ihrer Alternativbegründung ebenfalls von einem Anwendungsfall der Dienstleistungsfreiheit aus. Zu Unrecht nahm sie aber an, sie müsse nicht darauf eingehen, ob der Beschwerdeführerin von den portugiesischen Gesellschaften entsprechende Betriebsausgaben iSd Urteils Scorpio "mitgeteilt" worden seien, weil die Beschwerdeführerin keine derartige "Prozessbehauptung" aufgestellt habe. Die belangte Behörde übersieht damit nämlich, dass die Beschwerdeführerin im Berufungsverfahren u.a. vorgebracht hat, ihr Geschäftsführer sei im Streitzeitraum auch Geschäftsführer der portugiesischen X LDA gewesen und habe als solcher die Personalaufwendungen der X LDA "abgesegnet", die dann unmittelbar von der Beschwerdeführerin ausbezahlt worden seien. Zudem hat die Beschwerdeführerin Unterlagen betreffend die Lohnverrechnung der X LDA und die Anmeldung der portugiesischen Arbeitnehmer im Heimatstaat vorgelegt. Somit waren der Beschwerdeführerin zumindest hinsichtlich einer der portugiesischen Gesellschaften (X LDA) die Lohnaufwendungen für die gestellten Arbeitnehmer bekannt und lagen ihr auch Unterlagen betreffend diese Lohnaufwendungen vor. Diese Lohnaufwendungen standen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Tätigkeit der X LDA in Österreich. Einer (formellen) "Mitteilung" der Lohnaufwendungen bedarf es bei dieser Konstellation nicht.

19 Der angefochtene Bescheid ist somit mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

20 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

21 Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.

Wien, am