VwGH vom 19.06.2020, Ra 2019/19/0475
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, über die Revision des R Y, vertreten durch Mag. Alexander Piermayr, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Stelzhamerstraße 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , W255 2169464-1/40E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
Spruch
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, zurückgewiesen.
II. zu Recht erkannt:In seinem übrigen Umfang wird das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.
2Mit Bescheid vom wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers mit einer hier nicht relevanten Maßgabe als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4Mit Erkenntnis vom , E 4181/2018-16, hob der Verfassungsgerichtshof dieses Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde des Revisionswerbers gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, wegen Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf. Im Übrigen - sohin hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten - lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der Beschwerde ab.
5Mit dem im fortgesetzten Verfahren ergangenen, in Revision gezogenen Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers mit einer hier nicht relevanten Maßgabe neuerlich als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6Das Bundesverwaltungsgericht stellte - soweit hier maßgeblich - zu den familiären Verhältnissen des Revisionswerbers fest, er führe mit einer afghanischen Staatsangehörigen, der im Juni 2018 in Österreich der Status der Asylberechtigten zuerkannt worden sei, seit dem Jahr 2016 eine Beziehung. Seit Dezember 2018 verbringe der Revisionswerber den Großteil seiner Zeit bei seiner Lebensgefährtin in Linz. Er kehre regelmäßig - etwa alle zwei Wochen - in jene Unterkunft für Asylwerber in Salzburg zurück, wo er mit Hauptwohnsitz gemeldet sei. Die zwei Kinder der Lebensgefährtin seien mit dem Revisionswerber vertraut. Der Revisionswerber sei mit seiner Lebensgefährtin seit nach islamischem Recht, nicht aber nach österreichischem Recht verheiratet. Am sei der gemeinsame Sohn des Revisionswerbers und seiner Lebensgefährtin geboren worden, für den die Lebensgefährtin einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens gestellt habe. Der Lebensgefährtin des Revisionswerbers komme die alleinige Obsorge über den gemeinsamen Sohn zu. Er lebe in der Wohnung der Lebensgefährtin. Der Revisionswerber leiste keinen finanziellen Beitrag für seine Lebensgefährtin und den gemeinsamen Sohn. Der gemeinsame Sohn sei bewusst in Kenntnis der negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom gezeugt worden.
7Rechtlich führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dem Revisionswerber drohe bei einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Logar die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 3 EMRK. Es stehe ihm jedoch eine innerstaatliche Fluchtalternative in Herat und Mazar-e Sharif offen, sodass ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen sei.
8Die Erlassung der Rückkehrentscheidung begründete das Bundesverwaltungsgericht damit, der Revisionswerber habe sein Familienleben mit seiner Lebensgefährtin zu einem Zeitpunkt begründet, als sein Aufenthalt durch Stellung eines unbegründeten Antrages auf internationalen Schutz unsicher gewesen sei, und dieses erst nach Zustellung des in allen Punkten abweisenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom intensiviert. Auch der gemeinsame Sohn sei erst danach gezeugt worden, was von einem mangelnden Verantwortungsbewusstsein diesem gegenüber zeuge. Der Revisionswerber unterstütze weder seinen Sohn noch seine Lebensgefährtin finanziell, sodass auch die Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat keine finanziellen Auswirkungen auf seinen Sohn habe. Er lebe mit diesen auch nur phasenweise in einem gemeinsamen Haushalt. Das alleinige Sorgerecht komme der Lebensgefährtin zu, diese kümmere sich in jeder Hinsicht um den gemeinsamen Sohn. Es sei davon auszugehen, dass dem gemeinsamen Sohn im Rahmen des Familienverfahrens der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde, womit es diesem möglich sei, mit seiner Mutter und seinen beiden „Halbgeschwistern“ in Österreich zu leben. Die Außerlandesbringung des Revisionswerbers und damit verbundene Trennung von seinem Sohn führe bei einer Gesamtschau nicht zu einer derart gravierenden Beeinträchtigung des Kindeswohls, welche die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig mache. Die Integration des Revisionswerbers, der sich seit dreieinhalb Jahren in Österreich aufhalte, sei nicht in ausreichendem Maß ausgeprägt. Er verfüge nicht einmal über Deutschkentnisse auf dem Niveau A1 und besuche derzeit keinen Deutschkurs, verfüge nicht über eigene finanzielle Mittel zur Deckung seines Lebensbedarfes, sei nicht Mitglied in einem Verein und gehe keiner bezahlten Erwerbstätigkeit nach. Bei einer Gesamtbetrachtung würden die Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der fremden- und aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen in den Hintergrund treten.
9Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende (außerordentliche) Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Zu Spruchpunkt I.:
10Hinsichtlich der Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten enthält die Revision kein Vorbringen. Da somit keine Rechtsfragen aufgezeigt werden, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme, war die Revision insoweit gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Zu Spruchpunkt II.:
11Zulässig und begründet ist die Revision hingegen insoweit, als sie vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe bei Erlassung der Rückkehrentscheidung in seiner Güterabwägung nach Art. 8 EMRK das Kindeswohl nicht hinreichend berücksichtigt.
12Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. , mwN).
13In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung betont (vgl. , mwN).
14Im Revisionsfall hat sich das Bundesverwaltungsgericht ausschließlich mit den finanziellen Folgen einer Trennung des Revisionswerbers von seinem in Österreich lebenden Kind, von dem das Bundesverwaltungsgericht selbst annimmt, diesem werde im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten zuerkannt werden, und damit nicht ausreichend mit dem Kindeswohl auseinandergesetzt (vgl. zu den dabei zu berücksichtigenden Aspekten § 138 ABGB als Orientierungsmaßstab , mwN).
15Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies in seiner Judikatur eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis nur dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. , mwN).
16Derartiges hat das Bundesverwaltungsgericht nicht festgestellt. Wenn es die Erlassung der Rückkehrentscheidung damit begründet, der (unbescholtene) Revisionswerber habe sein Familienleben erst nach Erlassung des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom intensiviert und seinen Sohn auch erst nach diesem Zeitpunkt gezeugt, übersieht es, dass dieses Erkenntnis (mit Ausnahme der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten) vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom mit Wirkung ex tunc aufgehoben wurde.
17Im Ergebnis hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit einem relevanten Verfahrensmangel belastet, weil nicht auszuschließen ist, dass das Bundesverwaltungsgericht nach näherer fallbezogener Auseinandersetzung mit dem Kindeswohl zu dem Ergebnis gekommen wäre, dass das persönliche Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet das öffentliche Interesse an der Beendigung seines unrechtmäßigen Aufenthalts überwiegt.
18Das angefochtene Erkenntnis war daher im Umfang der Erlassung der Rückkehrentscheidung und der darauf aufbauenden Spruchpunkte gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019190475.L00 |
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