VwGH vom 27.06.2013, 2013/15/0129
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des PW in L, vertreten durch Mag. Kurt Ehninger, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Dinghoferstraße 5, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zlen. RV/0355- L/10, RV/0356-L/10, RV/0357-L/10, RV/0358-L/10, RV/0359-L/10, betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens (Umsatzsteuer, Einkommensteuer 2002 bis 2005), Umsatz- und Einkommensteuer 2002 bis 2005 sowie Anspruchszinsen 2002 bis 2005, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Beim Beschwerdeführer fand für die Jahre 2002 bis 2005 eine abgabenbehördliche Prüfung statt, in deren Ergebnis die Verfahren der Jahre 2002 bis 2005 wiederaufgenommen und geänderte Umsatz- und Einkommensteuerbescheide für die genannten Jahre erlassen und Anspruchszinsen vorgeschrieben wurden.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung gegen die angeführten Bescheide. Er beantragte die gänzliche Aufhebung der Bescheide und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor der Berufungsbehörde.
Nachdem das Finanzamt eine Stellungnahme des Prüfers eingeholt und diese dem Beschwerdeführer zur Gegenäußerung übermittelt hatte, legte es die Berufung am der belangten Behörde zur Entscheidung vor.
Mit Schreiben vom , dem Beschwerdeführer am zugestellt, erging eine Vorladung zur beantragten mündlichen Verhandlung für Dienstag, den .
Am Freitag, den , langte bei der belangten Behörde ein Schreiben des steuerlichen Vertreters des Beschwerdeführers ein, in dem dieser von seinem Recht Gebrauch machte, den Referenten HR X gemäß § 278 Abs. 1 BAO wegen Befangenheit abzulehnen. Begründet wurde der Antrag mit einem im Juli 2012 geführten Telefonat des Referenten mit dem steuerlichen Vertreter. Thema des Gespräches sei die vom Beschwerdeführer verlangte Abhaltung einer mündlichen Verhandlung gewesen. Der Referent habe damals erwähnt, dass er "diesen Fall sowieso gegen (den Beschwerdeführer) entscheiden werde, denn wir dürften nicht meinen, dass dieser Fall anders entschieden werden würde, als jener zu Zl. 2003/14/0002". Auch in diesem Fall sei der Referent als Vertreter der entscheidenden Behörde involviert gewesen. Der damalige Fall sei jener gewesen, mit dem "er" (HR X) "die Rechtsprechung auf die Reihe gebracht" habe. Diese Äußerungen ließen den Schluss zu, dass HR X im gegenständlichen Berufungsverfahren als befangen anzusehen sei.
Am wurde die mündliche Verhandlung plangemäß abgehalten und der Ablehnungsantrag vom Referenten verworfen. Im angefochtenen Bescheid, der vom Referenten erlassen und mit dem die Berufung als unbegründet abgewiesen wurde, wird zum Ablehnungsantrag ausgeführt, dass zwischen der mündlichen Berufungsverhandlung und der möglichen Ausfertigung einer Entscheidung über den Ablehnungsantrag nur ein Arbeitstag (Montag, der ) gelegen sei. Eine rechtzeitige Entscheidung über den Ablehnungsantrag sei in diesem Zeitraum nicht möglich gewesen. Ein Grund für eine Befangenheit seiner Person liege nicht vor. Als Parteilichkeit oder Voreingenommenheit könne die Darlegung, welcher Antrag vom Referenten an den Berufungssenat gestellt werde, nicht angesehen werden. Die Mitteilung von Ergebnissen der Beweiswürdigung sei nicht verpflichtend. Geschehe dies aber dennoch, so stelle diese Vorgangsweise sogar einen Vorteil für die Partei dar, weil sie Gelegenheit erhalte, eine gezielte Gegenäußerung abzugeben. Dass mit den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2002/13/0104, und vom , 2003/14/0002, erstmals die wichtigsten Grundsätze für die Umsatzbesteuerung von Bordellbetrieben hinsichtlich der Umsätze der Prostituierten festgelegt worden seien, sei Fakt. Es lägen daher keine wichtigen Gründe iSd § 76 Abs. 1 lit. c BAO oder andere Gründe vor, die die volle Unbefangenheit des Referenten in Zweifel ziehen könnten.
Mit der vorliegenden Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer u.a. gegen die Art der Behandlung seines Ablehnungsantrages und gegen die Erlassung der Berufungsentscheidung durch eine unzuständige Behörde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Organe der Abgabenbehörden haben sich gemäß § 76 Abs. 1 BAO u. a. dann der Ausübung ihres Amtes wegen Befangenheit zu enthalten und ihre Vertretung zu veranlassen, wenn es sich um ihre eigenen Abgabenangelegenheiten oder um jene eines ihrer Angehörigen oder Pflegebefohlenen handelt (lit. a), wenn sie als Vertreter einer Partei bestellt sind oder waren (lit. b) oder wenn "sonstige wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, ihre volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen" (lit. c).
Im Verfahren vor der belangten Behörde steht den Parteien gemäß § 278 Abs. 1 BAO das mit dem Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002, eingeführte "Recht zu, ein Mitglied des Berufungssenates mit der Begründung abzulehnen, dass einer der im § 76 Abs. 1 aufgezählten Befangenheitsgründe vorliegt". Gemäß § 278 Abs. 3 BAO sind Ablehnungsanträge bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen und die Gründe für die Ablehnung glaubhaft zu machen.
Die Geschäftsverteilung der belangten Behörde hat nach § 270 Abs. 2 zweiter Satz BAO "zu regeln, wem die Entscheidung über Ablehnungsanträge (§ 278) obliegt". Die im Zeitpunkt des Ablehnungsantrages des Beschwerdeführers maßgebliche Fassung der Geschäftsverteilung sah - wie auch die derzeit gültige - in Punkt 3.2.8.1 die Zuständigkeit des Vorsitzenden des Berufungssenates zur Entscheidung über Ablehnungsanträge gegen hauptberufliche Mitglieder vor. Über die Ablehnung des Vorsitzenden des Berufungssenates hatte (und hat) der Landessenatsvorsitzende zu entscheiden.
Punkt 3.2.8.2 der Geschäftsverteilung lautete (und lautet):
"Über Ablehnungsanträge (§ 278 BAO) die während der mündlichen Berufungsverhandlung (§ 284 BAO) eingebracht werden, entscheidet das für die Sachentscheidung zuständige Organ (Referent bzw. gesamter Berufungssenat). Gleiches gilt für Ablehnungsanträge, die unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt werden und eine rechtzeitige Entscheidung durch das nach Punkt 3.2.8.1 zuständige Organ nicht ohne ungebührliche Verzögerung der Verhandlung möglich ist."
Im Bericht des Finanzausschusses zum Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz heißt es zu § 278 BAO, zu den Grundsätzen eines fairen Verfahrens im Sinn des Art. 6 Abs. 1 MRK gehöre u.a. die Möglichkeit der Ablehnung von Mitgliedern des Tribunals. Daher werde das Recht, Mitglieder der Berufungssenate wegen Vorliegens von Befangenheitsgründen (§ 76 Abs. 1 BAO) abzulehnen, vorgesehen. Die Entscheidung über den Ablehnungsantrag sei eine verfahrensleitende Verfügung im Sinn des § 94 BAO, der betreffende Bescheid daher nicht abgesondert anfechtbar (1128 BlgNR 21. GP 12).
In der Gegenschrift zur Beschwerde verteidigt die belangte Behörde ihr Vorgehen mit dem Hinweis, dass der Ablehnungsantrag "sowohl dem Sachbearbeiter als auch dem Vorsitzenden erst am Montag, den (gemeint 2012) zugekommen" sei.
Im hg. Erkenntnis vom , 2012/13/0108, hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass der Ansicht der belangten Behörde, ein am Vortag der Verhandlung eingelangter Ablehnungsantrag sei im Sinne der zitierten Bestimmung der Geschäftsverteilung "unmittelbar vor der mündlichen Berufungsverhandlung gestellt", nicht gefolgt werden könne.
Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten. Auch im gegenständlichen Fall war der Referent daher nicht zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag zuständig. Davon abgesehen unterlässt auch der hier angefochtene Bescheid die nach der Geschäftsverteilung für Anträge, die "unmittelbar" vor der Verhandlung gestellt werden, vorgesehene Prüfung der Frage, ob das nach Punkt 3.2.8.1 der Geschäftsverteilung zuständige Organ, noch "ohne ungebührliche Verzögerung" der Verhandlung befasst werden kann.
Die Unzuständigkeit des Referenten zur Entscheidung über den Ablehnungsantrag schlägt nach der durch das Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz geschaffenen Rechtslage auf die Sachentscheidung durch, sodass der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Umsatzsteuer bereits im Pauschalbetrag für den Schriftsatzaufwand enthalten ist.
Wien, am