VwGH vom 24.02.2009, 2008/22/0584

VwGH vom 24.02.2009, 2008/22/0584

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Dr. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Arnulf Summer, Dr. Nikolaus Schertler und Mag. Nicolas Stieger, Rechtsanwälte in 6900 Bregenz, Kirchstraße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom , Zl. Fr-4250a-3/06, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 in Verbindung mit den §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein unbefristetes Aufenthaltsverbot für das Bundesgebiet der Republik Österreich.

Zur Begründung führte sie aus, dass der Beschwerdeführer bereits mit Urteil vom rechtskräftig wegen des (teils versuchten) Verbrechens des schweren Diebstahls teils durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 4, 129 Z 1 und 2 StGB in Anwendung des § 5 JGG zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden sei.

Eine weitere rechtskräftige Verurteilung sei am nach § 28 Abs. 2 und 3 Suchtmittelgesetz (SMG) in Verbindung mit § 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten, davon 20 Monate bedingt nachgesehen, erfolgt. Demnach habe er teils allein, teils mit einem Mittäter, von November 1999 bis März 2000, von Mai 2001 bis November 2001 und am mehrmals Kokain von Slowenien bzw. der Schweiz nach Österreich geschmuggelt bzw. zu schmuggeln versucht sowie in Verkehr gesetzt.

Eine weitere einschlägige rechtskräftige Verurteilung sei am mit folgendem Schuldspruch erfolgt:

Der Beschwerdeführer habe

"I) den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG) - insgesamt minimal beinhaltend 90 Gramm reine Kokainbase - in Verkehr gesetzt, wobei die Tat teilweise beim Versuch geblieben ist, und zwar

1) im Zeitraum April 2003 bis Mai 2004 in Vorarlberg insgesamt ca. 150 Gramm Kokain an den mittlerweile bereits verurteilten Mehmed M verkauft;

2) am in Innsbruck gemeinsam mit dem mittlerweile bereits verurteilten Mehmed M ca. 150 Gramm Kokain an einen unbekannten Drogenabnehmer zu verkaufen versucht, wobei die Kokainübergabe lediglich wegen der verspäteten Ankunft am vereinbarten Übergabeort gescheitert ist;

3) im Zeitraum Weihnachten 2003 bis Frühjahr 2004 in Vorarlberg insgesamt ca. 50 Gramm Kokain an den abgesondert verfolgten Ahmet H verkauft;

4) im Zeitraum Sommer 2003 bis Herbst 2003 in Vorarlberg insgesamt ca. 50 Gramm Kokain an den abgesondert verfolgten Murat Ö verkauft;

5) im Zeitraum November 2003 bis Jänner 2004 in Vorarlberg insgesamt ca. fünf Gramm Kokain an den mittlerweile bereits verurteilten Milosav M verkauft;

6) im Zeitraum Winter 2003/2004 in Vorarlberg insgesamt ca. vier Gramm Kokain an die abgesondert verfolgte Dragana M verkauft;

II) im Zeitraum April 2003 bis Mai 2004 in Vorarlberg den bestehenden Vorschriften zuwider ein Suchtgift erworben und besessen, indem er geringe Mengen Kokain konsumierte;

III) im Zeitraum bis in Lustenau, wenn auch nur fahrlässig, eine Pistole der Marke Walther TPH, Nr. 268658, Kaliber 6, 35 mm, mithin eine genehmigungspflichtige Schusswaffe, unbefugt besessen.

Er hat hiedurch begangen:

zu I) die teilweise in der Entwicklungsstufe des Versuchs (§ 15 StGB) gebliebenen (6-fach) Verbrechen nach § 28 Abs. 2 vierter Fall SMG;

zu II) die Vergehen nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall SMG in unbestimmter Anzahl;

zu III) das Vergehen nach § 50 Abs. 1 Ziff 1 WaffenG und er wird hiefür in Anwendung des § 28 StGB nach § 28 Abs. 2 SMG zu einer

Freiheitsstrafe in der Dauer von 30 (dreißig) Monaten

sowie gemäß § 389 StPO zum Ersatz der Kosten des Strafverfahrens

verurteilt. "

Gleichzeitig wurde die mit Urteil vom gewährte

bedingte Strafnachsicht widerrufen.

Ausgehend von diesen Feststellungen erachtete die belangte Behörde die Tatbestandsvoraussetzungen des § 62" Abs. 1 und 2 FPG als erfüllt und auch die Annahme als gerechtfertigt, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen, insbesondere an der Verhinderung strafbarer Handlungen und am Schutz der Gesundheit anderer, zuwiderlaufe. Es bestehe eine hohe Rückfallsgefahr, zumal der Beschwerdeführer nach seiner Haftentlassung am bereits im April 2003 den Drogenhandel wieder aufgenommen habe.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers stellte die belangte Behörde fest, dass dieser in Österreich geboren worden, jedoch kurz darauf mit seiner Familie zurück nach Jugoslawien gezogen sei. Mit elf Jahren, im November 1991, sei er wieder nach Österreich gekommen und halte sich seither hier auf. Er sei ledig und habe eine eigene Wohnung. Seine Mutter und (weitere) nahe Verwandte lebten ebenfalls in Österreich; seit besitze er einen unbefristeten Aufenthaltstitel.

Aufgrund dieser Umstände werde mit dem Aufenthaltsverbot in einem bedeutenden Maß in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen. Dieser Eingriff sei jedoch im Interesse der Gesundheit anderer sowie zur Verhinderung strafbarer Handlungen dringend geboten, weil der Suchtgiftkriminalität ein erhebliches Gefährdungspotential für die Gesundheit der Bevölkerung innewohne. Im Blick auf die besondere Gefährlichkeit von Suchtgiftdelikten wäre die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes selbst bei völliger sozialer Integration nicht rechtswidrig. Unter Berücksichtigung aller Umstände dränge das in hohem Maß bestehende öffentliche Interesse, den weiteren Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu untersagen, dessen private und familiäre Interessen in den Hintergrund. Die unbefristete Dauer des Aufenthaltsverbotes sei erforderlich, um den angestrebten Zweck, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit und die Verhinderung weiterer Straftaten, zu erreichen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 11 Abs. 3 der Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung gilt die unbefristete Niederlassungsberechtigung des Beschwerdeführers als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG". Somit kommt dem Beschwerdeführer § 56 FPG zugute.

Diese Bestimmung lautet:

"§ 56. (1) Fremde, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes auf Dauer rechtmäßig niedergelassen waren und über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt-Familienangehöriger" verfügen, dürfen nur mehr ausgewiesen werden, wenn ihr weiterer Aufenthalt eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellen würde.

(2) Als schwere Gefahr im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht

1. wegen eines Verbrechens oder wegen Schlepperei, Beihilfe zu unbefugtem Aufenthalt, Eingehen oder Vermittlung von Aufenthaltsehen oder gemäß der §§ 27 Abs. 2, 28 Abs. 1 und 32 Abs. 1 SMG oder nach einem Tatbestand des 16. oder 20. Abschnitts des Besonderen Teils des StGB oder

2. wegen einer Vorsatztat, die auf derselben schädlichen Neigung (§ 71 StGB) beruht, wie eine andere von ihnen begangene strafbare Handlung, deren Verurteilung noch nicht getilgt ist, zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

(3) § 55 Abs. 4 und 5 gilt."

Die belangte Behörde hätte somit die Gefährdungsprognose nach § 56 FPG erstellen müssen. Dadurch, dass sie ihre Prognose nach § 60 FPG erstellt hat - bei der Zitierung des § 62 FPG handelt es sich um einen offenkundigen Irrtum -, hat sie den Beschwerdeführer jedoch nicht in Rechten verletzt, weil sein beträchtliches Fehlverhalten im Bereich der Suchtmittelkriminalität zweifellos eine schwere Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit nach § 56 Abs. 1 FPG darstellt, zumal auch die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 FPG erfüllt wurden (vgl. zum Verhältnis der §§ 56 und 60 FPG das hg. Erkenntnis vom , 2008/21/0603).

Bei der Überprüfung des angefochtenen Bescheides ist auf den maßgeblichen Zeitpunkt von dessen Erlassung abzustellen. Ob der Beschwerdeführer - wie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren behauptet - eine Suchtmitteltherapie erfolgreich abgeschlossen hat, kann somit in die Beurteilung nicht einfließen.

Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, dass eine Interessenabwägung (nach § 66 in Verbindung mit § 60 Abs. 6 FPG) nicht stattgefunden habe.

Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 6 FPG ist, würde durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, diese Maßnahme nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach § 66 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 6 FPG ist das Aufenthaltsverbot unzulässig, wenn dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung.

Der genannte Vorwurf entbehrt jeglicher Grundlage, hat die belangte Behörde doch - wie zitiert - die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich den öffentlichen Interessen an der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegenüber gestellt. Es kann auch das Ergebnis dieser Interessenabwägung nicht als rechtswidrig festgestellt werden. Zum einen wurde der Beschwerdeführer im Bereich der Suchtmittelkriminalität in gravierender Weise straffällig, zum anderen verfügt er nicht über eine Kernfamilie (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) in Österreich. Das öffentliche Interesse an der ausgesprochenen fremdenpolizeilichen Maßnahme ist als besonders groß anzusetzen, hat doch der Beschwerdeführer - wie von der belangten Behörde zutreffend hervorgehoben - bereits kurz nach seiner Haftentlassung den Suchtmittelhandel fortgesetzt.

Soweit die Beschwerde den Ermessensgebrauch durch die belangte Behörde anspricht, ist ihr zu erwidern, dass bei Verwirklichung des Tatbestandes des § 56 Abs. 2 (gleichlautend mit § 55 Abs. 3) FPG eine Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes mit dem Gesetz nicht in Einklang stünde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/21/0292).

Da dem angefochtenen Bescheid somit die behauptete Rechtswidrigkeit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG unterbleiben.

Ein Kostenzuspruch hatte mangels Kostenbegehrens zu entfallen.

Wien, am