VwGH vom 14.08.2019, Ra 2019/20/0016

VwGH vom 14.08.2019, Ra 2019/20/0016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger und den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zlen. W105 2144942-1/20E, W105 2144948-1/18E, W105 2144943-1/17E, W105 2144945-1/17E, W105 2144950-1/17E, W105 2144955-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Parteien: 1. L J, 2. M R, 3. H R, 4. M R, 5. T R und 6. T R, alle vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Pulverturmgasse 4/2/R1, 1090 Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1 Die Mitbeteiligten, eine Familie aus dem Irak, stellten am Anträge auf internationalen Schutz. 2 Eine Eurodac-Abfrage ergab, dass die Mitbeteiligten am in Bulgarien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatten. Nach Konsultation mit den bulgarischen Behörden teilten diese mit Schreiben vom mit, dass Bulgarien dem von Österreich gestellten Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III-Verordnung) ausdrücklich zustimme.

3 Mit Bescheiden jeweils vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Mitbeteiligten auf internationalen Schutz gemäß § 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) als unzulässig zurück und sprach aus, dass Bulgarien für die Prüfung der Anträge gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-Verordnung zuständig sei. Des Weiteren wurde die Außerlandesbringung der Mitbeteiligten angeordnet und festgestellt, dass deren Abschiebung nach Bulgarien zulässig sei. 4 Die dagegen erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab; die Revision erklärte es für nicht zulässig. 5 Die Mitbeteiligten erhoben dagegen eine außerordentliche Revision. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom wurde den Anträgen, der erhobenen Revision die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, stattgegeben. Mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2017/18/0076, wurde das Erkenntnis des BVwG vom wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufgehoben. 6 Mit dem gegenständlich angefochtenen Erkenntnis des BVwG vom wurde den Beschwerden der Mitbeteiligten gemäß § 21 Abs. 3 BFA-VG stattgegeben, die Verfahren über die Anträge auf internationalen Schutz zugelassen und die bekämpften Bescheide behoben. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt. 7 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das BVwG aus, mit dem Einlangen der Zustimmung Bulgariens zur Wiederaufnahme der Mitbeteiligten vom habe ursprünglich die sechsmonatige Überstellungsfrist zu laufen begonnen. Aufgrund des Umstandes, dass der Revision seitens des Verwaltungsgerichtshofes die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei, habe die Überstellungsfrist mit der aufhebenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes von Neuem zu laufen begonnen und begründe der Tag der Zustellung des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes, das hieße der , die Verpflichtung Bulgariens zur Wiederaufnahme der Mitbeteiligten. Die sechsmonatige Überstellungsfrist habe daher mit Ablauf des (gemeint wohl: ) geendet und sei somit zum gegenwärtigen Entscheidungszeitpunkt - ungenutzt - verstrichen. Demzufolge habe im gegenständlichen Verfahren wegen nicht erfolgter Überstellung innerhalb der dafür vorgesehenen Frist ein Übergang der Zuständigkeit gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO stattgefunden und Österreich sei nunmehr für die Führung des materiellen Verfahrens zuständig.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene Amtsrevision nach Vorlage derselben sowie der Verfahrensakten durch das BVwG und nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

9 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit bringt die Revision zusammengefasst vor, indem das BVwG auf Basis eines ca. 1 Jahr und 10 Monate alten Verwaltungsaktes eine unterbliebene Überstellung festgestellt habe, ohne unaufwendige Ermittlungen hierzu zu führen und dem BFA Parteiengehör zu dieser von ihm angenommenen Tatsache einzuräumen, weiche es von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beweiswürdigung, zur Begründungspflicht, zur Ermittlungspflicht, zur aktuellen Sachlage sowie zum Parteiengehör und Überraschungsverbot ab.

10 Die Revision ist zulässig und auch begründet.

11 Dem BFA ist beizupflichten, dass das BVwG zur Frage, ob die Mitbeteiligten nach Bulgarien überstellt wurden, kein Parteiengehör gewährte. Demnach ist das erstmals in der Revision erstattete Vorbringen, die Mitbeteiligten seien bereits am nach Bulgarien überstellt worden, wobei eine neuerliche Wiedereinreise nicht erfolgt sei, nicht vom Neuerungsverbot des § 41 VwGG erfasst.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits klargestellt, dass im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG gilt. Für das Asylverfahren stellt § 18 AsylG 2005 eine Konkretisierung der aus § 37 AVG iVm § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörde und des Verwaltungsgerichtes dar, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen (vgl. , mwN).

13 Diesen Vorgaben entspricht das angefochtene Erkenntnis nicht:

14 Das BVwG stellte unter anderem fest, die Überstellung der Mitbeteiligten sei nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung festgelegten Frist von sechs Monaten erfolgt. Die Frist habe ursprünglich mit dem Einlangen der Zustimmung zur Wiederaufnahme der Mitbeteiligten am zu laufen begonnen. Mit der Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom , das heißt mit dem , habe sie neu zu laufen begonnen und sei daher mit Ablauf des abgelaufen. Die Zuständigkeit zur Prüfung des vorliegenden Antrages auf internationalen Schutz sei daher auf Österreich als ersuchenden Mitgliedstaat übergegangen.

15 Beweiswürdigend führte es lediglich aus, die "Feststellungen zum Verfahrensgang" würden sich aus dem Verwaltungsakt ergeben.

16 Die Revision legt demgegenüber unter Hinweis auf entsprechende Eintragungen im zentralen Fremdenregister wie auch im Melderegister dar, die Mitbeteiligten seien am nach Bulgarien überstellt worden. Diese Überstellung sei noch innerhalb der sechsmonatigen Frist nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs erfolgt.

17 Zum Zeitpunkt einer Überstellung am wäre die im Zurückweisungsbescheid des BFA angeordnete aufenthaltsbeendende Maßnahme aufgrund der Nichtzuerkennung der aufschiebenden Wirkung im Beschwerdeverfahren schon vor der Erlassung der Beschwerdeentscheidung vollstreckbar gewesen. Daran änderte auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom nichts, da die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ex nunc wirkt. 18 Zwischen der Durchführbarkeit der mit der zurückweisenden Entscheidung verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Sinne des § 16 Abs. 4 BFA-VG und der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung sind fallbezogen rund fünf Monate vergangen. Das BVwG hat demnach nicht annehmen dürfen, dass eine Überstellung noch nicht erfolgt ist. Schon aufgrund des Umstandes, dass eine Überstellung erst nach Beschwerdevorlage (§ 16 Abs. 4 BFA-VG) erfolgen darf und das BVwG der Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zuerkannte, durfte sich das BVwG nicht auf den mit der Beschwerde vorgelegten Akteninhalt verlassen und hätte weitere Ermittlungen anstellen müssen.

19 Darüber hinaus ist dem BVwG die Verletzung des Grundsatzes des Parteiengehörs (vgl. erneut , mwN) vorzuwerfen, weil es dem BFA nicht die Möglichkeit eingeräumt hat, zur Feststellung, wonach eine Überstellung der Mitbeteiligten nach Bulgarien (innerhalb der Frist) nicht erfolgt sei, Stellung zu nehmen. Dieser Verfahrensmangel erweist sich angesichts des Revisionsvorbringens, die Mitbeteiligten seien am - und damit schon innerhalb der sechsmonatigen Frist nach der Annahme des Wiederaufnahmegesuchs - als relevant, weil das BVwG bei dessen Vermeidung zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.

20 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200016.L00

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