VwGH vom 20.08.2020, Ra 2019/19/0522
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens und die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des A A H, vertreten durch Mag. Karlheinz Amann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20/8-9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W159 2183865-2/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, sohin in seinem Spruchpunkt A.I, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers, eines somalischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm jedoch den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
2Infolge Straffälligkeit des Revisionswerbers leitete das BFA amtswegig ein Aberkennungsverfahren gegen ihn ein.
3Mit Bescheid vom erkannte das BFA dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) von Amts wegen ab (Spruchpunkt I.), entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt II.), erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Somalia unzulässig sei (Spruchpunkt V.), legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt VI.) und erließ ein befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.).
4Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die dagegen gerichtete Beschwerde des Revisionswerbers hinsichtlich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung und der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen als unbegründet ab (Spruchpunkt A.I.). Hingegen gab das BVwG der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. des Bescheides mit der Maßgabe statt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in seinen Herkunftsstaat unzulässig sei (Spruchpunkt A.II.), und behob die mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Spruchpunkte des Bescheides (Spruchpunkt A.III.). Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (Spruchpunkt B.).
5Das BVwG stellte - soweit hier maßgeblich - fest, der Revisionswerber sei mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom verurteilt worden, weil er gewerbsmäßig näher angeführte fremde bewegliche Sachen weggenommen bzw. wegzunehmen versucht sowie eine Urkunde und ein unbares Zahlungsmittel unterdrückt habe. Dadurch habe er das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch nach den § 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 Abs. 2 zweiter Fall, 15 StGB, das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und das Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB verwirklicht, weswegen er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt worden sei, wovon gemäß § 43a Abs. 3 StGB zwölf Monate bedingt nachgesehen worden seien. Für die Strafbemessung mildernd seien das reumütige Geständnis und der bisherige ordentliche Lebenswandel gewesen sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei. Erschwerend seien hingegen die Tatwiederholung innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes sowie das Zusammentreffen von einem Verbrechen und zwei Vergehen gewesen.
6Rechtlich führte das BVwG nach Darstellung der Rechtslage und von Rechtsprechung zu § 9 Abs. 2 Z 2 und 3 AsylG 2005 unter Hinweis auf die strafgerichtliche Verurteilung des Revisionswerbers aus, es verkenne nicht, dass der Revisionswerber bei der Gerichtsverhandlung reumütig gestanden habe. Es berücksichtige aber auch die hohe Anzahl an Straftaten innerhalb kurzer Zeit und die Kumulierung von einem Verbrechen mit zwei Vergehen. Das BVwG habe keinen Integrationswillen erkannt und gehe davon aus, dass sich der Revisionswerber nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren werde. Er stelle eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Dem Revisionswerber sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten „gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005“ zu entziehen gewesen.
7Gegen Spruchpunkt A.I. (Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, Entziehung der befristeten Aufenthaltsberechtigung und Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen) richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision.
8Die Spruchpunkte A.II. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses wurden mit hg. Erkenntnis vom , Ra 2019/01/0406-7, wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dem eine Revisionsbeantwortung nicht erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit u.a. vor, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Verweis auf ) abgewichen, weil es die für eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erforderliche Einzelfallprüfung nicht durchgeführt habe.
11Die Revision ist im Sinne dieses Vorbringens zulässig. Sie ist auch begründet.
12Vorauszuschicken ist, dass aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht klar hervorgeht, ob das BVwG die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf den Aberkennungstatbestand der Z 2 oder jenen der Z 3 des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 (oder auf beide Tatbestände) gestützt hat.
13Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung stattzufinden, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. , mwN).
14Eine solche, auf konkreten Feststellungen beruhende Gefährdungsprognose enthält das angefochtene Erkenntnis, das lediglich ohne nähere Begründung davon ausgeht, der Revisionswerber werde sich nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren, nicht.
15Eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht allein darauf gestützt werden, dass der Mitbeteiligte wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Ahmed, C-369/17, näher erläutert hat, ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen.
16Die Revision bringt zu Recht vor, dass das BVwG seiner Entscheidung zwar die vom Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte Strafe und die herangezogenen besonderen Milderungs- und Erschwerungsgründe zu Grunde gelegt, jedoch keine vollständige Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Vielmehr hätte das BVwG - gegebenenfalls nach Vorlage des Strafaktes - etwa auch die Höhe des entstandenen Sachschadens und die Gründe für die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe (vgl. die Voraussetzungen des § 43a Abs. 3 iVm. § 43 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigen gehabt (vgl. EuGH C-369/17, Rn. 56). Wie das BVwG zu der Prognose gelangt, der Revisionswerber werde sich nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren, begründet das Verwaltungsgericht nicht.
17Für das fortzusetzende Verfahren wird das BVwG zu beachten haben, dass § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 folgendes Prüfschema festlegen: Nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt. Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist (vgl. ).
18Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190522.L00 |
Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 |
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