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VwGH vom 25.11.2010, 2006/15/0144

VwGH vom 25.11.2010, 2006/15/0144

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Salzburg-Stadt in 5026 Salzburg, Aignerstraße 10, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom , Zl. RV/0326-F/04, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Jahresausgleiche 1989 bis 1992 und Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 1993 bis 1995 sowie Jahresausgleiche 1989 bis 1992 und Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 1993 bis 1995 (mitbeteiligte Partei: F W in S), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein ehemaliger Finanzbeamter, erzielte im Streitzeitraum Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und machte im Rahmen der Jahresausgleiche 1989 bis 1992 und der Arbeitnehmerveranlagungen 1993 bis 1995 Sonderausgaben, Werbungskosten und außergewöhnliche Belastungen geltend, die antragsgemäß berücksichtigt wurden.

Mit Bescheiden vom verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Durchführung der Jahresausgleiche 1989, 1990, 1991 und 1992 und der Arbeitnehmerveranlagungen 1993, 1994 und 1995 und begründete diese wie folgt:

"Sie haben jahrelang Kuraufenthalte im In- und Ausland für

sich und Ihren Sohn ... als außergewöhnliche Belastungen geltend

gemacht, die aufgrund von vorgelegten ärztlichen Anweisungen und Kuranträgen an die Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter (im Folgenden kurz: BVA) vom Finanzamt anerkannt worden sind. Das Finanzamt ist dabei der von Ihnen vertretenen Rechtsansicht gefolgt, dass Aufwendungen für ärztlich angeordnete Aufenthalte zur Erhaltung bzw. Stabilisierung der Gesundheit als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen sind.

Mittlerweile liegen Äußerungen des Arztes vor, nach dessen Anweisungen Sie angeblich die geltend gemachten In- und Auslandskuraufenthalte absolviert haben.

Danach hat er Sie nie untersucht, nie behandelt und nie wissentlich Kuraufenthaltsanträge unterzeichnet. Er bestätigt lediglich mehrmals schriftliche Anweisungen, meist für physikalische Behandlungen (wie Massagen etc.), ausgestellt zu haben, die infolge Ihrer sportlichen Aktivitäten indiziert waren.

Es handelt sich dabei um neu hervorgekommene Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 4 BAO.

Bei der Ermessensabwägung war angesichts der Schwere der festgestellten Unrichtigkeiten ein Überwiegen der Rechtsrichtigkeit gegenüber der Rechtsbeständigkeit anzunehmen."

Für die Jahre 1993 und 1995 wurde die Wiederaufnahme der Verfahren zudem damit begründet, dass sich der Mitbeteiligte (1993) und sein Sohn (1993 und teilweise 1995) nicht am angegebenen Kurort aufgehalten hätten.

Die gegen die Wiederaufnahme der Verfahren gerichtete Berufung wurde vom Finanzamt mit Berufungsvorentscheidung abgewiesen, worauf vom Mitbeteiligten ein Antrag auf Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz gestellt wurde.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der gegen die Wiederaufnahme der Verfahren gerichteten Berufung statt, wies die gegen die Sachbescheide gerichtete Berufung als unzulässig zurück, und führte begründend aus:

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes seien Aufwendungen für Kuraufenthalte nur dann als außergewöhnliche Belastung abziehbar, wenn sie zwangsläufig erwachsen würden und die Reise nach ihrem Gesamtcharakter eine Kurreise, auch mit einer nachweislich kurmäßig geregelten Tages- und Freizeitgestaltung, und nicht nur ein Erholungsaufenthalt sei, welcher der Gesundheit letztlich auch förderlich sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 98/15/0123, mit dem über die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Aufhebungsbescheid der Finanzlandesdirektion betreffend Einkommensteuer für das Jahr 1996 abgesprochen wurde).

Gegenständlich seien mit den Jahresausgleichsanträgen bzw. den Anträgen zur Arbeitnehmerveranlagung folgende Unterlagen vorgelegt worden:

"- für das Jahr 1989 vom (Mitbeteiligten) als

Bestätigung einer medizinisch indizierten Kur ein von (Dr. L)

unterschriebenes Ansuchen an die BVA mit dem Vorschlag eines

Kuraufenthaltes in Ischia, für seinen Sohn ... ein Ansuchen an die

BVA für einen Landaufenthalt in Bad Schallerbach;

- für 1990 ein Ansuchen des (Mitbeteiligten) an die

BVA mit dem Vorschlag Kuraufenthalt in Ischia, für seinen Sohn ein

Ansuchen an die BVA mit dem Vorschlag Landaufenthalt Schallerbach,

- für 1991 ein Ansuchen an die BVA für seinen Sohn mit

dem Vorschlag Land- oder Seeaufenthalt;

- für 1992 ein Ansuchen des (Mitbeteiligten) an die

BVA mit dem Vorschlag Kur in Ischia, Abano etc., für seinen Sohn ein Ansuchen an die BVA für einen Land- oder Seeaufenthalt Kan. Inseln,


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-
für 1993 mit , und datierte Rezeptzettel des (Dr. L) mit Anweisung Kuraufenthalt Kan. Inseln, Anweisung Kuraufenthalt Fuerteventura und Anweisung Kuraufenthalt Kan. Inseln;
-
für 1994 ein Ansuchen des (Mitbeteiligten) an die
BVA mit dem Vorschlag Kuraufenthalt in Sotavento, Fuerteventura, für den Sohn ein Ansuchen an die BVA mit dem Vorschlag Land- oder Seeaufenthalt, sowie eine Rezeptanweisung des (Dr. L) für einen Kuraufenthalt in Fuerteventura und
- für 1995 vorerst keinerlei ärztliches Schreiben oder
BVA - Ansuchen, dann - erst im Rahmen des Berufungsverfahrens - drei Ansuchen des (Mitbeteiligten) an die BVA einmal mit Vorschlag Kuraufenthalt Fuerteventura, einmal mit Vorschlag Ischia für ihn sowie für den Sohn ein Ansuchen an die BVA mit dem Vorschlag Land- oder Seeaufenthalt."
Die Ansuchen an die BVA, in denen der unterfertigende Arzt im Vordruckteil betreffend "Befund und Antrag des behandelnden Arztes" den jeweiligen Kuraufenthalt vorschlage, würden, mit Ausnahme eines Ansuchens aus dem Jahre 1995, weder einen Eingangsnoch einen Erledigungsvermerk der BVA aufweisen. Die handschriftlichen "Anweisungen" des Arztes seien auf Rezeptzetteln verfasst und teilweise unleserlich. In den Beilagen zu den Jahresausgleichsanträgen und Anträgen zur Arbeitnehmerveranlagung weise der Mitbeteiligte Fahrtkosten (in der Regel Kilometergelder), pauschale Tages- und Nächtigungsdiäten, Kosten für namentlich angeführte Ärzte und (in geringem Umfang) Arztkosten im Rahmen von Kuraufenthalten sowie Aufwendungen für Kuranwendungen aus.
Die Wiederaufnahmebescheide seien, abgesehen von den in den Jahren 1993 und 1995 zusätzlich ins Treffen geführten Gründen, einzig damit begründet, dass der Mitbeteiligte jahrelang Kuraufenthaltskosten im In- und Ausland für sich und seinen Sohn geltend gemacht habe, die auf Grund vorgelegter ärztlicher Anweisungen und Kuranträge an die BVA anerkannt worden seien. Das Finanzamt sei dabei der vom Mitbeteiligten vertretenen Rechtsansicht gefolgt, dass Aufwendungen für ärztlich angeordnete Aufenthalte zur Erhaltung bzw. Stabilisierung der Gesundheit als außergewöhnliche Belastungen anzuerkennen seien. Mittlerweile lägen Äußerungen des Arztes vor, nach dessen Anweisungen der Mitbeteiligte die Kuraufenthalte absolviert habe. Danach habe der Arzt den Mitbeteiligten nie untersucht, nie behandelt und nie wissentlich Kuraufenthaltsanträge unterzeichnet. Der Arzt bestätige lediglich mehrmals schriftliche Anweisungen, meist für physikalische Behandlungen ausgestellt zu haben, die infolge der sportlichen Aktivitäten des Mitbeteiligten indiziert gewesen seien.
Im Hinblick auf die eingangs angeführten Grundsätze für die steuerliche Anerkennung von Kuraufwendungen als außergewöhnliche Belastung, hätten die vom Mitbeteiligten geltend gemachten Aufwendungen nicht anerkannt werden dürfen. Die Ansuchen an die BVA beinhalteten eine nur allgemein gehaltene ärztliche Empfehlung (beispielsweise für einen Land- oder Seeaufenthalt) und würden - mit einer einzigen Ausnahme - weder einen Eingangs- noch einen Genehmigungsvermerk der BVA aufweisen. Der Aktenlage sei nicht zu entnehmen, dass die BVA, abgesehen von geringfügigen Kostenersätzen für den Sohn des Mitbeteiligten in den Jahren 1989 und 1991, für die Kuraufenthalte Kostenersätze geleistet habe. Ebenso wenig stellten die handschriftlichen "Anweisungen" von Dr. L ein ärztliches Zeugnis dar, mit dem der Nachweis der Zwangsläufigkeit des Kuraufenthaltes erbracht worden wäre, weil aus diesen, soweit leserlich, nicht einmal die Notwendigkeit und Dauer eines solchen Aufenthaltes hervorgehe. Aus den im Akt befindlichen Unterlagen ergebe sich auch nicht, dass Kuraufenthalte mit einer kurmäßig geregelten Tages- und Freizeitgestaltung absolviert worden wären. Der Ansatz pauschaler Aufwendungen (Tages- und Nächtigungsgelder) und das Fehlen ins Gewicht fallender Kur- und Therapiekosten lasse vielmehr auf das Vorliegen von Erholungsaufenthalten schließen, die der Gesundheit letztlich auch förderlich seien.
Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre den im wiederaufgenommenen Verfahren unberücksichtigt gebliebenen Kurkosten bereits in den Erstbescheiden die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung zu versagen gewesen. Die Frage der steuerlichen Anerkennung hänge nicht davon ab, ob die Bestätigungen des Arztes den tatsächlichen Gegebenheiten entsprächen, weil die vorgelegten Ansuchen an die BVA und die ärztlichen Anweisungen von vornherein nicht geeignet seien, die Zwangsläufigkeit der geltend gemachten Aufwendungen aufzuzeigen. Dass Dr. L den Mitbeteiligten nie untersucht und behandelt und nie wissentlich Kuraufenthaltsanträge unterzeichnet habe - was vom Mitbeteiligten bestritten werde - trage daher die Wiederaufnahme nach § 303 BAO nicht, weil die Kenntnis dieser Umstände zu keinem im Spruch anders lautenden Bescheid geführt hätte.
Da die Voraussetzungen für die Berücksichtigung von Kurkosten als außergewöhnliche Belastung bereits dem Grunde nach nicht vorlägen, stellten auch die hinsichtlich der Jahre 1993 und 1995 zusätzlich ins Treffen geführten Umstände, wonach sich der Mitbeteiligte (1993) und sein Sohn (1993 und teilweise 1995) nicht am angegebenen Kurort aufgehalten hätten, keine tauglichen Wiederaufnahmsgründe dar, führe doch auch die Kenntnis dieser Umstände - ungeachtet der vom Mitbeteiligten erhobenen Einwendungen - zu keinem anders lautenden Bescheid.
Die belangte Behörde dürfe sich im Rahmen der Entscheidung über eine gegen die Wiederaufnahme eines Verfahrens erhobene Berufung auf keine neuen, vom Finanzamt nicht herangezogenen Wiederaufnahmsgründe stützen und habe nur zu beurteilen, ob die im Wiederaufnahmebescheid der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigten. Da die Angabe tauglicher Wiederaufnahmsgründe in einer Berufungsvorentscheidung nicht nachgeholt werden könne, erübrige sich auch das Eingehen auf die Frage, ob die in der Berufungsvorentscheidung angeführten Gründe eine Wiederaufnahme der Verfahren allenfalls getragen hätten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid vom Finanzamt erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Gemäß § 303 Abs. 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter anderem in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Im Beschwerdefall kann bei verständiger Würdigung der Begründungen der Wiederaufnahme und der neuen Sachbescheide des Finanzamtes kein Zweifel daran bestehen, dass das Finanzamt die gegenständlichen Verfahren deswegen wiederaufgenommen hat, weil im Zuge von Erhebungen Tatsachen hervorgekommen sind, aus denen sich ergibt, dass der Mitbeteiligte zu Unrecht Aufwendungen für "ärztlich verordnete Kuraufenthalte" als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht hat. Die Aufenthalte seien entweder überhaupt nicht oder jedenfalls nicht "kurmäßig" über entsprechende ärztliche Anordnung absolviert worden. Eine Offenlegung dieser Umstände ist in den Abgabenerklärungen unstrittig nicht erfolgt. Auch fehlen jegliche Hinweise dafür, dass diese Tatsachen dem Finanzamt aus anderen Gründen schon im abgeschlossenen Verfahren bekannt gewesen wären.

Damit sind alle Voraussetzungen einer Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO erfüllt.

Die belangte Behörde irrt, wenn sie vermeint, das Finanzamt hätte den geltend gemachten "Kurkosten" bei richtiger rechtlicher Beurteilung bereits in den Erstbescheiden - ohne weitere Erhebungen (und darauf kommt es entscheidend an) - die Anerkennung als außergewöhnliche Belastung versagen müssen. Aufwendungen für Kuraufenthalte können nämlich unter bestimmten (wenn auch sehr einschränkenden) Bedingungen als außergewöhnliche Belastung in Betracht kommen (vgl. Hofstätter/Reichel, EStG 1988,§ 34 Einzelfälle, sowie die hg. Erkenntnisse vom , 2001/15/0164, und vom , 2007/15/0022, mit welchem - wenn auch abweisend - über ebensolche Aufwendungen abgesprochen wurde).

Der angefochtene Bescheid ist daher mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am