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VwGH vom 24.02.2009, 2008/22/0579

VwGH vom 24.02.2009, 2008/22/0579

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Farhad Paya, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/I, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Kärnten vom , Zl. 2Fr-271-1/05, betreffend ein befristetes Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit rechtskräftigem Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt, ausgefertigt am , wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Es wurde festgestellt, dass er am versucht habe, seine damalige Ehefrau zu töten. Er habe dadurch eine mit einem Jahr übersteigende Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen, die ihm, wäre er zur Tatzeit zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen des versuchten Mordes nach den §§ 15, 75 StGB zuzurechnen gewesen wäre.

Auf diese Verurteilung stützte die belangte Behörde das im Instanzenzug ergangene Aufenthaltsverbot nach § 60 Abs. 1 Z 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z 1 und § 60 Abs. 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG. Die belangte Behörde erachtete den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 iVm § 60 Abs. 4 FPG als erfüllt und die Gefährlichkeitsprognose nach § 60 Abs. 1 FPG als gegeben. Zu den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers führte sie aus, dass dieser sich seit durchgehend im Bundesgebiet aufhalte, im Besitz einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung sei und eine geschiedene Frau und zwei Söhne habe, die in Österreich lebten. Die belangte Behörde erachtete das Aufenthaltsverbot nach § 66 FPG als zulässig.

Weiters verneinte sie den Tatbestand des § 61 Z 4 FPG, weil der 1967 geborene Beschwerdeführer nicht von klein auf im Inland aufgewachsen sei.

Eine Aufenthaltsverfestigung nach § 61 Z 3 FPG sprach die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit der Begründung ab, dass dieser "im Hinblick auf den Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 61, 56 und § 55 Abs. 3 FPG wegen des Ausmaßes der gerichtlichen Verurteilungen (§ 60 Abs. 4 FPG), die über Sie ausgesprochen wurden, nicht in den Genuss der Bestimmungen über die Aufenthaltsverfestigung" komme. In diesem Zusammenhang verwies die belangte Behörde auf die Begründung des Strafurteils, wonach der Beschwerdeführer eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen habe, die ihm im Fall der Zurechnungsfähigkeit als Verbrechen des versuchten Mordes zuzurechnen gewesen wäre.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage seitens der belangten Behörde erwogen:

In der Beschwerde wird zutreffend geltend gemacht, dass § 61 Z 3 FPG dem Aufenthaltsverbot entgegensteht. Gemäß dieser Bestimmung darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn dem Fremden vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 verliehen hätte werden können, es sei denn, der Fremde wäre wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden oder er würde einen der im § 60 Abs. 2 Z 12 bis 14 FPG bezeichneten Tatbestände verwirklichen.

Unbestritten hätte dem Beschwerdeführer vor Begehung der strafbaren Handlung die Staatsbürgerschaft verliehen werden können; die in § 10 Abs. 1 Z 1 StbG geforderte zehnjährige Dauer des inländischen Hauptwohnsitzes hatte er zu diesem Zeitpunkt erfüllt.

Zum Ergebnis, dass das Aufenthaltsverbot dennoch zulässig sei, gelangte die belangte Behörde aus der Überlegung, dass aus dem "Zusammenhalt der Bestimmungen der §§ 61, 56 und 55 Abs. 3 FPG" wegen des "Ausmaßes der gerichtlichen Verurteilung" der Beschwerdeführer so zu behandeln sei, als ob er rechtskräftig zu mindestens einer unbedingten einjährigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei.

Mit dieser Auffassung befindet sich die belangte Behörde in einem Rechtsirrtum. Das FPG sieht zwar - im Gegensatz zum Fremdengesetz 1997 - in § 60 Abs. 4 ausdrücklich vor, dass einer Verurteilung nach § 60 Abs. 2 Z 1 eine von einem Gericht veranlasste Unterbringung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher (unter weiteren Voraussetzungen) gleichzuhalten ist. Dieser Klarstellung hätte es im Übrigen nicht bedurft, kann doch auch ohne Verwirklichung eines Tatbestandes des § 60 Abs. 2 FPG allein gegründet auf § 60 Abs. 1 FPG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2006/21/0039) und geht es bei der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in keiner Weise um eine Beurteilung der Schuld des Fremden an seinen Straftaten und auch nicht um eine Bestrafung (vgl. das zur diesbezüglich inhaltsgleichen Bestimmung des § 36 Abs. 1 FrG ergangene hg. Erkenntnis vom , 2001/21/0119).

Bei der Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes wegen einer Aufenthaltsverfestigung sieht jedoch § 61 Z 3 (ebenso wie § 61 Abs. 4) FPG ausdrücklich vor, dass (u.a.) auf eine rechtskräftige Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in bestimmtem Mindestmaß abzustellen ist. Wenn ein Fremder die Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt erfüllt hat, darf er nicht mit einem Aufenthaltsverbot bedacht werden, es sei denn, er wäre eines besonders schweren Verbrechens schuldig oder "terrorismusgeneigt" (Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, FPG,§ 61 Anm. 4). Ein Aufenthaltsverbot darf trotz einer Aufenthaltsverfestigung somit nur dann erlassen werden, wenn - fallbezogen - der Fremde sich in einer Weise schuldhaft verhalten hat, dass er zu einer bestimmten hohen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

Diese Bestimmung verbietet die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung, dass auch ohne Verurteilung wegen eines schuldhaften Handelns der Ausnahmetatbestand erfüllt sei.

Im Übrigen kann dem Gesetzgeber auch keine andere Intention zu Grunde gelegt werden:

Während § 20 Abs. 2 des Fremdengesetzes aus 1992 noch die Zulässigkeit des Aufenthaltsverbotes trotz möglich gewesener Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Verurteilung wegen einer mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedrohten strafbaren Handlung (abstrakt) gegründet hat, stellte (bereits) das Fremdengesetz 1997 (wie nunmehr auch das FPG) auf die (konkrete) Verurteilung zu mehr als zwei Jahren (nunmehr nach dem FPG mindestens ein Jahr) Freiheitsstrafe ab. Dies wurde in den ErlRV (685 BlgNR 20. GP 76) ausdrücklich damit begründet, dass anstatt auf eine abstrakte Strafdrohung auf eine konkrete Strafe abgestellt werden soll, "um den konkreten Unrechtsgehalt einer Tat sachgerechter beurteilen zu können".

Da es hier an einem konkreten, dem Beschwerdeführer zurechenbaren Unrechtsgehalt der Tat fehlt, steht die Aufenthaltsverfestigung dem Aufenthaltsverbot entgegen.

Bemerkt sei, dass öffentliche Interessen an der fremdenpolizeilichen Maßnahme, die auch ohne Schuld des Beschwerdeführers zweifellos gegeben sind, dadurch gewahrt sind, dass die freiheitsentziehende Maßnahme ohnedies fortgesetzt wird, solange die Gefährlichkeit des Fremden andauert (vgl. § 47 Abs. 2 StGB).

Da nach dem Gesagten die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage das Aufenthaltsverbot als zulässig erachtete, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am