VwGH vom 13.10.2011, 2008/22/0498
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok, den Hofrate Dr. Robl und die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des S in Wien, vertreten durch Mag. Wilfried Embacher, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schleifmühlgasse 5/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom , Zl. 149.031/2-III/4/07, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.286,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, vom auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung zum Zweck der Familiengemeinschaft mit seiner die österreichische Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau gemäß § 21 Abs. 1 und 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Begründend führte sie im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei am illegal nach Österreich eingereist und habe einen Asylantrag gestellt, der erstinstanzlich abgewiesen worden sei. Die dagegen eingebrachte Berufung habe der Beschwerdeführer zurückgezogen, sodass die abweisende asylrechtliche Entscheidung am rechtskräftig geworden sei.
Am habe der Beschwerdeführer die österreichische Staatsbürgerin S. geheiratet und am bei der Bundespolizeidirektion Wien einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft mit seiner Ehefrau gestellt. Für die belangte Behörde stehe fest, dass der Beschwerdeführer den Antrag im Inland gestellt und sich vor, während und nach der Antragstellung in Österreich aufgehalten habe. § 21 Abs. 1 NAG stehe daher einer Bewilligung des gegenständlichen Antrages entgegen.
Ein längerer unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige in jedem Fall die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung. Die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin allein stelle noch kein Aufenthaltsrecht nach dem NAG dar. Humanitäre Gründe seien in der Berufung nicht geltend gemacht worden. Eine von der belangten Behörde dennoch durchgeführte Prüfung habe ergeben, dass im gegenständlichen Fall keine humanitären Gründe hätten festgestellt werden können. Dabei sei berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer illegal eingereist sei, nur auf Grund seines Asylantrages vorübergehend aufenthaltsberechtigt gewesen und mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. "Bemerkenswert" sei in diesem Zusammenhang auch die "gewerbliche selbstständige Erwerbstätigkeit" des Beschwerdeführers, die zwar auf einer erteilten Gewerbeberechtigung (vom ) beruhe, jedoch ohne entsprechenden Aufenthaltstitel ausgeübt werde. Dies widerspreche § 32 NAG, wonach die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit grundsätzlich der Ausstellung eines Aufenthaltstitels mit entsprechendem Zweckumfang bedürfe.
Eine Inlandsantragstellung bzw. die daraus resultierende Entgegennahme des Aufenthaltstitels im Inland werde daher gemäß § 74 NAG von Amts wegen nicht zugelassen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom , B 2019/07-10, dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene und auftragsgemäß ergänzte Beschwerde hat dieser nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung wurde noch während der Geltung des Fremdengesetzes 1997 (FrG) gestellt und unbestritten im Inland eingebracht. Soweit sich die Beschwerde gegen die gemäß § 21 Abs. 1 NAG vorgesehene Anwendung des "Formalerfordernisses" des § 21 Abs. 1 NAG wendet, wonach der Antrag im Ausland einzubringen und die Entscheidung im Ausland abzuwarten ist, ist sie darauf hinzuweisen, dass es sich bei der genannten Bestimmung nicht um ein bloßes Formalerfordernis, sondern um eine Erfolgsvoraussetzung handelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0744, mwN). In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass der Beschwerdeführer die Erledigung seines Antrages im Inland abgewartet hat, sodass jedenfalls die Voraussetzung des § 21 Abs. 1 letzter Satz NAG nicht erfüllt ist.
Die Beschwerde wendet sich auch gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass keine ausreichenden humanitären Gründe im Sinn des § 74 NAG (in der Stammfassung) vorlägen, die die Zulässigkeit einer Inlandsantragstellung rechtfertigten, und bringt dazu u.a. vor, der Beschwerdeführer halte sich seit über sieben Jahren im Bundesgebiet auf, sei seit über vier Jahren mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, womit er besonders intensive private Bindungen in Österreich begründet habe, und sei seit mehreren Jahren selbstständig erwerbstätig.
Gemäß § 74 NAG hat der Beschwerdeführer das Recht, die Entscheidung über seinen Antrag im Inland abzuwarten, wenn u. a. etwa ein aus Art. 8 EMRK direkt abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0147, mwN). Die belangte Behörde ist zwar ansatzweise auf die vor dem Hintergrund des Art. 8 EMRK relevanten persönlichen und familiären Verhältnisse des Beschwerdeführers in Österreich eingegangen. Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich aber ihrer Beurteilung, wonach er keinen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung geltend machen könne, schon im Hinblick auf den über siebenjährigen - teilweise rechtmäßigen - Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich, seine intensiven familiären Bindungen insbesondere zu seiner österreichischen Ehefrau sowie seine langjährige Berufstätigkeit - laut Verwaltungsakten zwischen Dezember 2000 und April 2005 mit einigen Unterbrechungen als unselbstständig Erwerbstätiger, seit durchgehend als selbstständig Erwerbstätiger - nicht anzuschließen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0287).
Der angefochtene Bescheid war sohin wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf die im hg. Beschluss vom , Zlen. EU 2011/0004 bis 0008, aufgeworfenen unionsrechtlichen Fragen hätte Bedacht genommen werden müssen.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am
Fundstelle(n):
AAAAE-84852